Anna Prohaska

»Das Para­dies ist lang­weilig«

von Patrick Wildermann

5. April 2020

Anna Prohaska mag keine Klischees. Ein Gespräch mit der Koloratursopranistin über Frauenbilder, Rollenverteilung, Ignoranz und: das Glück der leisen Töne.

CRESCENDO: Frau Prohaska, in Ideo­meno sind Sie die Ilia, eine kriegs­ge­fan­gene Prin­zessin, die sich in den Feind verliebt. Das ist ja in vielerlei Hinsicht eine Heraus­for­de­rung…

: Absolut. Auf der schau­spie­le­ri­schen Ebene finde ich es span­nend, die Ilia nicht als Opfer oder schwäch­li­ches Prin­zes­schen darzu­stellen, sondern als Frau, die ihren Prin­zi­pien, ihrer Familie und ihrem Land treu bleiben will. Entspre­chend versuche ich, diesen Konflikt der Liebe zum Feind aus einer inneren Stärke heraus zu beglau­bigen, die viel­leicht eher aus der Stimm­farbe kommt – statt zu versu­chen, sie durch große schau­spie­le­ri­sche Verren­kungen von außen drauf­zu­sat­teln.

Sie begreifen sich zu glei­chen Teilen als Sängerin und Schau­spie­lerin?

Im Ideal­fall sind Sänger Musiker und Schau­spieler zu je 50 Prozent. Viele erklären sich zu Sängern, als wäre das eine Art eigener Spezies. Gerade in Konzerten oder Lieder­abenden fühle ich mich wie eine Musi­kerin, nicht wie eine Hülle der Stimme. Die Musik ist etwas viel Größeres als wir, größer als die Persona der Prima­donna oder des Primo Uomo.

Achten Sie bei der Rollen­wahl auch darauf, welches Frau­en­bild damit trans­por­tiert wird?

Ich habe natür­lich an Insze­nie­rungen mitge­wirkt, mit deren Frau­en­bild ich mich nicht iden­ti­fi­zieren konnte. Da muss man sich entscheiden, ob man gegen die Regie ankämpft oder versucht, mit Charme, Humor oder Diplo­matie den Regis­seur vom eigenen Bild zu über­zeugen. Zum Beispiel, wenn man in eine extrem sexua­li­sierte Rich­tung gedrängt werden soll, wenn jede Arie eine neue Spie­lerei damit ist. Ich bin nicht prüde, aber bei solchen Konzepten bekomme ich schnell das Gefühl, das ist jetzt doch totge­treten.

»Männer sind nicht immer die Chauvis, Frauen nicht auto­ma­tisch die eman­zi­pierten Viel­sei­tigen.«

Ist das ein Problem der Männer­do­mi­nanz in Ihrer Branche?

Ich habe bei Regis­seuren erlebt, dass sie einen in ein Klischee zu drängen versu­chen, genauso aber auch bei Regis­seu­rinnen, die einen benutzen für einen Topos oder eine Reprä­sen­ta­tion von etwas total Eindi­men­sio­nalem. Die Männer sind nicht immer die Chauvis, die Frauen nicht auto­ma­tisch die eman­zi­pierten Viel­sei­tigen. Es gehen ja auch nicht alle Frauen gern shoppen.

Ist der Klas­sik­be­trieb in Fragen von Reprä­sen­ta­tion zurück hinter dem Sprech­theater?

Mitt­ler­weile wird auch in der Oper sehr inter­na­tional besetzt. Noch vor 20, 30 Jahren, das haben mir dunkel­häu­tige Kollegen erzählt, war Haut­farbe ein selbst­ver­ständ­li­ches Krite­rium für Absagen. Weil es hieß, das passe irgendwie nicht. So was treibt mich zur Weiß­glut. Nehmen wir Così fan tutte, zwei Schwes­tern – was spricht dagegen, dass die eine schwarz ist, die andere weiß? Es ist doch viel unrea­lis­ti­scher, dass jemand, der an Tuber­ku­lose stirbt, 15 Minuten eine heldi­sche Arie vorträgt.

Aber das glauben die Leute.

Im Engli­schen gibt es die schöne Wendung „suspen­sion of disbe­lieve“, was meint, über das Unglaub­hafte hinweg in eine Fanta­sie­welt, eine andere Realität zu kommen. Das ist doch eigent­lich das Tolle an der Oper! In Star Wars schießen die Sturm­truppen auch immer daneben, und die Helden über­leben. Ist das etwa realis­tisch?

Um zu den Frauen zurück­zu­kommen – auf Ihrer neuen CD „Para­dise Lost“, die nach dem gleich­na­migen Vers­epos von John Milton beti­telt ist, widmen Sie sich unter anderem der bibli­schen Eva. Wodurch ist dieses Projekt inspi­riert?

Ursprüng­lich wollte ich mich mit grie­chi­schen Sagen beschäf­tigen. Über den Garten der Hespe­riden bin ich dann auf dieses Motiv des ewigen Lebens und der ewigen Jugend gekommen, das ja in fast allen Mytho­lo­gien und Kulturen exis­tiert. Es hat mich gereizt, mir den mono­the­is­ti­schen Kreis der abra­ha­mi­ti­schen Reli­gionen, die ja sämt­lich in Meso­po­ta­mien wurzeln, darauf näher anzu­schauen und zu hinter­fragen, welche Sehn­süchte sich in diesen Jung­brunnen-Bildern eigent­lich formu­lieren. Ähnlich wie der Olymp der Grie­chen war der Garten Eden für die Menschen eine Art, sich ihre Herkunft zu erklären.

»Es ist Eva, die mit der Schlange, also Satan, in Kontakt tritt.«

Okay, aber hätte das nicht char­manter geschehen können als mit einer Frau, die der Rippe des Mannes entstammt?

Klar, die Frau als Eben­bild des Mannes hat keine Allein­stel­lung. Aber ich finde es span­nend, dass Eva dieje­nige ist, die mit der Schlange, also Satan, in Kontakt tritt, die sich aktiv entscheidet, den Apfel zu probieren und an Adam weiter­zu­rei­chen. Sie hat die Hand­lungs­macht. Ist Eva nicht viel­leicht sogar ein weib­li­cher Prome­theus? Sicher, sie hat sehr viel nega­tive Presse erlebt in den vergan­genen Jahr­tau­senden, sie ist der Ursprung der Erbsünde, verant­wort­lich für die Schmerzen bei der Arbeit, der Geburt, kurzum, des irdi­schen Lebens…

Ein echtes Image­pro­blem.

Wenn man daran glaubt, sind wir Menschen dadurch aber auch unab­hängig geworden. Wir haben uns für den schweren Weg entschieden. Wenn ich mir die gegen­wär­tige poli­ti­sche Situa­tion anschaue, ist es viel­leicht sogar sinn­voller, die schmerz­hafte Wahr­heit zu wählen als die simplen Illu­sionen und Lügen. Viel­leicht war Eva dieje­nige, die uns heraus­ge­rissen hat aus diesem „zuge­drogten“ bene­belten Para­dies­zu­stand.

»Ich beschäf­tige mich gern mit konflikt­ge­la­denen Stoffen.«

Hatten Sie vor der Beschäf­ti­gung ein bestimmtes Bild vom Para­dies, einen konkreten Begriff?

Ich fand das Para­dies vorher eher lang­weilig. Ich beschäf­tige mich gern mit konflikt­ge­la­denen Stoffen.

Wie dem Ersten Welt­krieg, auf Ihrer CD „Behind the Lines“?

Ja, oder auf „Serpent & Fire“ mit Dido und Kleo­patra, zwei Köni­ginnen, die sich umge­bracht haben für Liebe und Politik. Aber in der Recherche zu „Para­dise Lost“ habe ich reali­siert, wie viele Einflüsse aus verschie­denen Kultur­kreisen das Para­dies birgt. Dabei war Eva längst auch nicht immer die nega­tive Figur, sie wurde beispiels­weise auch als Spie­gel­bild der Gottes­mutter Maria gesehen. Es gibt einen grego­ria­ni­schen Gesang, Ave Maris Stella. Ave, heil dir, was man umdrehen kann zu Eva.

Der Pianist auf dem Album „Para­dise Lost“: Julius Drake

Wie sind Sie drama­tur­gisch bei „Para­dise Lost“ vorge­gangen?

Ich habe die Stücke in verschie­dene Gruppen gefasst, ange­fangen mit Ein Morgen im Para­dies: Die Sonne geht auf, Gott gibt Eva einen Auftrag wie Orpheus, nämlich jedem Tier und jeder Pflanze einen Namen zu verleihen. Das steckt in Faurés Paradis. Dann folgen Die Erschaf­fung der Eva, Vertrei­bung, Exodus, Erin­ne­rung und schließ­lich Das irdi­sche Leben.

Den Ton setzen Sie eingangs mit Ravels Trois beaux oiseaux du paradis

Ravel beschreibt eine Art Rück­blick. Eine Frau wartet auf ihren Mann, der aus dem Ersten Welt­krieg wieder­kehren soll. Statt­dessen landen aber drei Vögel in verschie­denen Farben – Blau, Weiß und Rot bezeich­nen­der­weise –, die ihr die Todes­nach­richt über­bringen. Das geht über in Bern­steins Silhou­ette, das auf einem liba­ne­si­schen Volks­lied basiert und uns nach Meso­po­ta­mien führt, in den heutigen Mitt­leren Osten. Für mich öffnet sich da wiederum eine Paral­lele zu Schu­manns Das Para­dies und die Peri, das Syrien als Land beschreibt, in dem Milch und Honig fließen, während wir damit heute den Horror des Krieges verbinden.

»Es gibt keine Grenzen, wir haben eine Welt.«

Schließt für Sie auch das Motiv der Vertrei­bung daran?

Natür­lich, die Flucht zieht sich ja durch die Jahr­hun­derte, von der Völker­wan­de­rung bis zu den Migra­ti­ons­wellen, die wir heute erleben und die uns klar­ma­chen, dass sich eine Welt­ord­nung ändern muss. Es ist doch absurd, irgend­welche Zäune hoch­zu­ziehen. Es gibt keine Grenzen, wir haben eine Welt. Mit dem Begriff von Natio­nal­staaten, mit neuen Mauern kommen wir nicht weiter. Ich hatte gehofft, nach 198990 hätte sich das alles erle­digt. Aber ganz im Gegen­teil.

Sie haben sich gele­gent­lich über Kollegen gewun­dert, die in der Kantine nur über Proben­zeiten und andere Problem­chen reden. Ändert sich das, wird es poli­ti­scher?

Auf jeden Fall. Der Pianist zum Beispiel, ein sehr guter Freund von mir, enga­giert sich stark poli­tisch und hält auch seinen Kopf dafür hin, trotz der anonymen Anfein­dungen, die auf Twitter und anderswo über­schießen. Meine Kollegin , mit der ich in Violetter Schnee gespielt habe, tritt für den Umwelt­schutz ein. Es gibt auch im klas­si­schen Bereich immer mehr Menschen, die nicht mehr im Elfen­bein­turm verharren wollen.

Nervt Sie dennoch etwas am Betrieb?

Wir haben an der Staats­oper das Glück, dass der Casting­di­rektor ein ehema­liger Sänger ist und sich wirk­lich auskennt. Das ist leider die Ausnahme. Es gibt so viele Casting­di­rek­toren, bei denen man sich fragt, wie sie in diese Posi­tion gelangt sind. Die nach YouTube besetzen, ohne zu wissen, wie die Stimme über­haupt im Raum klingt. Oder die Menschen aufgrund ihres Ausse­hens besetzen, weil sie vermeint­lich passen für eine Lulu oder einen Othello.

Wehret den Äußer­lich­keiten… Immerhin haben Sie alle Vergleiche mit im Keim erstickt!

Weil sie pein­lich und unan­ge­nehm für mich waren. Anna Netrebko hat eine ganz andere stimm­liche Entwick­lung als ich genommen, in Rich­tung Verdi, jetzt auch Wagner. Da sehe ich mich über­haupt nicht. Leute ohne Ahnung erwarten nach solchen Verglei­chen doch, dass ich mit einer Riesen­stimme auf die Bühne komme und das Publikum wegföhne. Das ist übri­gens noch eine Sache, die mich am Busi­ness ärgert: dass laut auto­ma­tisch als gut gilt.

Das ist ja in vielen Lebens­be­rei­chen so.

Anna Prohaska: Deswegen liebe ich die Barock­szene. Dort hat sich längst die Gewiss­heit durch­ge­setzt, dass es nicht immer der Ferrari sein muss. Der etwas lang­sa­mere Oldtimer mit dem offen Verdeck kann viel mehr Genuss bieten. 

„Para­dise Lost“, Anna Prohaska, Julius Drake (Alpha)
Zu beziehen u.a.: www​.jpc​.de

Infor­ma­tionen zu geplanten Auftritten von Anna Prohaska auf ihrer Website: www​.annapro​haska​.com

Fotos: Marco Borggreve