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Orchester-Pinguine, Opern-Pläne und Putins Propagandisten
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Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute mit grundlegenden Fragen: Wie sieht das Orchester der Zukunft aus? Was läuft schief an der Bayerischen Akademie der Schönen Künste? Und wie kann es sein, dass ausgerechnet die russische Zentralbank-Chefin, die Rubel für Öl fordert, auch die Bilanzen von musicAeterna beglaubigt?
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PINGUINE, ZIEHT DEN FRACK AUS!
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Letztes Wochenende war ich auf dem Deutschen Orchestertag – und es ging durchaus hoch her, und auf dem Podium kam es zuweilen zu grundsätzlichen Debatten. Münchens GMD Vladimir Jurowski blickte auf britische Orchester wie das London Philharmonic Orchestra und erklärte, dass sich hier jedes Mitglied seiner existenziellen Verantwortung für das Ensemble bewusst sei.
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In unserem Gespräch für den Podcast „Alles klar, Klassik?“ fordert Jurowski ein Neudenken der Orchester-Strukturen, besonders die Komponenten von Sicherheit und Kreativität müssen erneut hinterfragt werden. „Wir müssen Lösungen für den Fakt finden“, sagt Jurowski, „dass wir Leute im Orchester haben, die vor 20 Jahren ein Vorspiel gewonnen haben und sich seither nicht mehr beweisen mussten.“ Jurowski plädiert für eine kluge Erneuerung der Orchester und dafür, MusikerInnen mehr Verantwortung zu geben bei gleichzeitiger Bewahrung ihrer sozialen Sicherheit.
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Außerdem merkt man der Branche die Müdigkeit nach zwei Jahre Corona an: „Einige Abteilungen haben das Gefühl von LongCovid“, sagt Anselm Rose von der Rundfunk Orchester und Chöre gGmbH Berlin. Andauernde Absagen, das ewige Neuorganisieren und das Fehlen von Erfolgserlebnissen durch Konzerte seien ermüdend gewesen. Vor allen Dingen sorgt Rose sich darum, dass immer mehr Menschen die Orchester-Administration verlassen: „Geringe Bezahlung, großer Stress oder familienfeindliche Arbeitszeiten – viele MitarbeiterInnen aus dem Künstlerischen Betriebsbüro, aus dem Ticketing oder dem Marketing suchen im Tourismus oder in der Wirtschaft nach Alternativen. Als Orchester müssen wir unbedingt auf diesen Trend reagieren.“ Ist die Klassik mit ihren alten Strukturen (und oft auch alten Umgangsformen) überhaupt noch attraktiv als Arbeitsplatz? Darüber habe ich mir auch in einem Kommentar für den SWR Gedanken gemacht. Mein Gespräch mit Anselm Rose ist in einer der nächsten Podcast-Folgen zu hören, diese Woche rede ich dafür auch mit Ketan Bhatti und Cymin Samawatie vom Trickster Orchestra.
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ZOFF UM DIE BAYERISCHE AKADEMIE DER KÜNSTE
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Einst war sie ein ehrenwertes Haus – dann kamen allerhand Skandale, und so richtig im Lot scheint die Bayerische Akademie der Schönen Künste noch immer nicht zu sein. Kritik scheint unerwünscht. Das jedenfalls bekam der Komponist Moritz Eggert zu spüren, zu dessen „Verhalten“ man eine extra Sitzung anberaumt hatte. Lesenswert sind seine Gedanken zu dieser Anschuldigung. Eggerts Frechheit bestand in erster Linie darin, für Transparenz zur sorgen: Er fragte nach der Finanzierung des Festivals „Lied und Lyrik“ in Oberfranken, bat um klare Regeln bei Lesungen und forderte demokratischere Strukturen. „Gut, auch in der Akademie steht aktuell nur ein einziger Präsident zur Wahl“, heißt es in Eggerts Text, „dass dieser Präsident in jüngster Vergangenheit für einen der größten Eklats in der Geschichte der Akademie sorgte (gefolgt von einem beispiellosen Massenaustritt), sollte uns und ihn nicht weiter beunruhigen, denn die Ausgetretenen können ja nun nicht mehr gegen ihn stimmen, was sie ansonsten getan hätten. Auch sein beherztes Engagement für Coronaversteherinitiativen wie ‚Aufstehen für die Kunst‘ oder ‚AllesDichtMachen‘ sollte man nicht gegen ihn auslegen.“ Es besteht Innovations-Bedarf, würde ich sagen. Sowohl in meinem Podcast nimmt Moritz Eggert noch einmal Stellung als auch hier in einer Sprachnachricht, um die ich ihn gebeten habe.
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NICHT NUR EINE BANK! – DIE KLASSIK IM KRIEG
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Das Bild oben kursiert gerade im Netz, zu sehen ist der Vorstand des Orchesters musicAeterna 2021 in Russland, nachdem er – so heißt es auf der entsprechenden, offiziellen Seite – die „Entwicklungsstrategie des Orchesters“ für das Jahr 2022 debattiert habe. Wer noch Zweifel daran hat, dass das Ensemble bewusst für russische Propaganda instrumentalisiert wird, muss wissen, dass hier drei der wohl engsten Vertrauten Wladimir Putins zu sehen sind: Andrej Kostin, der Vorsitzende der sanktionierten VTB Bank, Alexander Beglov, der durch Korruption aufgefallene Gouverneur von St. Petersburg (der ebenfalls auf der europäischen Sanktionsliste steht) und Elwira Nabiullina, die Chefin der Russischen Nationalbank (sie zwang internationale Kunden, Gas- und Öl-Lieferungen entgegen bestehender Verträge in Rubel zu bezahlen). Auf dem Foto sind die drei nach dem Treffen mit ihrem Lieblingsdirigenten Teodor Currentzis zu sehen, der sich bis heute weigert, den Angriffskrieg Putins zu verurteilen. Es geht bei musicAeterna schon lange nicht mehr allein um das Sponsoring der VTB Bank, sondern um direkte Einflussnahme des Putin-Kreises auf die Geschicke des Orchesters. Spannend in diesem Fall auch die Recherche von Alexander Strauch, der nicht nur die Nähe und Abhängigkeit von musicAeterna gegenüber der Politik beleuchtet, sondern auch explizite Freundschaftsbekundungen von Currentzis an seine kremlnahen Förderer zitiert. All das scheint Salzburg-Intendant Markus Hinterhäuser noch immer nicht zu beeindrucken. Er will auch weiterhin an den Auftritten von musicAeterna und Teodor Currentzis bei den Salzburger Festspielen festhalten und versteht noch immer nicht, warum das problematisch sein könnte. Seit musicAeterna 2020 von Perm nach St. Petersburg gezogen ist, wurden Orchester und Dirigent offensichtlich von Putins mächtigem Haufen gekauft und mundtot gemacht.
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Noch vor einigen Wochen hoffte Hinterhäuser auf ein klärendes Wort von Currentzis – bis jetzt lässt der Dirigent den Intendanten allerdings zappeln. Und es gibt noch immer keine Anzeichen, dass sich das ändert. Stattdessen hört man bei Norman Lebrecht, dass musicAeterna sich nun von allen nicht in Russland ansässigen MusikerInnen trennen will. Müssen wir in den nächsten Wochen wirklich auch noch die Eigentumsverhältnisse der russischen Spielstätte von musicAeterna, von Currentzis neuer Heimat seit 2020, des DOM Radios in St. Petersburg, aufklären und die Umstände von Currentzis’ russischer Staatsbürgerschaft, um noch klarer zu machen, wessen Marionette der Dirigent ist – dass es sich bei ihm um einen Valery Gergiev 2.0. handelt? Verdammte Hacke, machen wir, wenn es sein muss – wir sind dran! +++ Dabei ist schnelles Handeln nicht so schwer. Letzte Woche hatten wir an dieser Stelle über die Tätigkeit des Konzertmeisters der Münchner Philharmoniker, Lorenz Nasturica-Herschcowici, auf einer Russland-Tour mit Valery Gergiev berichtet, was in vielen Medien wie dem Merkur einen Nachdreh fand. Auch die Abendzeitung hakte nach und konstatierte: „Dieser Auftritt mag juristisch erlaubt sein, aber besonders gut riecht er nicht. Nasturica-Herschcowici hatte Zeit und Lust auf ein Konzert für Gergievs Stiftung. Beim Ukraine-Solidaritätskonzert der drei Münchner Orchester in der Isarphilharmonie, das vier Tage vor dem Moskauer Konzert stattfand, blieb der dienstälteste Konzertmeister der Philharmoniker unsichtbar.“ Am Freitag erklärten die Philharmoniker nun gegenüber der Abendzeitung (Print), dass sie Nasturica-Herschcowici nach nochmaliger Prüfung die Nebentätigkeit in Russland inzwischen untersagt hätten. +++ Das Bolschoi hat zwei Produktionen von Regisseuren vom Spielplan genommen, die dem Krieg Russlands kritisch gegenüberstehen. Timofej Kuljabin’s Produktion von „Don Pasquale” und Kirill Serebrennikov’s Ballet „Nurejew” werden in Moskau derzeit nicht gespielt.
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PLÄNE, PLÄNE, PLÄNE
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Bei den Berliner Philharmonikern ist zu erkennen, dass man hier – und ich halte das für zukunftsweisend! – auf immer mehr Tiefe setzt. Man werde das Kernrepertoire ausbauen und Raritäten ausgraben, mehr Mozart als bisher spielen, endlich ein Oratorium von Mendelssohn und drei Uraufführungen. Chefdirigent Kirill Petrenko war auf der Pressekonferenz betont sachlich, wie Frederik Hanssen feststellte: „‚Wir beginnen, einander zu vertrauen‘, ‚die Arbeit wird persönlicher‘, „ich hoffe, dass ich dem Orchester etwas Gutes tun kann’, ‚wir sind zusammen auf einem richtig guten Weg’. Die Flitterwochenphase ist wohl definitiv vorbei, der Weg durch die Ebene – die bei den Philharmonikern natürlich immer ein Hochplateau ist – nicht ohne Mühen.“
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Diversität steht an vielen Häusern inzwischen im Vordergrund. So auch beim neuen Intendanten des Beethoven-Festes, Steven Walter. Queere Musiker und Musikerinnen gestalten das Programm genauso wie Menschen aus verschiedenen Kulturen oder Menschen mit Einschränkungen. Auch beim Publikum wünscht sich Walter eine große Vielfalt: „Wir wollen die Gemeinschaft in ihren Unterschieden zusammenbringen.“ Spielerisch divers erscheint das Programm an der Volksoper in Wien: Hier scheint es Lotte de Beer tatsächlich ernst zu meinen, eine VOLKS-Oper für alle neu zu beleben: mit Uraufführungen, Klassikern, mit lokalen Superstars und überregionaler Bedeutung. Auch Stefan Herheim gelingt es, einen aufregenden, modernen und vielfältigen Spielplan für die Ausweichspielstätte des Theaters an der Wien vorzulegen. Zwei neue Leitungen, gegen die Bogdan Roščićs Haus am Ring alt aussieht: Regietheater der 2000er-Jahre und gefühlt alle Premieren von GMD Philippe Jordan dirigiert. Vielfalt, so wie sie der Katalog der Haupt-Agenden des Hauses eben hergibt. Diversität auch am Münchner Gärtnerplatztheater: Intendant Josef E. Köpplinger will in einer bunten und kosmopolitischen Mischung Menschen miteinander verbinden. Umgebaut wird auch die Komische Oper in Berlin, doch deren Weg von Barrie Kosky scheint sich auch trotz dessen Ausscheiden als Intendant nicht sonderlich zu ändern. Nachfolger Philip Bröking erklärt: „Wir haben in den letzten Jahren mit Barrie Kosky außerordentlich eng zusammengearbeitet. Und da wir ziemlich auf einer Wellenlänge funken, versprechen wir uns davon, dass wir aus seiner kreativen Energie, seinen Ideen weiter teilhaben." Die Oper Frankfurt will dem Sparzwang trotzen und hält an einem Vollprogramm fest. Intendant Bernd Loebe lässt Ted Huffman Mozarts „Zauberflöte“ und Händels „Orlando“ inszenieren. Der scheidende GMD Sebastian Weigle übernimmt „Meistersinger“, „Elektra“ und „Die ersten Menschen“ von Rudi Stephan. „Krieg und Liebe“ ist das Motto der kommenden Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper. Geplant wurde es bereits lange vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine. Für Intendant Serge Dorny ist klar: Kriege gehören zur Realität – und dazu gehört auch, dass er Anna Netrebko derzeit nicht engagieren will. Tatsächlich scheinen IntendantInnen in der Oper gerade zwischen vollkommener Konvention oder absolutem Neuaufbruch zu pendeln. Spannend dazu die Diskussion, die Wolfgang Höbel und Hannah Pilarczyk im Spiegel beginnen, wenn sie fragen: „Braucht das Theater noch Intendanten?“
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UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?
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Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht hier: Ich beobachte derzeit einen grundlegenden Wandel der Klassik-Szene, eine neue Diskussionskultur, ein neues Nachdenken – eine grundsätzliche, strukturelle, breite und leidenschaftliche Debatte über die Zukunft von Oper und Konzert und ihren gesellschaftlichen Rollen. Eine immer breitere Öffentlichkeit scheint nicht mehr alles teilnahmslos abzunicken, sondern will selber teilhaben an den aktuellen Diskussionen (oben ein Ausschnitt der „Standard“-LeserInnen-Reaktionen auf Hinterhäusers Festhalten an Currentzis). Vielleicht ist ja genau DAS das POSITIVE: Wir scheinen uns derzeit alle ein bisschen nackt zu machen. Das reibt, das quietscht, das kann auch mal wehtun (auf allen Seiten) – aber: Es hat einen Sinn, den wir vielleicht viel zu lange nicht mehr verfolgt haben, zu fragen „warum das alles?“ – „für wen das alles?“ – und „unter welchen Bedingungen das alles“. Liebe Leute, so schwer die Dinge gerade manchmal scheinen, so groß ist unsere Chance auf neue, transparente, gemeinsame Strukturen und einen Klassik-Betrieb, dessen Zahnräder wieder in die Zahnräder unserer knirschenden Welt greifen: um sie zu befragen, emotional zu betrachten und nüchtern zu analysieren, um die Kunst als das zu nutzen, was sie am besten kann: Grundlage einer intellektuellen und emotionalen Debatte zu sein, in der niemand sterben muss, um dann unsere Wirklichkeit vielleicht ein bisschen besser zu machen.
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In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
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Axel Brüggemann hat in der KlassikWoche 18/22 vom 2. Mai 2022 die Behauptung verbreitet, dass Bogdan Roščić „auch zu der Gesellschaft gehörte, die am 24. Februar, also nach Kriegsausbruch, Currentzis‘ Geburtstag in St. Petersburg gefeiert hat.“ Diese Behauptung ist falsch. Wir bedauern.
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Fotos: dpa, Bayerische Akademie der Schönen Künste, Stephan Rabold
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Gefällt Ihnen die KlassikWoche? Dann sagen Sie´s weiter!
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Wir versenden keine Spam-Mails und verkaufen keine Email-Adressen. Versprochen!
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