KlassikWoche_RGB_2020-09

Die offenen Fragen von Salzburg

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute mit allerhand brisanten Personalien, einem erfolgreichen Tarifabschluss und dem Blick von Zeit, Manager Magazin und Presse auf die Salzburger Festspiele.

Kritik an den Salzburger Festspielen wird lauter

In der letzten Woche haben wir an diese Stelle erklärt, warum das Weggucken der Salzburger Festspiele in Sachen Russen-Sponsoring und Teodor Currentzis ein Fehler sein könnte und dass dieser Zug unweigerlich an die Wand fahren wird (es hat noch nie einen Crash verhindert, wenn man die Hände vor die Augen gehalten hat). In dieser Woche hat sich der Zug nun langsam in Bewegung gesetzt: „Wen hat Currentzis nicht verraten?“, fragt Anne-Catherine Simon in der österreichischen Zeitung Die Presse und beschäftigt sich damit, wie der Dirigent seine treuen Fans in Europa an der Nase herumführt. Unter anderem schreibt sie über die jüngsten Gazprom-Auftritte von musicAeterna und darüber, dass VTB-Bank-Chef Andrei Kostin in der Zeitung Kommersant erklärte, Currentzis habe ihm mitgeteilt, er sei kein „Verräter Russlands“. „Die Salzburger Festspiele könnten für ihr Vertrauen in den Stardirigenten gestraft werden“, kommentiert Simon, „er selbst wird es wohl bestens überleben“ – im Zweifelsfall durch das Geld seiner russischen Förderer.
In der Österreich-Ausgabe der Zeit ist Putins Einfluss auf die Festspiele Titel-Thema, Simone Brunner und Sarah Jäggi fassen zusammen: „Er (Intendant Markus Hinterhäuser) sei ‚sehr sicher, dass Currentzis nach neuen Lösungen (in Sachen Sponsoring) sucht. Aber auch dafür wird er Zeit brauchen, das geht nicht mehr von heute auf morgen’.“ Doch die Autorinnen sind gerade in diesem Punkt skeptisch: „Im Mai tourte Currentzis mit Gazprom durch Russland. Und dieser Tage trat der Maestro mit seinem Orchester beim Petersburger Wirtschaftsforum auf, einer Propagandashow von und für Wladimir Putin.“ Das Manager Magazin befasst sich unter dem Titel „Schattiges Geld“ mit dem Sponsorenmodell der Salzburger Festspiele. Autor Hans-Peter Siebenhaar gibt in seinem Text zu bedenken, dass Markus Hinterhäuser es seiner Festspiel-Präsidentin Kristina Hammer durch „das Ausnutzen seiner Machtposition“ nicht leicht mache, das Sponsoring-System zu erneuern. Hinterhäuser hätte Currentzis trotz der russischen Sponsoring-Vorwürfe durchgedrückt, und „die Chancen von Hammer, schnell für größere Transparenz und Regelklarheit bei den Geldströmen zu sorgen, sind ebenfalls gering. Denn die Geldgeber schätzen den über viele Jahrzehnte praktizierten Status Quo.“ Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, wann auch der offizielle Medien-Partner der Salzburger-Festspiele, der ORF, nicht länger Augen und Ohren verschließen kann. Immerhin wird Hinterhäuser sich an seiner eigenen Aussage, dass er eine Klarstellung von Currentzis erwarte, messen lassen müssen. Die steht nach wie vor noch aus.
Kristina Hammer, die Präsidentin der Salzburger Festspiele, in der Stoffabteilung
Die moralisch-wirtschaftlichen Themen rund um die Salzburger Festspiele werden immer belastender: Auf der einen Seite das „schattige Sponsoring“, das sicherlich auch Folgen für Großsponsoren wie Audi haben wird (darum kümmern wir uns in der nächsten Ausgabe), das fast schon trotzige Ignorieren der offensichtlichen Putin-Treue von Teodor Currentzis und seinem Ensemble musicAeterna und die vollkommen unverständliche Kommunikationsstrategie, die sich auch darin zeigt, das Kristina Hammer in Tagen wie diesen vollkommen absurde Videos wie dieses hier in die Welt setzt, in dem sie der Stoffabteilung der Festspiele einen Besuch abstattet. Ich habe jetzt ein noch unveröffentlichtes Video der Festspiel-Präsidentin gefunden – und verstecke es hinter diesem Link, als Belohnung für all die aufmerksamen Leser.

Rattle-Mob für München-Konzertsaal

Der designierte Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Simon Rattle, hat sich mit Äußerungen zum Prestigeprojekt seines Orchesters, dem neuen Konzertsaal im Werksviertel, bislang weitgehend zurückgehalten, ebenso wie BR-Intendantin Katja Wildermuth. „Dafür dürften taktische Erwägungen maßgeblich sein“, spekuliert Robert Braunmüller in der AZ, „um die Politik nicht übermäßig zu verärgern. Ohnehin will der BR mit Rücksicht auf die Gebührendebatte nur die technische Ausstattung des Saals finanzieren und die Miete zahlen, den Bau aber dem Steuerzahler in München und dem Rest Bayerns überlassen.“ Aber immerhin: Mit einem „Symphonic Mob“ wollen Rattle und sein zukünftiges Orchester Markus Söder nun davon abhalten, weiter in seiner „Denkpause“ in Sachen Konzerthaus zu verharren.

Met-Intendant Gelb über Netrebko

Anna Netrebko
Met-Intendant Peter Gelb hat im VAN-Magazin noch einmal Stellung zu seiner Ausladung von Anna Netrebko bezogen. Sie sei eine enge persönliche Verbündete Putins, „sowohl was ihre Handlungen als auch ihr Mindset angeht“, sagt Gelb. Er wisse das aus persönlicher Erfahrung. Und weil er sie seit Jahren kenne und mit ihr gesprochen habe, „ist das, was ich lange toleriert habe, jetzt nicht mehr hinnehmbar“, so Gelb weiter. Nachdem Netrebko ihr Appartement in New York verkauft, steht nun auch ihr 225 Quadratmeter Penthouse im Zentrum von Wien im Angebot – für 3,9 Millionen Euro.

Personalien der Woche I

Teodor Currentzis, Igor Levit
Mit dem Chor der Met hat sich der Sänger René Pape angelegt: Auf Facebook beschimpfte er den Chor der Oper, weil der ausgelassene Bilder von der Pride Parade in New York gepostet hat. Mit homophober Wucht ließ Pape (auf Englisch) wissen:  „Menschen, die nicht wissen, wer sie sind, benutzen eine fantastische Institution, um anderen zu erklären, was sie sein sollten. Für mich ein Grund, nicht mehr zurückzukommen! Liebe Met, danke für fast 35 Jahre – was ich jetzt sehe, ist fürchterlich!“ Der Post wurde inzwischen gelöscht (Screenshot liegt der Redaktion vor).
Und noch einen Zoff gab es dieser Tage auf Twitter zu beobachten. Pianist Igor Levit legte sich mit dem Botschafter der Ukraine, Andrij Melnyk an. Es geht um die Rolle der historischen Figur Stepan Bandera, der für einige Inbegriff der ukrainischen Kollaboration mit den deutschen Nazis und der Beteiligung der Ukraine am Holocaust ist, für andere unangefochtener Unabhängigkeitskämpfer des Landes. Levit beschuldigte Melnyk des Antisemitismus. Fakt ist: Die Figur Banderas ist durchaus ambivalent, eine gute Einordnung gibt es hier. Zu wünschen wäre, dass Igor Levit sich an seinen moralischen Standards messen lässt und vielleicht vor seinem Auftritt mit musicAeterna und Teodor Currentzis bei den Salzburger Festspielen noch mal schnell googelt, was der so die letzten Wochen getrieben hat, wer es finanziert, und dass er keinerlei Anstalten macht, sich von russischen Abhängigkeiten zu befreien. Ein gemeinsamer Auftritt mit dem Gazprom-Orchester, dessen Musiker aus ihrer Russland-Liebe auf Instagram zum Teil keinen Hehl machen,  dürfte bei Levits moralischem Weltblick – wenn er glaubhaft bleiben will – derzeit wohl eher unwahrscheinlich sein. 

Tarif-Abschluss für BühnenarbeiterInnen

Deutscher Bühnenverein und Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger haben sich mit der Vereinigung deutscher Opern- und Tanzensembles und dem Bundesverband Schauspiel auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Die Mindestgage wird in zwei Stufen von bisher 2.000 Euro brutto auf 2.550 Euro ab 1. September und 2.715 Euro ab dem neuen Jahr erhöht. Auch Gastgagen werden entsprechend angepasst. Gleichzeitig wird eine dynamisierte Beschäftigungszulage von 200 Euro eingeführt, sodass Solobeschäftigte und BühnentechnikerInnen an DBV-Theatern nach zwei Jahren Anstellung mindestens 2.915 Euro erhalten.

Personalien der Woche II

Riccardo Muti
Zurück in Berlin! Christian Thielemann sprang mit nur einer Probe zum ersten Mal bei der Staatskapelle Berlin ein (Herbert Blomstedt hatte sich von seinem Sturz noch nicht erholt). Das Konzert wurde ein Erfolg, der derzeitige Berlin-Chef Daniel Barenboim war zum Konzert gekommen – anschließend ging man noch gemeinsam essen. Schon jetzt steht fest: Thielemann wird zurückkehren zur Kapelle, zunächst als Gast, doch der rbb denkt schon über mehr nach. +++ Riccardo Muti will das „N-Wort“ in Verdis Maskenball nicht ändern. An einer Stelle heißt es „vom unreinen Blut der N… (dell’immondo sangue dei negri)“ – eine Passage, die an den meisten Opernhäusern gestrichen oder neutral umformuliert wird. Muti weigert sich: „Verdi war kein Rassist, es geht ihm darum, die rassistische Einstellung, die Brutalität und die Ignoranz des Richters schonungslos aufzuzeigen“, sagte er. Aber, hey, jeder, der seinem Kind schon mal Pippi Langstrumpf vorgelesen hat, weiß, dass es wirklich besser ist, ihren Vater als Südsee-König zu erklären als mit vergangenem „N“-Vokabular – hätte Astrid Lindgren heute auch gemacht, und Verdi sowieso!
Die Regie-Legende Peter Brook ist gestorben. Für mich deshalb epochal, weil seine Regie zu Herr der Fliegen mir eine Welt eröffnet hat, gefeiert aber wurde er als Mann des Theaters, der überall eine „nackte Bühne“ fand. Ein anderer Großmeister, Gerhard Stadlmaier, ruft ihm in der FAZ nach.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht in der ewigen Erneuerung! Vor einigen Wochen haben wir bei CRESCENDO den Fragebogen gestartet, dieses Mal ausgefüllt vom Bariton Christian Gerhaher, der auch sein größtes musikalisches Missgeschick verrät. Und dann gibt es ab heute eine weitere Neuerung: Unter der Rubrik Neuheiten stellen wir alle Neuerscheinungen der Woche vor, zeigen die jeweiligen Cover und geben eine Kurzdiskografie – so bleiben Sie immer auf dem neuesten Stand und können die Aufnahmen natürlich auch sofort bestellen. Noch mehr Schönes? Bitte sehr! Die Sommerferien sind in Sicht. Ich persönlich lege sie in zwei Schritten an. Nach 20 Folgen liegt der Podcast „Alles klar, Klassik?“ bereits am Strand. In der letzten Folge gibt es noch mal Highlights der letzten Sendungen mit dem Nachruf auf Hans Neuenfels von Vera Nemirova, den Gesprächen mit Tina Lorenz, dem Harfenduo, Anselm Rose, Daniel Hope und Marc Grandmontagne. Von Mitte August an geht der Podcast dann in die zweite Staffel – bis dahin lassen sich alle alten Folgen natürlich hier nachhören. Dieser Newsletter geht natürlich weiter bis zur Eröffnung der Salzburger Festspiele. Um die aktuellen Entwicklungen bis zu Ende zu begleiten, pfeifen wir auf unseren Urlaub (der kommt danach).
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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