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Bayreuth reagiert auf sexuelle Übergriffe und Cate Blanchett als Dirigentin
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Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute mit der Nachricht, wie Bayreuth auf sexuelle Belästigung reagiert hat, mit Cate Blanchett als Dirigentin und mit der Frage: „Wie weiter, Klassik?“
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Bayreuth reagiert auf sexuelle Übergriffe
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Tatsächlich haben sich die Vorwürfe von sexuellen Übergriffen bei den Bayreuther Festspielen bestätigt. Wie aus dem Chor-Kollektiv zu hören ist, seien drei Frauen der Bitte von Festspielleiterin Katharina Wagner gefolgt und hätten sich über einzelne Übergriffe beschwert. Sofort seien Nachforschungen eingeleitet worden, es sei ein Zeuge gefunden worden. Nachdem der Beschuldigte die Übergriffe gestanden hatte, wurde er mit sofortiger Wirkung entlassen. Der Chorvorstand und die Chorleitung seien in die Entscheidung einbezogen gewesen. Inzwischen haben die Sommerferien in Bayreuth begonnen, und Kulturstaatsministerin Claudia Roth sprach von weiterem Reformbedarf bei den Festspielen. Sie sprach von „Öffnung“ und „Verjüngung“.
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Tatsächlich gehen die Festspiele seit Jahren erfolgreich einen Weg der Partizipation, zeigen jeden Sommer eine Kinderoper, öffnen sich mit Symposien, Kino-Programm und zuletzt mit dem Festspiel-Open-Air (das ich moderiert habe). Außerdem wird in Bayreuth auf innovative Bühnenkonzepte gesetzt wie im kommenden Parsifal mit Augmented-Reality-Elementen. Reformbedürftig scheint dagegen eher das Eigentümer-Konstrukt zu sein, in dem neben Bund, Freistaat und Stadt auch die äußerst konservative Gesellschaft der Freunde Mitsprache hat – in diesem Sommer hat deren Vorsitzender Georg von Waldenfels immer lauter gegen Modernisierungen in Bayreuth protestiert, explizit gegen den Parsifal, gegen einen lange geplanten, neuen Tristan und ist der Intendantin immer wieder auch öffentlich in den Rücken gefallen. Nicht auszuschließen, dass der Finger von Sängerin Iréne Theorin nach der letzten Götterdämmerung-Vorführung auch in seine Richtung ging. Tatsächlich geht es in Bayreuth nach den Festspielen um vieles: Bleibt das Haus eine mutige, neugierige Wagner-Werkstatt, die auch in Zukunft die Möglichkeiten der neuen Oper auslotet (und dabei natürlich auch mal aneckt), die musikalische Vielfalt, etwa durch Semyon Bychkov oder Nathalie Stutzmann garantiert, oder sollen die Festspiele, wie es sich einige besonders konservative Stimmen wünschen, ein rückwärtsgewandtes Opern-Museum in der fränkischen Provinz werden?
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Cate Blanchett in der Berliner Philharmonie
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Als ich zum ersten Mal gelesen habe, dass die Schauspielerin Cate Blanchett eine Dirigentin in der Schaffenskrise verkörpert, und ihr neuer Film Tár auch in der Berliner Philharmonie spielt, war ich skeptisch. Doch nun gibt es einen ersten, wirklich vielversprechenden Trailer und The Guardian lobt nach der Premiere beim Filmfest in Venedig: „Was für ein bewegender Moment, wenn Blanchett sich im Film ein Video von Leonard Bernstein anschaut, der Kindern klassische Musik vermittelt. Was für eine kolossale Leistung von Cate Blanchett.“
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Der Film kommt am 6. Oktober in die Kinos, zeitgleich mit einem anderen Klassik-Film: Regina Schilling (Kulenkampffs Schuhe, Titos Brille) porträtiert in No Fear den Pianisten Igor Levit.
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Wie weiter, Klassik?
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Gerade nach der Sommerpause geht es an vielen Theatern um das pure Überleben: Inflation, steigende Energiekosten, steigende Tarifverträge, gleichzeitig an vielen Häusern Etat-Kürzungen und Publikumsschwund. Für den Freitag habe ich aufgeschrieben, warum es sich derzeit um eine der größten Krisen der Theatergeschichte seit 1945 handelt. Differenziert berichtet auch die Frankfurter Rundschau und zeigt den Spalt von erfolgreichen Super-Events und kriselndem Musik-Alltag (auch im Pop) auf. Die Deutsche Orchestervereinigung will lieber die Augen verschließen und postet auf ihrer Facebook-Seite „Orchesterland D“ lieber Jubelmeldungen von Festspiel-Auslastungszahlen: Salzburg 96 Prozent, Rheingau 94 Prozent, Wagner in Leipzig 100 Prozent, Heidenheim 82 Prozent. Kann man machen – wird aber kaum ein Bewusstsein für den Ernst der Lage an den Häusern schaffen.
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Weil es sein muss
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Diese Woche kam eine Mail aus Baden-Baden. Hier soll auch weiterhin an der Tristan-Aufführung mit Teodor Currentzis festgehalten werden (zur Erinnerung: Geprobt wird mit VTB-Geldern in Moskau, beteiligt sind Sänger wie Matthias Goerne). Nun hat Intendant Benedikt Stampa (zum ersten Mal nach Kriegsausbruch!) die Möglichkeit gehabt, mit Currentzis zu sprechen. „Dabei gab Herr Currentzis Herrn Stampa in keiner Weise Anlass, die künstlerische Zusammenarbeit grundsätzlich in Frage zu stellen“, heißt es aus Baden-Baden. Und tatsächlich soll gehandelt werden: „Herr Currentzis und das Ensemble musicAeterna wurden gebeten, den Probenprozess für die Aufführung in Baden-Baden nach Westeuropa zu verlegen. Gleichzeitig würden Zahlungen für die geleistete Arbeit hier über ein westeuropäisches Konto abgewickelt. Wenn dies gewährleistet ist, steht das Festspielhaus Baden-Baden zu seinen Verpflichtungen und künstlerischen Plänen mit Herrn Currentzis.“ Nun, auch der SWR hat Currentzis schon vor langer Zeit gebeten, sich vom VTB-Sponsoring zu verabschieden. Doch es ist nichts passiert. Im Gegenteil: In dieser Woche, als Gazprom mal seine Gaslieferungen nach Deutschland auf null gestellt hat, gab Currentzis ein Konzert mit musicAeterna in Russland, in den Rängen applaudierte ihm Gazprom-CEO Alexey Miller. Auch die Verstrickungen des Dom Radio in St. Peterburg zur Medienholding von Putins Geliebter Alina Kabajewa und zum VTB-Vorstand sind bislang nicht einmal im Ansatz geklärt oder transparent gemacht. Ebenso wenig wie die Finanzierung und das Personal von Currentzis’ neuem Projekt Utopia.
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Während Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter im Abendblatt lakonisch erklärt, dass er an seinem Konzert mit Anna Netrebko festhält, weil es keine „Rechtsgrundlage gegen das Konzert“ gäbe, formiert sich anderenorts Protest. Die ukrainische Generalkonsulin in Hamburg, Iryna Tybinka, erklärt: „Die russische Opernsängerin war, ist und bleibt eine der Einflussagenten des Putin-Regimes." Tatsächlich erstaunt es, dass VW oder Siemens ihre Russland-Geschäfte ebenfalls ohne „Rechtsgrundlagen“ auf Eis legen, die Kultur aber einfach weitermacht und sich ihrer eigenen moralischen Verantwortung entzieht. In Köln wurde gegen Netrebko demonstriert, auch in Hamburg und Wien sind wohl Demonstrationen geplant.
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Personalien der Woche
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Daniel Barenboim scheint seine Rolle als Chefdirigent auf Lebenszeit bei der Staatskapelle Berlin sehr ernst zu nehmen – ein bisschen wirkt es so, als wolle er auch noch seine Nachfolge regeln. Bereits nach Christian Thielemanns letztem „Einspringen“ bei der Kapelle, waren die beiden gemeinsam essen und haben sich angeregt darüber unterhalten, wie der Orchestergraben der Bayreuther Festspiele ihre Dirigate beeinflusst habe. Nun hat Barenboim erneut persönlich bei Thielemann angerufen und ihn gebeten, die Staatsoper Unter den Linden, äh, nein: zwei seiner Ring-Dirigate zu übernehmen. Einige spekulieren schon, ob Thielemann die Leitung an der Staatsoper übernimmt – in meinem Podcast erklärte er allerdings noch, wie gut ihm das Freisein tue. +++ Berlins Kultursenator Klaus Lederer möchte etwas Neues wagen und schreibt die Intendanz der Deutschen Oper öffentlich aus: „Eine erfahrene, mutige und empathische Führungspersönlichkeit, ein integrativer, von Vertrauen und Verbindlichkeit geprägter Führungsstil“ sollte die Bewerber auszeichnen. Der amtierende Intendant Dietmar Schwarz scheidet 2025 aus dem Amt. +++ Neuer Ärger für Plácido Domingo: Das Orchester der Arena di Verona verweigerte ihm den Applaus als Dirigent. Der Sänger habe am Taktstock enttäuscht, heißt es. Nun, das ist nicht wirklich eine neue Erkenntnis.
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Eine erste Bewerbungsrunde für die Riesen-Zwischennutzung Am Gasteig endete erfolglos. In geheimer Sitzung wurden die Konditionen jetzt angepasst, meldete die Abendzeitung München. +++ Erster Gegenwind für einen Superstar: Clemens Haustein fragt in der FAZ, vollkommen zu Recht, ob vom jungen Dirigenten Klaus Mäkelä nicht zu viel verlangt wird – und ob wir nicht gerade Zeuge werden, wie ein Talent vor unseren Augen verheizt wird. Augen auf bei der Agenten-Wahl, könnte man Mäkelä nur zurufen! +++ Deutschland habe bereits in vielen Ländern Vertrauen von wichtigen Partnern der Zivilgesellschaft verloren, warnt die Zentrale des Goethe-Instituts in München. „Sollten sich für 2023 die Kürzungen wie geplant verstetigen, wird der größte deutsche Kulturmittler massive und vor allem langfristig wirksame Einschnitte vornehmen müssen.“ Auch die Schließung von Goethe-Instituten sei dann nicht mehr ausgeschlossen.
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Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
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Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Ich hatte einen genialen Traum, wie die Klassik in eine glorreiche Zukunft geführt werden kann: mit der garantiert erfolgreichsten Aufführung aller Zeiten! Mein Traum begann damit, dass Plácido Domingo sich bei Wiens Staatsoperndirektor Bogdan Roščić beschwert hat, dass er nicht bei der La Bohème neben Anna Netrebko, Vittorio Grigolo und Günther Groissböck auftreten dürfe – er gehöre doch dazu wie die Mäuse zum Ballett. Kein Problem, erklärte Roščić, du kannst dirigieren, wenn du Rolando Villazón anrufst, damit der das Ding neu inszeniert. Marco Armiliato war zunächst etwas verstimmt, darf aber immerhin den Chor übernehmen. Nachdem die Wiener Philharmoniker Zweifel bekamen und Ioan Holender von der Sache hörte, griff er mit leichtem Atem zum Hörer, um Proben mit musicAeterna in St. Petersburg zu planen. Für das Abend-Begleit-Programm sei auch gesorgt, jubelte er! Um die Finanzierung kümmert sich Matthias Naske, der dafür schnell eine neue Stiftung in Liechtenstein gründet. Christoph Lieben-Seutter und Benedikt Stampa lieferten sich einen handfesten Ringkampf darum, wer die zweite Aufführung präsentieren dürfe – am Ende einigten sie sich darauf, gemeinsam mit Dominique Meyer das Kolosseum in Rom zu mieten. Meyer überzeugte alle Beteiligten noch, La Bohème gegen Porgy and Bess einzutauschen und erinnerte daran, genügend schwarze Schuhcreme für alle Beteiligten zu besorgen. Arte wird dieses „einmalige Klassik-Ereignis“ natürlich live übertragen! Igor Levit konnte in letzter Sekunde gewonnen werden, Tristan-Paraphrasen im Vorprogramm zu spielen. In einem Interview erklärte er „Man muss einfach auch mal seine Prinzipien über Bord werfen, wenn es um so viel Geld geht.“ In einer Presseaussendung heißt es: „So lebendig ist unsere Kunst!“ "Das Publikum entscheidet über den Erfolg.“ „Bei Valery Gergiev war die Sache anders, der war böse – wir sind: gut!“ Leider bin ich dann aufgewacht, bevor ich die Kritik des Konzertes in meinem Lieblingsmagazin News lesen konnte – aber ich bin sicher: Es war eine Hymne über die Zukunft der Klassik!
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In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
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P.S.: Sie haben noch immer nicht genug? Kein Problem. Wie wäre es mit einem kleinen Gespräch über die Zukunft der Musikkritik? Die Geigerin Anne Schoenholtz vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat mich in ihren BR-Podcast eigeladen, um genau das zu debattieren. Hier ist die Sendung zum Nachhören.
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