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Im Osten nichts Neues
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Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute, aus gegebenem Anlass noch einmal mit zwei Blicken gen Osten, auf unsere Bühnen, in die vorweihnachtlichen Kinos und: zu einem wunderbaren Chor-Ereignis.
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Im Osten nichts Neues I
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Lange haben wir nichts von ihm gehört, jetzt sorgt Ex-Brucknerhaus-Chef Hans-Joachim Frey mal wieder in Russland für Schlagzeilen. 2009 hatte Frey Putin den Orden des SemperOpernballs überreicht, danach hatte er den Cellisten, Putin-Freund und Panama-Milliarden-Verstecker Sergei Roldugin in Linz beschäftigt, hatte Russland-Touren mit österreichischen Wirtschaftskapitänen organisiert und wurde schließlich zum Intendanten in Putins Lieblingsort, Sotschi, ernannt. Nach Kriegsausbruch brach ein Großteil des Semperopern-Komitees zusammen, Frey hielt sich zum Teil in Deutschland auf – doch nun scheint er sich endgültig für eine Seite entschieden zu haben.
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Die Russischen Klassik-News berichten, Frey habe gemeinsam mit Putin-Freund und musicAeterna-Vorstand, dem Gouverneur von St. Petersburg Alexander Beglov, ein Internationales Kulturzentrum Tschaikowski-Strauss in St. Petersburg gegründet. Offenbar wird groß gedacht, man wolle den Pawlowski-Bahnhof rekonstruieren, in dem Johann Strauss einst dirigiert hat, heißt es im Bericht. Deutlich wird: Russlands Kultur-Propaganda versucht (wie mit den Touren von musicAeterna) auch weiterhin ein Bild abzugeben, dass der Kulturaustausch mit Europa intakt sei – allein: Hans-Joachim Frey ist in Europa schon lange verbrannt, kein ernst zu nehmender Repräsentant Deutschlands, die Semperoper hat sich längst von ihm distanziert. Er ist hauptsächlich Diener eines Herren: Wladimir Putin.
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Personalien der Woche I
Intendantin Elisabeth Sobotka verlässt die Bregenzer Festspiele 2024, um an die Staatsoper nach Berlin zu gehen. Nun ist die Bewerbungsfrist für ihre Nachfolge verstrichen: 21 Personen haben sich um den Job am Bodensee beworben. +++ Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates, ist wütend über die Abschaffungs-Debatte der Rundfunkorchester durch WDR-Chef Tom Buhrow (wir haben letzte Woche berichtet, hier mein Kommentar): „Tom Buhrow hat mit seinen Äußerungen die Kultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Abschuss frei gegeben – und das ausgerechnet als derzeitiger Vorsitzender der ARD, denn in dieser Funktion öffentlich als ‚Privatmensch‘ über das Kerngebiet der eigenen Arbeit zu sprechen, wie Buhrow es verstanden wissen wollte, ist schlichtweg unmöglich“, sagte Höppner nun.
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Komponist Moritz Eggert setzt sich in einem lesenswerten Essay damit auseinander, wie Gegenwarts-KomponistInnen, die von den Orchestern jahrelang ignoriert wurden, mit der aktuellen Orchester-Debatte umgehen sollen. +++ Der Streit zwischen MET-Chef Peter Gelb und Anna Netrebkos Manager Miguel Esteban eskaliert weiter. Gelb hatte erklärt, dass er Netrebko nicht in New York engagiere, weil sie – anders als der Sänger Jewgeni Nikitin – „über eine mehrjährige Periode gezeigt habe, dass sie eng mit Valery Gergiev und Wladimir Putin verbunden war.“ Esteban konterte nun, dass Netrebko sich sehr wohl vom Angriffskrieg distanziert habe und dass Gergiev (aus dessen Dunstkreis auch Nikitin kommt) kein Politiker sei. +++ Herbert Blomstedt, 95, wurde mit dem Bundesverdienstorden geehrt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer überreichte ihm die Auszeichnung in Leipzig.
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Im Osten nichts Neues II
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Dieses Foto (oben) ist die wohl beste Anti-Werbung für Currentzis’ Verdi-Requiem in Baden-Baden und Dortmund mit musicAeterna: das gleiche Stück mit gleichem Orchester (und einigen gleichen Solisten) wurde gerade in St. Petersburg geprobt und aufgeführt (gesponsort von der VTB Bank) und beklatscht von Gazprom-Chef Alexei Miller (rechts außen). Der Post, den Komponist und Journalist Alexander Strauch auf seiner Facebook-Seite geteilt hat, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass Currentzis in Russland als Propaganda-Symbol dient, was auch deutlich wurde, als VTB-Chef Andrei Kostin in einem Zeitungsinterview die Treue des Dirigenten zu Russland bekräftigte. Kann man die Aufführung des Requiems in Dortmund und Baden-Baden unter diesen Umständen wirklich als Zeichen des Widerstandes gegen den Krieg verkaufen? Wie hat der Angriff Russlands auf die Ukraine die Kultur verändert? In der aktuellen Ausgabe meines Podcasts (hier zum Player für alle Podcast-Formate) gehe ich dieser Frage gemeinsam mit der ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv und dem Intendanten des Festspielhauses in Baden-Baden, Benedikt Stampa, nach. Lyniv wird in ihrer Heimat, der Ukraine, angefeindet, weil sie weiterhin Tschaikowski aufführen will und sagt: „Die Kultur ist ein leichtes Opfer. Niemand würde auf die Idee kommen, das Periodensystem nicht mehr anzuwenden, nur weil es von einem Russen erfunden wurde. Mit der Kultur verhält sich das anders. Aber wir dürfen Tschaikowski nicht zum Opfer des Krieges machen.“
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Baden-Baden-Intendant Benedikt Stampa sagt, juristisch spräche nichts gegen die Einladung von Teodor Currentzis und musicAeterna, „andere Orchester bekommen derzeit kaum ein Visum“. Er halte die öffentliche Debatte in der Sache für wichtig: „Kultur muss über diese Dinge diskutieren.“ Derweil antwortet das Konzerthaus Dortmund seinen Currentzis-kritischen Kunden: „Die Art und Weise, wie musicAeterna finanziert wird, empfinden wir im Übrigen als durchaus problematisch. Allerdings lässt sich dies nicht innerhalb eines Jahres ‚abschütteln‘ (…). Anders als Teodor Currentzis werden wir musicAeterna – solang sich diese Voraussetzungen nicht ändern – erst einmal nicht wieder einladen.“ Das Verdi-Requiem am 25. November wolle man dennoch durchführen, „monetäre Gründe haben uns zu dieser Entscheidung übrigens nicht bewogen“, fügt das Konzerthaus hinzu, „das Konzert ist für unser Haus defizitär“. Es scheint, dass die Götterdämmerung begonnen hat. Spannend, ob Markus Hinterhäuser bei den kommenden Salzburger Festspielen trotz aller Kritik an der VTB- und Gazprom-Nähe von musicAeterna ähnlich trotzig wie letzten Sommer an Dirigent und Ensemble festhalten wird. Im Dezember wird er sein Programm vorstellen.
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Intendantenwechsel in Salzburg?
Probleme von ganz anderer Seite bekommen die Salzburger Festspiele und Markus Hinterhäuser. „So schlimm und unehrlich wie Salzburg hat es sonst praktisch niemand getrieben“, sagt der Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke und meinte (wir haben bereits letzte Woche berichtet): die Zahlungsmoral der Festspiele in Corona-Zeiten. Nun wurde eine Musterklage eingereicht. Tief blicken ließ Ablinger-Sperrhacke, als er die Frage, ob er nach der Klage je wieder in Salzburg auftreten wird, so beantwortete: „Mit Sicherheit, weil dort eine neue Festspielführung installiert werden wird. Ich würde nicht darauf wetten, dass es mit der derzeitigen noch lange weitergeht, wenn die eine Musterklage am Hals hat sowie eine parlamentarische Anfrage.“
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Mehr Geld für die Bundes-Kultur
Der Kulturhaushalt des Bundes für 2023 wurde um 94 Millionen Euro angehoben. Damit stehen erstmals rund 2,39 Milliarden Euro für die Kultur- und Medienpolitik des Bundes zur Verfügung. Kulturstaatsministerin Claudia Roth sagt: „Mit diesem deutlichen Zuwachs im Kultur- und Medienetat des Bundes haben wir ein starkes Fundament geschaffen, um die Vielfalt der Kultur unseres Landes und die kulturelle Teilhabe für die ganze Gesellschaft zu ermöglichen und zu stärken.“
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Roth plant unter anderem einen Kulturpass von 200 Euro für 18-Jährige. Aber ist mehr Geld für den Bund wirklich die Lösung? Die meisten in Schieflage befindlichen Häuser werden von Spar-Ländern und bankrotten Gemeinden getragen. Claudia Roth rettet vielleicht Leuchttürme, aber die einmalige deutsche Kulturlandschaft ist derweil eher in den Städten in Gefahr. Dort braucht es mehr Geld, und dort braucht es: Mut zur Transformation.
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Auf unseren Bühnen
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Besonders gelungene Premiere der letzten Woche war offensichtlich Wagners Meistersinger mit Regisseur Johannes Erath und Dirigent Sebastian Weigle an der Oper in Frankfurt. Erath kümmert sich weniger um Wagners Antisemitismus, sondern um die Frage der wahren Liebe und der Kunst. Zum Nachspiel leuchtet über dem Volk das Wort „Germania“ auf, schreibt Jan Brachmann in der FAZ, „bis die drei ersten Buchstaben verlöschen. Wenn man also, „was deutsch und echt“, aus der bunten Vielfalt streicht, bleibt ‚mania‘ übrig. Wahnsinn, diese tollkühne Inszenierung!
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In unseren Kinos
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Während der aktuelle Zauberflöten-Spielfilm mit einer Mischung aus Harry Potter und Schule der magischen Tiere eher als Giga-Flopp aufgenommen wird (Rolando Villazón hat auch eine Rolle übernommen), feiert Manuel Brug in der Welt den Film Tenor des Regisseurs Claude Zidi Jr.: „Es ist aber auch zu rührend: Der samtäugige, eigentlich ganz brave Rapper Antoine kommt aus der migrantisch durchsetzten Banlieue mit seiner Sushi-Liefertüte ins Herz von Paris – in die Opèra. Dort gibt es ein kleines Battle, man lässt ihn seine Außenseiterrolle sofort spüren.“
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Personalien der Woche II
Morgen, am 15. November, wird Daniel Barenboim 80 Jahre alt. Die New York Times hat Barenboim bereits jetzt in einem großen Text gefeiert, sein Haus, die Staatsoper in Berlin, feiert ihn seit Wochen, indem es jeden Tag ein neues Bild mit Barenboim auf seine Social-Media-Kanäle stellt. Krankheitsbedingt musste Barenboim die Geburtstagsfeierlichkeiten absagen. +++ Pianist Igor Levit hat einen Großteil seiner Karriere seinen Twitter-Aktivitäten zu verdanken. Nun hat er, aus Protest gegen Elon Musk, den Nachrichtendienst verlassen, die Stimmung in diesem Sozialen Netzwerk sei „unerträglich geworden“, sagte Levit. CRESCENDO erreichen Sie weiterhin mit aktuellen News auf Instagram. +++ Theaterwissenschaftler und Kritiker Fabian Burstein hat ein Buch mit dem Titel Eroberung des Elfenbeinturms geschrieben, in dem es um die Rückgewinnung des Publikums in schweren Zeiten geht. In der ORF-Sendung Kulturmontag stellt er seine Thesen vor. +++ Seit über 50 Jahren erinnert das Hamburger Brahms-Museum an den Komponisten. Jetzt präsentiert es sich nach Renovierung mit einer überarbeiteten Ausstellung, Udo Badelt hat sie für den Tagesspiegel besucht.
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Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
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Ja, wo zum Teufel bleibt es nur, vielleicht hier: In einem Konzert in Rom dirigierte der Multiinstrumentalist Jacob Collier das Publikum - und wie! Wer in einem Chor singt, wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Nur mit den Händen zeigt Collier an, was die Masse singen soll – gerauscht kommt eine chromatische Hymne. Musik als schönes Wunder, zu sehen auf Instagram!
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In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
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