KlassikWoche_RGB_2020-09

Wozu das ganze Theater?

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute mit einer Grundsatzfrage, mit einem Gerichtsverfahren in der Schweiz, einer Provokation und allerhand Personalien.

Wozu das ganze Theater?

Lotte de Beer und Stefan Herheim
Manchmal ist es sinnvoll, einfach mal grundsätzlich zu werden. Warum machen wir eigentlich das ganze Theater? Das habe ich die Regisseure und Intendanten Lotte de Beer und Stefan Herheim gefragt. Beide stehen für Aufbruch. Lotte de Beer positioniert die Volksoper in Wien neu: mehr Gegenwart auf der Bühne, mehr Diversität und neue musikalische Zugänge. Stefan Herheim leitet das Musiktheater an der Wien und kann sich im Staggione-Prinzip intensiv um die Zusammensetzung der passenden Ensembles für die jeweiligen Produktionen kümmern. In meinem Podcast Alles klar, Klassik? sagt Herheim, dass er in seiner Arbeit als Regisseur viel zu oft gemerkt habe, dass Theater in ihrer künstlerischen Arbeit von den eigenen Strukturen bestimmt werden: Eine Carmen kommt auf den Spielplan, weil es schon lange keine mehr gab, ein Otello, weil der Tenor mal wieder eine große Rolle braucht. Herheim plädiert dafür, die Idee wieder in den Vordergrund zu stellen und die Strukturen der Häuser nach der Kunst zu organisieren.
Für Lotte de Beer ist Oper ein Spiegel unserer Zeit, eine „emotionale Selbstverständlichkeit“. Sie hält nichts davon, ihre Kritiker zu belehren und ihren Kurs mit Worten zu verteidigen – sie setzt auf den sinnlichen Effekt der Oper. Welche Rolle spielt die Kunst, wenn Politik und Gesellschaft dem Theater die Inszenierung geklaut haben? Welche Perspektiven hat das Musiktheater? Und warum werden Menschen die Bühne immer brauchen, um im Spiel die Welt zu begreifen. Wenn Sie Lust haben, hören Sie doch mal rein (hier für Apple, bei Spotify oder für alle anderen Player).

Putins Milliarden-Cellist

Altes Bild mit Wladimir Putin
Vor vielen Monaten habe ich in diesem Newsletter öfters über den Cellisten Sergei Roldugin berichtet. Er war unter Intendant Hans-Joachim Frey (heute Intendant in Sotschi) beim Brucknerhaus in Linz für die „Russischen Dienstage“ verantwortlich, trat mit Valery Gergiev im besetzten Palmyra auf und gilt als guter Freund von Wladimir Putin (zu dessen Ehren er beim SemperOpernball 2009 in Dresden spielte). Im Zuge der Panama Papers wurden zwei Milliarden Dollar auf Firmen von Roldugin nachgewiesen. Roldugin ist einer von vielen Personen, an denen zu verstehen ist, wie wichtig die Kultur in Putins Finanz- und Propaganda-Kalkül ist.
Jetzt stehen in der Schweiz Bänker vor Gericht, denen vorgeworfen wird, dass sie nicht sorgfältig genug geprüft hätten, ob der Cellist für Konten beim Schweizer Ableger der Gazprombank berechtigt gewesen sei. Die Neue Zürcher Zeitung berichtet über den Prozess. Roldugin soll 2014, als es nach der Annexion der Krim zu Sanktionen im Umfeld Putins gekommen sei, als Strohmann des russischen Präsidenten aufgetreten sein. Egal, wie der Prozess in der Schweiz ausgeht: Er lehrt uns schon jetzt, dass der Einfluss des Kremls auf die Kultur nicht zu unterschätzen ist und dass Putins Netzwerke seit jeher Banken, Unternehmen und Künstlerinnen und Künstler miteinander verbunden haben. Die Geschichte Roldugins, der – mit seiner ersten Frau – Taufpate bei Putins Kindern war (Foto), hat noch viele andere Aspekte, die sicher bald an anderer Stelle erzählt werden.

Ende für KlickKlack?

Es geht das Gerücht um, dass der Bayerische Rundfunk überlegt, seine Sendung KlickKlack einzustellen. Es wäre das letzte Klassik-Format im Deutschen Fernsehen. Angeblich soll die Sendung, die abwechselnd von Sol Gabetta und Martin Grubinger moderiert wird, mit der Pensionierung ihres Redakteurs nicht fortgesetzt werden.

Auf Nachfrage habe ich allerdings keine Antwort bekommen. Dieses nur als Gedanke: Radio-Orchester müssen sich nicht wundern, wenn sie immer wieder zur Disposition gestellt werden, wenn es das Fernsehen nicht schafft, der Klassik Räume zu geben.

Ach, Nikolaus!

Die Salzburger Osterfestspiele stehen an. Unser kleiner Newsletter hatte damals, als es um den Machtkampf zwischen Peter Ruzicka und Nikolaus Bachler ging, eindeutig Position bezogen – für den ehemaligen Intendanten der Bayerischen Staatsoper. Und, klar, dass Markus Thiel vom Münchner Merkur die Gelegenheit nicht liegen ließ, ein paar Bonmots von ihm im Vorfeld der Festspiele einzusammeln. Bachler liefert wie bestellt, spinnt die Mär von „Gesinnungsprüfungen“ in der Kultur fort, um sich selber zum „Märtyrer“ zu stilisieren, der angeblich nicht stattfindende Debatten führen will. Mein Vorschlag: Abonnieren Sie diesen Newsletter, Herr Bachler, und die Debatte kommt jede Woche zu Ihnen nach Hause – kostenlos!
Ach, ja: Und am Ende geht es auch noch gegen das Gendern. Gähn! Klar, kann man auch noch mal debattieren wie ein Leserbriefschreiber diese Woche, der mein Gendern an dieser Stelle als „Besserwissererei aus den Stützen das kapitalistischen Hoch-Kulturbetriebes“ interpretierte. Wir können in unseren Altersheimen noch lange gegen das Gendern wettern: Früher oder später wird es so normal werden, wie es das für den Duden bereits ist, denn die Welt dreht weiter – und es ist ziemlich anstrengend, einfach stehenzubleiben.

Klassik-Radio-Kürzungen: BBC und ORF

BBC Singers
Wir hatten es in den letzten Wochen immer wieder mit der Kürzungsdebatte beim ORF zu tun: 300 Millionen Euro müssen eingespart werden, noch immer ist offen, ob das legendäre ORF Radio-Symphonieorchester Wien von Marin Alsop geopfert wird. Am 23. März soll dazu entschieden werden. Mindestens ebenso dramatisch sind die Sparmaßnahmen bei der BBC, hier müssen 20 Prozent des Etats eingespart werden. Zum Opfer werden dem Kurs wohl die BBC Singers fallen, der einzige Radiochor des Landes mit 20 festen Stellen.
Simon Webb von der BBC begründet den Schritt so: „Wir wollen unser Publikum an verschiedenen Orten erreichen, auch dort, wo wir noch nicht sind.“ Deshalb wolle man flexible Ensembles schaffen und mit mehr regionalen Künstlerinnen und Musikern in ganz Großbritannien zusammenarbeiten. „Wir wollen die Einsparungen möglichst kreativ gestalten“, so Webb. Aber am Anfang stünde die Tatsache, dass man schlicht nicht mehr das Geld habe, um weiterzumachen wie bisher. Der Guardian spricht von einem Akt des kulturellen Vandalismus.

Frankfurter Milliarden

Theater kosten Geld – immer! Gerade hat die DPA die Kosten für Sanierungen allein in Hessen vorgerechnet. Für die Staatstheater in Kassel, Wiesbaden und Darmstadt seien allein vom Land bis 2024 insgesamt 78 Millionen Euro im Haushalt für Modernisierungen vorgesehen. Besonders kostspielig wird die Situation in Frankfurt: Oper und Schauspiel sollen in der Innenstadt neu gebaut werden. Eine Expertenkommission schätzt die Kosten auf 1,27 Milliarden Euro.

Personalien der Woche

Daniel Harding
Wir haben es an dieser Stelle bereits vor einigen Wochen geschrieben, nun ist es offiziell: Daniel Harding wird 2024 das Orchester Santa Cecilia in Rom übernehmen. Er hat einen Fünfjahresvertrag als Nachfolger von Antonio Pappano unterschrieben. +++ An der Anton Bruckner Privat­uni­ver­sität in Linz wird ein Niko­laus Harnon­court Zentrum gegründet. Es über­nimmt den künst­le­ri­schen Nach­lass des 2016 gestor­benen Diri­genten und Cellisten, der auch sein Leben und Werk doku­men­tiert. Es handelt sich um audio­vi­su­elle Medien, rund 50 Regal­meter Noten­ma­te­rial sowie knapp zwei Kubik­meter Korre­spon­denzen, Essays, Notizen zu Werken und zur Auffüh­rungs­praxis, Vortrags­ma­nu­skripte sowie Mate­rial zu seiner jahre­langen univer­si­tären Lehre.
Thomas Trenkler berichtet in der österreichischen Zeitung Kurier, dass es im Direktorium der Salzburger Festspiele noch immer rumort – auch nach dem Machtwort von Landeshauptmann Wilfried Haslauer gibt es keine Ruhe zwischen der entmachteten Festspiel-Präsidentin Hammer und Intendant Markus Hinterhäuser - vielleicht sollten sie sich mal gemütlich im Café Bazar aussprechen. +++ Sopran-Battle in der New York Times. Die Zeitung berichtet über zwei Premieren an der Met und stellt fest: Während Sonya Yoncheva der Atem für die langen Norma-Bögen fehlt, besticht Angel Blue als warm timbrierte Violetta in La Traviata. +++ Juan Diego Flórez hat seinen Vertrag als Künstlerischer Leiter des Rossini-Festivals in Pesaro bis 2026 verlängert.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Heute ist es ein Bild, das der Pianist Rudolf Buchbinder gepostet hat, es zeigt ihn mit Daniel Barenboim und Martha Argerich: Drei Piano-Legenden treffen sich in Wien.
Daniel Barenboim, Rudolf Buchbinder und Martha Argerich im Café des Hotels Imperial
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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