KlassikWoche_RGB_2020-09

Beethoven, Verschwörung und Bankrott

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute mit allerhand Verschwörungen, einem Beben der Sponsoren, etwas mauen Neuigkeiten über Beethoven und einem Lese-Befehl!

Und was kommt nach der Rettung?

Marin Alsop am Pult des RSO Wien
Das waren doch mal zwei positive Nachrichten diese Woche: Sowohl die BBC Singers als auch das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, das RSO Wien, scheinen gerettet! Beide Ensembles standen auf der Sparliste ihrer Sender. Klar ist aber auch, dass Klassik-Ensembles aus diesen Debatten lernen müssen: Sowohl die BBC Singers als auch das RSO Wien haben in der Vergangenheit nicht mehr klar machen können, warum es sie überhaupt gibt. Umso wichtiger, auch für deutsche Rundfunkorchester, sich eindeutig zu positionieren, als Spitzen-Ensemble mit Breitenwirkung wie das BRSO oder als Orchester, das wirklich nahe bei den Menschen ist. Können die Orchester von WDR, NDR oder SWR diese Antworten überzeugend geben?
Vor allen Dingen aber ist es die Verantwortung der Rundfunk- und Fernsehsender, ihre Ensembles im Programm wieder sichtbar zu machen: Schafft neue Radio-Opern, bindet die Orchester mehr in Kinderprogrammen ein – zeigt die Orchester, wo immer sich eine Chance im Fernsehen bietet. Stattdessen ist es nun auch offiziell, dass der Bayerische Rundfunk die letzte ARD-Klassik-Sendung, KlickKlack, auslaufen lässt. Und, liebe Klassik-Leute, lasst bitte die Argumentation von Dirigent Ulf Schirmer (keine Ahnung, warum der Spiegel ausgerechnet ihn gefragt hat!): Er erklärt, man solle lieber beim Sport kürzen als in der Kultur. Damit macht er sich unnötig Feinde. Es wäre klüger, wenn die Kultur etwas von den Mechanismen des Sports lernte, statt ihn als Gegner zu begreifen (John Eliot Gardiners Argumentation ist da schon schlüssiger).  

Wie seriös sind diese Wettbewerbe?

Mir wurde von einer Leserin eine merkwürdige Klassik-Seite weitergeleitet: Es handelt sich offensichtlich um einen Verbund von Musikwettbewerben, an denen so ziemlich jeder teilnehmen kann. Voraussetzung: ein kurzes Bewerbungs-Video und eine Gebühr von 45 bis 65 Pfund Sterling. Die Wettbewerbe tragen Namen wie London Young Musician Awards, Universal Stars Music Competition, Bach Music Competition, Beethoven Music Competition oder World Classical Music Awards – größer geht es also nicht.
Dabei verbirgt sich hinter all diesen Wettbewerben offensichtlich eine einzige Seite, eine einzige Idee und eine einzige Jury, deren Namen jedenfalls mir vollkommen unbekannt sind. Überall auf dieser Seite wird mehr oder weniger klar: Es geht um das Bezahlen – und erst dann passiert (vielleicht) alles andere. Die jeweiligen Wettbewerbe sind in so viele Kategorien unterteilt, dass es – etwas überspitzt formuliert – schwer scheint, irgendwo nicht zu gewinnen. Meine Anfrage nach den Hintergründen, nach Kriterien und mehr zu den Geldflüssen, blieb bislang unbeantwortet. Und so bleibt festzustellen: Erstaunlich, was es alles gibt!       

Was Beethovens Gene uns erzählen

Beethovens Haarlocke
Ta-ta-ta-taaaaaaa – das war schon viel Lärm um sehr wenig. Was genau die genetische Untersuchung der Beethoven-Haare gebracht hat, ist ausführlich in der FAZ nachzulesen. Hier nur in Kürze:  Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, die Universität Cambridge und das Universitätsklinikum Bonn haben herausgefunden, dass Beethoven eine Veranlagung zu Lebererkrankungen hatte. Er war mit Hepatitis B infiziert, was einen Hinweis auf seine Todesursache geben könnte. Zusammen mit seinem Alkoholkonsum hätten diese Faktoren seinen frühen Tod sicherlich begünstigt, heißt es in der Studie. Sie räumte auch mit den Vermutungen auf, Beethovens Vorfahren wären PoC aus Afrika, eine Theorie, die sich nicht erhärtete.
Ein wenig DNA-Voyeurismus gab es dann auch noch: Vergleiche des Erbguts noch lebender Verwandter Beethovens mit der DNA des Komponisten legen nahe, dass es in Beethovens väterlicher Linie ein „außereheliches Ereignis“ gegeben haben muss. Einer von Beethovens biologischen Vorfahren war also gar kein Beethoven. In welcher Generation dieses Ereignis stattgefunden hat, konnten die Forscher allerdings nicht bestimmen. Nun denn.

Ist Banken-Bankrott auch Kultur-Bankrott?

Die Abwicklung der Schweizer Bank Credit Suisse hat auch Auswirkungen auf die Kultur. In einem ausführlichen Artikel für die Schweizer Mediengruppe (u.a. Aargauer Zeitung) beschäftigt sich unter anderem Christian Berzins mit der Frage nach der Zukunft des Kultursponsorings. Im Opernhaus Zürich sei die Credit Suisse geschätzt mit zirka einer Million Franken Hauptsponsor, „bei der Tonhalle und dem Lucerne Festival dürfte es nicht viel weniger sein. Beim Lucerne Festival war die Credit Suisse nicht nur einer von fünf Hauptsponsoren, der Name der Bank ist auch mit einem international renommierten Preis verbunden: Die Credit Suisse Foundation fördert mit zwei jährlich alternierenden Preisen – dem Credit Suisse Young Artist Award und dem Prix Credit Suisse Jeunes Solistes – junge Musikerinnen und Musiker. Der ‚kleine‘ Preis beträgt 25.000 Franken, der große 75.000.“ Ob die UBS die Sponsoring-Tätigkeiten übernimmt, ist offen – aber eher unwahrscheinlich. Fakt ist, dass in den letzten Jahren bereits ein Rückzug von Sponsoren aus der Klassik stattgefunden hat. Ein Phänomen, das übrigens auch in Deutschland zu beobachten ist: Hier sind es besonders große Autohersteller, die sich peu à peu aus dem Klassik-Sponsoring zurückziehen. In Opernhäusern und bei Festspielen sollten die Alarmglocken läuten!

Muss man immer alles mitmachen?

David Martons Freischütz-Inszenierung
Ich glaube fest an das Musiktheater an der Wien von Stefan Herheim. Aber nach der desaströsen Freischütz-Premiere stellen sich mir zwei Grundsatzfragen für Opernproduktionen generell. Die erste betrifft den Einsatz von Videos in der Oper: Warum, verdammt, zeigen Regisseure wie David Marton (Video: Chris Kondek) auf Giga-Leinwänden, was auf der Theaterbühne eh zu sehen ist? Wollen sie ihr ästhetisch langweiliges Biedermeier-Theater pseudo-modernisieren? Das ist eine Un-Mode geworden, zu sehen gerade auch bei Cyril Testes Salome an der Wiener Staatsoper. Hier ist im Bühnenhintergrund aufgeblasen, was jeder im Bühnenvordergrund sieht. Tobias Kratzers Tannhäuser oder Frank Castorfs Bayreuther Video-Installationen in Tannhäuser oder Rheingold waren deshalb spannend, weil das Medium Film bei ihnen eine eigene Erzählebene entwickelte. Aber drei Stunden lang ein 20-Meter-Leinwand-Kino im Theater (dazu mit dilettantischen technischen Mitteln, fragt doch bei Kino-Leuten, wie das geht!!!) ist eine Beleidigung für Augen, Ohren (Sänger werden absurd positioniert) und vor allen Dingen: den denkenden Kopf! Die andere Grundsatzfrage: Dirigent Patrick Lange konnte sein Ensemble durch die Leinwand offensichtlich nicht sehen – und die Sängerinnen und Sänger ihn nicht (abgesehen davon, dass sie dauernd gegen irgendwelche Bühnengegenstände singen mussten!). Das sind unzumutbare Produktionsbedingungen, die natürlich zu einem musikalisch miserablen Ergebnis geführt haben. Und hier meine Frage: Warum steht da niemand auf? Müsste da nicht ein musikalischer Leiter, eine Sängerin oder ein Sänger, oder, ja: ein Intendant, sagen: „Sorry, Herr Marton, mag sein, dass Sie eine gute Idee hatten – aber das ist großer Mist! Das funktioniert nicht. Und ich mache da nicht mehr mit!“ Stattdessen haben 20 Leute auf der Bühne dieses Horror-Theater mitgespielt. Man saß da und fragte dauernd: „Warum?“ Mir war das in der Pause zu viel – ich bin dann schön essen gegangen.

Currentzis schweigt auch bei seinen Freunden

Mir ist bewusst, dass unsere Recherchen über Russlands Verbindungen in die europäische Kulturlandschaft manche LeserIn nerven. Auf der anderen Seite ist Beharrlichkeit wichtig, wenn Journalismus investigativ wird. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist viel passiert: Debatten, Neueinordnungen und Abwägungen. Sehr offen ging Wiens Konzerthauschef Matthias Naske nun mit der Causa Teodor Currentzis um. „Sie wissen um meine alte, gute Beziehung zu Teodor Currentzis“, sagte er der Wiener Zeitung (Naske ist nach Medienberichten als zeichnendes Mitglied der musicAeterna-Stiftung in Liechtenstein zurückgetreten) und führte aus: „Sie finden den Dirigenten aber nicht mehr im Programm der nächsten Saison. Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis eines intensiven, schmerzhaften Reflexionsprozesses. Currentzis äußert sich weiterhin nicht zum Ukraine-Krieg. Ich hatte ihn um ein Statement ersucht, das bis heute nicht kam. Die politische Dimension dieses Schweigens ist so groß, dass wir uns entschlossen haben, auf Engagements von Currentzis ab der Saison 2023/2024 bis auf Weiteres zu verzichten.“ Mit anderen Worten: Teodor Currentzis ignoriert nicht nur seine Kritiker, sondern lässt auch jene Wegbegleiter sitzen, die ihre Hand für ihn ins Feuer gelegt haben. Und sonst? Geht alles seinen diktatorischen Gang: Valery Gergiev gastiert neuerdings wieder in China.

Personalien der Woche

Festspielhaus Erl
Die Festspiele in Erl suchen einen neuen Intendanten. Frankfurt-Intendant Bernd Loebe will die Festspiele 2025 verlassen, angeblich, weil er sich keiner Ausschreibung stellen will. Der Mäzen, Hans Peter Haselsteiner, der viel zu lange loyal gegenüber Gustav Kuhn war, hat nun auch wieder sehr merkwürdige Personal-Hoffnungen. Angeblich favorisiert er Lotte de Beer, die gerade die Volksoper neu denkt oder Bogdan Roščić, der die Wiener Staatsoper weitgehend kreativ verwaltet. +++ Die Wiener Symphoniker haben die französische Dirigentin Marie Jacquot zur ersten Gastdirigentin ernannt. Hier unser Wohnzimmer-Konzert mit ihr. +++ Lob: Die neue Leiterin des Berliner Festivals MaerzMusik, Kamila Metwaly, wird in der FAZ für ihr Programm gelobt. +++ Angelika Wild und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke haben den Verein Art but fair United gegründet, einen europaweiten Berufsverband, der die wirtschaftlichen und sozialen Interessen freischaffender KünstlerInnen an öffentlich geförderten bzw. in öffentlicher Trägerschaft befindlichen ständigen Theaterunternehmen, Festivals und Konzertbühnen vertreten will.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Mein Beruf hat den großen Vorteil, dass ich Menschen kennenlernen darf, die ich spannend finde. Ich lade sie einfach zu einer Podcast-Folge ein! Einer dieser Menschen ist Stefan Kutzenberger – seine Bücher sind poetische Gehirn-Verrenker, stellen unsere Wirklichkeit in tollen Geschichten in Frage und spielen mit den Grenzen von Realität und Erfindung. Genau das ist auch Thema der neuen Mythos-Operette von Komponist Moritz Eggert. Die letzte Verschwörung um „Flacherdler“, Reptiloide“ und „Pizzagate“ hat am Samstag an der Volksoper in Wien gezeigt, dass eine moderne Volksoperette durchaus unterhaltsam sein kann, obwohl sie so tragisch ist wie ein Wozzeck unserer Zeit. Wo beginnt in unserer Welt die Fiktion? Ist ein Großteil unserer Realität längst erfunden? Und welche Rolle spielt dann die Kultur? Wenn Sie all das interessiert, lesen Sie bitte Stefan Kutzenbergers Jokerman oder Kilometer null und gehen Sie in Die letzte Verschwörung! Aber hören Sie auf jeden Fall den neuen Podcast mit den beiden, hier ist Alles klar, Klassik? (für Apple oder alle anderen Player).
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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