KlassikWoche_RGB_2020-09

»Qualität statt Nationalität«

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute geht es im Gespräch mit den Dirigenten Ádam Fischer und Fabio Luisi um Musik in Ländern mit nationalistischen Regierungen, um die Bezahlung freischaffender MusikerInnen, um einen alten Mann und eine junge Dame.

Musik unter Rechten

Nachdem Italiens Kulturminister Gennaro Sangiu­liano letzte Woche erklärte, dass Führungspositionen in der Kultur zu oft von „Ausländern“ besetzt seien, wollte ich mehr wissen. Aber die Angst unter Kulturschaffenden in Ländern mit Rechts-Regierung scheint groß zu sein. Gesprochen wird nur hinter vorgehaltener Hand. Ein italienweiter Kultur-Protest hat sich noch nicht formiert. Umso mehr möchte ich Ihnen meinen aktuellen Podcast Alles klar, Klassik? ans Herz legen, in dem es um Kultur in Ländern geht, die von Rechtsnationalen regiert werden. Einen, den der neue nationalistische Rechtskurs Italiens treffen könnte, ist der Chef der Mailänder Scala, Dominique Meyer. Besonders gefährlich scheint Sangiulianos neue Beraterin in Sachen Klassik: die Dirigentin Beatrice Venezi. Musikalisch ist sie eher unbedeutend, politisch um so gefährlicher. Ich habe ein Interview mit dem Dirigenten Fabio Luisi geführt. Er sagt: „Die Ankündigungen von Italiens Rechtsregierung sind bedrohlich, aber noch fehlt es der Regierung von Giorgia Meloni am Handwerkszeug, die Ankündigungen auch umzusetzen.“ Luisi warnt: „Posten dürfen nicht zur Frage der Nationalität werden, sie müssen eine Frage der Qualität sein!“
Auch mit Ádam Fischer habe ich mich über die nationalen Strömungen seiner Heimat Ungarn unterhalten. Und seine Antworten sind wirklich hörenswert: „Die Ungarn sind nicht für die Demokratie geboren, das wusste schon mein Vater“, sagt der Chefdirigent der Düsseldorfer Symphoniker in Düsseldorf und hadert mit seinen Landsleuten und der Regierung von Viktor Orbán. Er habe lange für die Demokratie gekämpft, sei aber resigniert, erklärt Ádam Fischer. Anders als András Schiff wird er aber auch weiterhin in Ungarn auftreten: „Mit Ungarn ist es wie mit einer Familie – auch im größten Streit bleibt es ja die Familie.“ Manchmal liegt das Schlechte auch sehr nahe: In Niederösterreich regiert die nationalistische Partei, die FPÖ mit: Was passiert mit Rudolf Buchbinders Grafenegg-Festival? Werden die Rechten die Kultur als Wohnzimmer ihrer Politik benutzen? Der Kulturchef der Wochenzeitung Falter aus Wien, Matthias Dusini, glaubt nein und sagt: „Das wäre überraschend, da die bisherigen Rechtsregierungen mit FPÖ-Beteiligung die Kultur weitgehend der ÖVP überlassen haben.“ (Um den Podcast kostenlos auf Spotify zu hören, klicken Sie einfach auf das Bild unten).

Viele Töne, wenig Kohle

Eine neue Studie vom Deutschen Musikinformationszentrum (miz) kümmert sich um die Einkommensschere zwischen fest angestellten und freiberuflichen MusikerInnen: Festangestellte verdienen demnach durchschnittlich 2.940 Euro netto im Monat, während es bei ihren freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen nur 2.460 Euro sind (hier heben natürlich die Spitzengehälter den Schnitt).
Die soziale Schere gehe aber noch viel weiter auseinander, sagt Stephan Schulmeistrat, Leiter des miz: Jeder fünfte Musikschaffende verdiene laut Studie im Monat sogar unter 1.500 Euro. Das sei besonders paradox, weil Freiberufler mehr verdienen müssen, um ihre Absicherung im Vergleich zu Festangestellten selbst zu stemmen. Außerdem würden Frauen durchschnittlich 24 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Fast die Hälfte der Berufsmuszierenden (48 Prozent) übt nebenher musikpädagogische Tätigkeiten aus. Die höchsten Anteile finden sich unter den Frauen (52 Prozent) sowie bei über 60-Jährigen (59 Prozent).

Bayreuther Befindlichkeiten

Jetzt geht es um Bayreuth, aber mal nicht um die Bayreuther Festspiele, sondern um das Festival Bayreuth Baroque. Es ist der freien Wählergemeinschaft Bayreuther Gemeinschaft ein Dorn im Auge. Eigentlich sollte das durchaus erfolgreiche Festival von Max Emanuel Cenčić nur für drei Jahre subventioniert werden, sagt Politiker Stephan Müller, jetzt scheine es Absicht zu sein, die städtische Subvention in Höhe von 350.000 Euro „bis zum Sankt Nimmerleinstag weiterlaufen zu lassen“. Bei den ehrenamtlichen Kulturvereinen der Stadt soll hingegen der Rotstift angesetzt werden. „Diesen Weg gehen wir nicht mit“, sagt Müller.
Und am Ende kümmert sich die Bayreuther Gemeinschaft dann auch noch um ein Stück Wagner: Sie hat vorgeschlagen, dass von der Stadt Bayreuth rechtzeitig zum 150. Jubiläum der Bayreuther Festspiele im Jahr 2026 eine Sonderfigur „Richard Wagner“ bei der Firma Playmobil in Auftrag gegeben wird. Na denn!

Personalien der Woche I

Sir Simon Rattle, der noch bis Ende dieser Saison Chefdirigent des London Symphony Orchestra ist, hat am Sonntag im Londoner Barbican Centre ein Protestkonzert der BBC Singers dirigiert. Die mussten ihren Arbeitgeber, die BBC, aber erst um Erlaubnis bitten, außerhalb der BBC auftreten zu dürfen. Rattle sagte der Times, es sei nicht die Zeit, diplomatisch zu sein: „Wir müssen die Menschen daran erinnern, dass eine ganze Kunstform bedroht ist.“

Wie unterschiedlich doch Meinungen sein können: Während Felix Stephan in der Morgenpost erklärt, dass die Stimmung zwischen den Berliner Philharmonikern und ihrem Debütanten Klaus Mäkelä nicht stimmte, war Frederik Hanssen vom Tagesspiegel durchaus begeistert. Das Gute: Warten wir, bis das Konzert in der Digital Concert Hall bearbeitet ist – und dann kann sich jeder selber eine Meinung bilden. +++ Wenn Sie ein bisschen Englisch können, empfehle ich Ihnen einen Text, wie es ihn nur selten in Zeitungen gibt: Grammophone hat einen epischen Artikel über den Komponisten Mieczysław Weinberg veröffentlicht – darin: so ziemlich alles, was Sie über das Leben und die Musik dieses Künstlers wissen müssen.

Domingo für Harteros

Ey, Serge Dorny – ich finde deine Überlegungen zur Reform unserer Opernlandschaft („Muss jedes Haus ein Ensemble haben?“, „Auch Weltstars müssen in Prestige-Ensembles!“, „Wir brauchen eine Debatte um neue Preisstrukturen!“) durchaus spannend und diskussionswürdig. Aber was soll denn das: Statt Anja Harteros singt jetzt Plácido Domingo bei den Münchner Opernfestspielen? Das Netz lacht sich schlapp, auf Twitter wird schon gefragt, wann Domingo als Elsa oder Isolde debütiert.

Macht Serge Dorny jetzt auch Oper für den erlauchten Alt-Herrenclub um Nikolaus Bachler, Markus Hinterhäuser und Opi? Leute – give future a chance! Vielleicht mal in die USA schauen, wo MET-Chef Peter Gelb und sein Dirigent Yannick Nézet-Séguin 17 Gegenwartsstücke in den nächsten fünf Jahren präsentieren wollen.

Personalien der Woche II

Joe Chialo
Valery Gergiev wird von China eingeladen: Nach den russisch-chinesischen Konsultationen wurde bekannt gegeben, dass Gergiev am National Centre for the Performing Arts auftreten wird. +++ An dieser Stelle haben wir uns gerade ausführlich mit Künstlicher Intelligenz und Musik beschäftigt. Im Pop hat nun die KI-Version eines Songs, der wie von Drake klang, für eine große Urheber-Debatte gesorgt: Besonders Labels fordern eine Abgeltung ihrer Rechte. The Verge hat das Problem ausführlich besprochen. Sicher ist: KI wird vieles verändern, auch in der Klassik.
Wenn Journalisten Politiker lieben, dann liest sich ein Text so wie jener von Thomas E. Schmidt in der Zeit über Berlins neuen Kultursenator Joe Chialo. Eine ultimative Lobhudelei. Spannend wird, wie Chialo die Personalie Daniel Barenboim (Glückwunsch zur Ehrenbürgerschaft!) ersetzen wird: Thielemann, oder doch jemand anderes? Erstaunlich still ist es um die designierte Intendantin Elisabeth Sobotka – wen sie wohl favorisiert?

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Auf meinen letzten Newsletter und die Bilder von Lorenzo Viotti, der halbnackt auf einem Bett mit sich selber spielt, habe ich SEHR VIELE (in Worten: "sehr viele!!!!") Zuschriften bekommen! Na, Sie sind mir ja eine Leserschaft: Von Aufforderungen, das Bild nachzustellen bis zu weiteren Highlights aus dem Netz, unter anderem von Aida Garifullina (Arbeitstitel: Klassik-Stars im Dschungelcamp, siehe oben), war alles dabei. Selbst der Vorschlag eines Dirigenten-Kalenders im Stil der Bäuerinnen-Kalender: Andris Nelsons als Sumo-Ringer, Sir Simon Rattle als lockiger Samson oder Klaus Mäkelä, Franz Welser-Möst, Kirill Petrenko, Christian Thielemann, Thomas Guggeis oder Paavo Järvi als einige der neun Musen – natürlich mindestens mit freiem Oberkörper. Leider kann meine KI das nicht generieren!!!! Aber mit Moritz Eggert habe ich mal eine Opern-Performance geschrieben, in denen auch die absurdesten Plattencover aller Zeiten eine Rolle gespielt haben. Weil Sie es nicht anders wollen: Hier ist die Top-Auswahl! Und das Versprechen: Im nächsten Newsletter schlüpfe ich in die lustigste Pose, die Sie mir vorschlagen!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

bueggemann@crescendo.de

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