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Schlag ins Gesicht: Gardiner, Salzburg, Netrebko
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Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute mit einem Schlag ins Gesicht, mit einem Blick auf Berliner Inszenierungen und einigen moralischen Grundsatzfragen.
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Berliner Inszenierungen
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Joana Mallwitz ist allgegenwärtig: Die neue Chefdirigentin des Konzerthausorchesters in Berlin sitzt in Talkshows, gibt erschreckend biedere Interviews wie gerade mit Reinhard Brembeck in der Süddeutschen Zeitung und irritiert gleichzeitig auf dem offiziellen Foto des Orchesters: eine Dirigentin, deren MusikerInnen im Hintergrund unter einem merkwürdigen Lichtdom die Revolution planen (oder sich gegen die Benennung der Chefin aufregen?). Auf meinem neuen Insta-Profil backstageclassics habe ich eine Umfrage gestartet: Nur 19 Prozent fanden das Bild „absolut modern“, 50 Prozent finden: „Bei einem Mann wäre das peinlich“, und 31 Prozent stimmten für: „Sieht nach Karajan aus“. Interessant dabei: Joana Mallwitz wird vom gleichen Agenten wie Philharmoniker-Chef Kirill Petrenko vertreten, von Michael Lewin, und verkörpert doch das absolute Gegenbild. Was man aber auch sagen muss: Mallwitz belebt eine im Umbruch befindliche Berliner Klassik-Szene. Die Komische Oper zieht (ohne inhaltliche Neuerfindung) ins Exil, die Staatsoper ringt um einen neuen Musikdirektor (ich persönlich glaube, es wird knapp für Christian Thielemann), und bald wird vielleicht die Deutsche Oper unter dem designierten Intendanten Aviel Cahn von all diesen Rochaden profitieren und sich als eigentlich progressives Haus aus der jahrelangen Bedeutungslosigkeit befreien. Ich habe diese Gedanken für den Cicero (hinter der Bezahlschranke) etwas ausführlicher aufgeschrieben, und den Fall Mallwitz debattieren wir auch im Podcast Alles klar, Klassik?.
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Schläge ins Gesicht der Klassik
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Mir war nicht bewusst, dass John Eliot Gardiner offensichtlich ebenso bekannt für seine Ausraster ist wie für seine Einspielungen. Auch nicht bekannt war mir der Text des Spectator, in dem der Journalist Damian Thompson bereits 2015 von der „rudeness of John Eliot Gardiner“ berichtet hat. Nachdem der Dirigent den Sänger William Thomas nun ins Gesicht schlug, weil dieser die Bühne auf der falschen Seite verlassen hatte, sich später entschuldigte (es wären die Hitze und die Medikamente gewesen) und seine Tournee mit Berlioz’ Oper Les Troyens abgesagt hatte, fragte ich auf Facebook und Instagram nach weiteren Erfahrungen mit John Eliot Gardiner.
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Besonders interessant ist, was Regisseur Thomas Guthrie schrieb, der mehrfach mit Gardiner zusammengearbeitet hatte: Er erzählt ebenfalls von Übergriffen und gibt eine spannende Geschichte wieder, die Gardiner ihm einmal erzählt habe: Als kleines Kind sei er zur Strafe von seinen Eltern aus dem Auto geschmissen worden und musste den Weg nach Hause allein finden. Der strenge Einfluss seines Vaters Rolf Gardiner, der offensichtlich in der britischen Nazi-Partei engagiert war, wurde von vielen thematisiert. Außerdem wurde von „Brüll-Proben“ im Wiener Konzerthaus berichtet und davon, dass viele sich eher unwohl in der Nähe des Dirigenten fühlen würden. Umso wichtiger, dass derartiges Verhalten inzwischen öffentlich debattiert wird und Konsequenzen hat. Das Bild oben zeigt übrigens, wie ironisch man auf Facebook mit dem Vorfall umgegangen ist.
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„Kein Kommunikationsbedarf“ beim SWR
Der SWR manövriert sich immer tiefer in eine Kommunikations-Katastrophe. Nachdem das Orchester und seine Managerin Sabrina Haane sowohl mir als auch anderen Journalisten erklärt hatten, der SWR würde den Auftritt des russischen Basses Alexey Tikhomirov (er trat in Russland mit dem Sankt-Georgs-Band auf und befürwortete auf sozialen Medien Putins Angriffskrieg) bei einer Konzert-Tournee mit dem Orchester und seinem Chefdirigenten Teodor Currentzis im September prüfen, schrieb sie dem Journalisten Alexander Strauch, als der nun noch einmal nachhakte: Es bestünde in dieser Sache „kein Kommunikationsbedarf“. Das muss man sich mal klar machen! Da werden JournalistInnen vom Orchester eines öffentlich-rechtlichen Senders zunächst vertröstet, dann bekommen sie keine Antwort mehr, und bei erneuter Nachfrage heißt es von der Kommunikations-Abteilung, es bestünde „kein Kommunikationsbedarf“. Hier wird ausgerechnet vom Orchester eines öffentlich-rechtlichen Senders journalistische Arbeit mit Füßen getreten. Natürlich, lieber SWR, gibt es in einer Demokratie „Kommunikationsbedarf“, sobald JournalistInnen ernsthafte Fragen zu ernsthaften Recherche-Ergebnissen stellen. Aber der Sender agiert in seiner Öffentlichkeitsarbeit immer mehr wie sein zu allem schweigender Chefdirigent Teodor Currentzis – nicht ausgeschlossen, dass der sich über den Umgang mit Journalisten in einer Demokratie ins Fäustchen lacht. Um die ganzen Verstrickungen in diesem Fall zu verstehen, hat Alexander Strauch sie hier noch einmal detailliert zusammengefasst. Ach ja, über die angebliche Trennung von Redaktion und Orchester beim SWR wird in den kommenden Wochen sicherlich auch noch berichtet werden.
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Immer konkreter gestaltet sich die Situation derweil für Anna Netrebko: Nachdem ihr Konzert in Prag abgesagt wurde, trat sie nun auch nicht in Liechtenstein auf (angeblich krankheitsbedingt), und ein anstehendes Konzert im November in Estland wurde wohl ebenfalls abgesagt. Außerdem formiert sich breiter Protest gegen ihren Auftritt an der Staatsoper in Berlin. Auf Instagram „korrigierte“ die Historikerin Franziska Davies gerade den Netrebko-Eintrag der Staatsopern-Seite (siehe Foto).
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Österreichs Presse demontiert Hinterhäuser
Die Luft wird dünner für Markus Hinterhäuser. Während der Festspiele hat die österreichische Presse stillgehalten, aber jetzt nimmt sie kein Blatt mehr vor den Mund: Im Herbst soll über die Verlängerung des Intendanten der Salzburger Festspiele, über die Zukunft von Hinterhäuser, verhandelt werden. Da zieht der österreichische Standard eine eher ernüchternde Bilanz. Die JournalistInnen Ljubisa Tosic, Stephan Hilpold und Margarete Affenzeller sprechen von „besorgniserregender Routine“, üben Kritik an der „Programmierung“ und an der „selbstverständlichen Abwehrhaltung einer diskursiveren Durchlässigkeit des Festivals und seiner gesellschaftspolitischen Positionierung“. Die AutorInnen analysieren: „Warf sich Langzeitpräsidentin Helga Rabl-Stadler noch breitbeinig in Diskussionen, verschanzt sich Hinterhäuser gerne in seiner künstlerischen Trutzburg“. Der Standard kommt zu dem Schluss: „Hinterhäuser scheint die Rolle als ‚König von Salzburg‘ (so titelte ein Wiener Magazin) zu überfordern.“ Und weiter: „Im Herbst steht Hinterhäusers mögliche Vertragsverlängerung an – da sollten zuvor noch intensive Gespräche geführt werden.“ Das Credo des Textes: Hinterhäuser kann es nicht. Ach ja, und dann ist da noch das Profil, Österreichs großes Nachrichten-Magazin. In der Welt rechnet Manuel Brug erbarmungslos mit den Festspielen ab: Martin Kušejs Figaro sei „plump“ gewesen, der Orfeo ein „Schmerzensvehikel für den alternden Mezzo-Star Cecilia Bartoli“, Macbeth sei „aufgewärmt“, Christoph Marthalers Falstaff „uninspiriert“ und schlecht dirigiert – alles in allem, so Brug: „ein Desaster“.
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Personalien der Woche
Der ARD-Musikwettbewerb ist eröffnet. Aber statt musikalischer Nachrichten bedrücken eher die perspektivischen Aussichten. Die Sparmaßnahmen der öffentlich-rechtlichen Sender gehen weiter: 2025 wird die Umlage der ARD-Anstalten zur Finanzierung der Veranstaltung von 740.000 Euro um die Hälfte auf 370.000 Euro gekürzt, der BR-Beitrag aber erhöht. Was 2026 und folgende Jahre sein wird, dürfte sich erst im Frühjahr 2024 entscheiden. Die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Es scheint, als befände sich die ganze Veranstaltung gleichsam auf einer immer kleiner werdenden Eisscholle. Denn für 2025 müsse man nun von vier auf drei Konkurrenzen zurückfahren. Sonst könne man mit dem Wettbewerb kaum mehr eine Generationenfolge der jungen Künstler abbilden.“ +++ Die taz führt eine merkwürdige Sommerloch-Debatte, die sonst eigentlich niemand führt: Sollen Stadttheater in der Sommerpause weiterspielen? Natürlich nicht! Ein selten naiver Text. Wie wäre es wenigstens damit, den Klassik-Zirkus mal mit dem Fußball zu vergleichen: Nach der Saison geht es gleich weiter in die Champions-League und Weltmeisterschaft der Festspiele – kein Wunder, dass es zu immer mehr krankheitsbedingten Absagen kommt.
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Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Die Sommerpause unseres Podcasts Alles klar, Klassik ist vorüber. Die neueste Folge ist bereits online (hier für Apple Podcast oder alle anderen Anbieter) oder hier für Spotify.
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In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
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Gefällt Ihnen die KlassikWoche? Dann sagen Sie´s weiter!
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Wir versenden keine Spam-Mails und verkaufen keine Email-Adressen. Versprochen!
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