Anke Engelke

„Gefühle reichen, um die Welt auf den Kopf zu stellen.“

von Rüdiger Sturm

17. September 2020

Anke Engelke verkörpert in der Netflix-Serie tragikomischen „Das letzte Wort“ an der Seite von Thorsten Merten eine Frau, die einen Weg sucht, den plötzlichen Tod ihres Ehemannes zu bewältigen und Trauerrednerin wird. Bei einem Kaffee erzählt sie von der Kraft, die Musik und Kunst für die Ewigkeit haben können und von ihrem Glauben an ein Jenseits.

CRESCENDO: In Ihrer Netflix-Serie „Das letzte Wort“ spielen Sie eine Trau­er­red­nerin, die selbst den Tod ihres Mannes zu bewäl­tigen hat. Macht das ein biss­chen Angst, wenn man so intensiv in das Thema „Sterben“ eintau­chen muss?

Anke Engelke: Total berech­tigte Frage. Aber meine Antwort ist: Nein! Obwohl das Thema so schwer ist, war mit der Vorbe­rei­tung und dem Dreh der Serie eine solche Leich­tig­keit verbunden. Die inten­sive Zusam­men­ar­beit hat mich dem Team näher gebracht, auch privat. Gestern war ich zum Beispiel mit meiner Co-Darstel­lerin Nina Gummich etwas und trinken. Das ist norma­ler­weise nicht der Fall. Durch „Das letzte Wort“ bin ich, glaube ich, posi­tiver gestimmt: Jetzt erst recht das Leben genießen, jetzt erst recht mit vollem Bewusst­sein durch den Tag latschen, anstatt zu denken „Lohnt sich nicht, ist eh bald alles vorbei“. Ich habe offenbar an Zuver­sicht gewonnen.

Hatten Sie diese Wirkung erwartet?

Das ist viel­leicht ein Geschenk im Beruf der Schau­spie­le­rInnen, dass man nicht weiß, wohin die Reise geht. Ich will es mir auch nicht vorstellen. Dafür muss man keine Mystery-Serie mit Drachen oder Krimis mit Schie­ße­reien und Verfol­gungs­jagden drehen. Gefühle allein reichen schon aus, um die Welt auf den Kopf zu stellen. Natür­lich kannte ich den Inhalt bis auf den letzten Satz. Ich habe ja die Dreh­bü­cher gelesen. Aber die emotio­nale Reise stand nicht auf dem Ticket.

Um es plakativ zu formu­lieren: Sie haben dem Tod ins Auge geschaut und dadurch das Leben mehr schätzen gelernt.

Wenn Sie es so formu­lieren, klingt es fast ein biss­chen kitschig. Aber klar, so ist es. Ich möchte nur aufpassen, dass ich nicht in einen Kalen­der­spruch­schnack verfalle (beginnt zu singen): „Genieße das Leben, du hast nur eins, lass es nicht vorbeizieh’n, es gibt nämlich keins, das du wieder­holen kannst …“

Was im Grunde sach­lich nicht falsch ist …

Ja, aber man hat so einen Kitsch­de­tektor, und dann macht man zu. Es gibt Momente bei jedem Menschen, da wird man plötz­lich weich und ist empfäng­lich für so etwas. Aber eigent­lich möchte man das nicht sein und sagt sich „Das ist mir zu triefig, ich tue mir so eine Schnulze nicht an.“ Ande­rer­seits, was ist der Unter­schied zwischen Schla­gern und zum Beispiel Lately von oder Some­times it Snows in April von Prince? Das sind Lieder, bei denen ich inner­lich weine, viel­leicht auch manchmal richtig. Wenn man diese Texte auf Deutsch über­setzt, gibt es aber viel­leicht ein böses Erwa­chen und ich merke, „Alter, da ist ganz viel Pathos und Kitsch drin.“ Wenn ich die deut­sche Über­set­zung als Poster an die Wand hänge, würden sich Schla­ger­fans viel­leicht davor auf die Knie werfen.

Anke Engelke als Trauerrednerin der Netflix-Serie "Das letzte Wort"
Anke Engelke als Trau­er­red­nerin in „Das letzte Wort“
(Fotos: Frederik Batier / Netflix)

Welche Musik­stücke haben für Sie denn blei­bende Qualität? Welche begleiten Sie Ihr Leben lang?

Das hat oft etwas zu tun mit der musi­ka­li­schen Sozia­li­sa­tion, oder? Wann war man Mal auf einem Pop- oder Rock­kon­zert? Welche Einflüsse hatten ein Musik­lehrer, ein Chor­leiter oder das Eltern­haus? Diese Eindrücke bleiben. Jeder, der 40 oder 50 ist, weiß, dass er von bestimmten Liedern von früher berührt wird, und er schämt sich dessen nicht mehr. In den 80ern habe ich zu Sachen getanzt, die ich heute einer­seits nicht mehr gut finde, aber die trotzdem noch etwas in mir trig­gern. Kürz­lich habe ich wieder etwas von dem Funk-Musiker Roger Troutman gehört, der mit einer so genannten Talkbox Gesang und Keyboard-Spiel vermischt hat. Heute klingt das total out, weil es so viele neue Sound­ef­fekte gibt. Aber damals war es das erste Mal, dass ich eine verfrem­dete Stimme hörte und mir dachte: Wow.

So viel zum Thema Dance Music. Wie ist es mit trau­rigen Musik­stü­cken?

Ich war in den 80ern bei einem Konzert von Ryūichi Saka­moto in der Tonhalle in , und da habe ich Rotz und Wasser geheult. Wenn ich diese Musik heute höre, fange ich sofort an zu flennen – ich weiß gar nicht, warum. Viel­leicht weil ich mich damals bei einem bestimmen Zustand oder einer Lebens­phase befunden habe. Ich liebe die Pavane für eine tote Prin­zessin von Ravel, bei der ich jedes Mal losweine. In der Klassik gibt es außerdem Kompo­si­tionen von Brahms, die bei mir einen ganz festen Platz haben. Und einer meiner ewigen Favo­riten bleibt Prince. Some­times It Snows in April habe ich schon erwähnt. Er ist vor vier Jahren im April gestorben, und ich bin traurig und höre das Stück heute anders als vor 35 Jahren. Was mich dann zu seinen musi­ka­li­schen Wegbe­glei­te­rinnen Wendy & Lisa bringt. Wenn ich deren Musik höre, dann bin ich im Kopf sofort wieder in Kali­for­nien. Als ihre erste Platte 1987 herauskam, war ich dort und habe die auf einem gelben Sony-Walkman beim Joggen gehört – der wog gefühlt 20 Kilo. All diese Impres­sionen werden bleiben. Inter­es­san­ter­weise haben die sehr viel mit Jugend und Adoles­zenz zu tun.

Wenn die Wirkung von Kunst und Kultur so lange anhält, ist das viel­leicht ein Zeichen dafür, dass es eine Art von Unsterb­lich­keit gibt?

Hui, gute Frage, aber das betrifft wohl eher Jahr­hun­dert­künstler, oder? In der Liga spiele ich ja gar nicht: Was ich mache, ist in 100 Jahren vergessen.

Doch Sie haben ja selbst ausge­führt, wie lange die Wirkung von krea­tivem Schaffen anhalten kann.

Das stimmt schon. Man geht ins Museum, steht vor einem Bild und glotzt es an und denkt: ‚Das kann doch nicht wahr sein, dass es mich so umhaut. Was hat das für eine Kraft?«

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich mag zum Beispiel ganz viele Arbeiten von Louise Bour­geois. Bei einigen ihrer sehr femi­nis­ti­schen Skulp­turen und zärt­li­chen Zeich­nungen denke ich oft: Das müssen bitte alle auf der Welt sehen. Viel­leicht begreifen wir dann etwas. Also, ja, Kunst kann eine solche Kraft haben, dass sie für die Ewig­keit ist, auch wenn viele Künstler zu Lebzeiten ja gar nicht wissen konnten, dass sie sich unsterb­lich machen. Wenn ich an Male­rinnen und Maler denke, die für die Kunst lebten, aber nichts zu fressen hatten, weil sie alles Geld für Farben ausgeben mussten. Es ist eine inter­es­sante Vorstel­lung, wenn man ihnen hätte sagen können, was aus ihrem Werk wird. Wenn man zum Beispiel zu van Gogh gegangen wäre und ihm erklärt hätte: „Deine Bilder werden irgend­wann Millionen einbringen und der Mensch­heit viel bedeuten.“ Wie hätte der wohl auf so einen Besuch aus der Zukunft reagiert? Aber das ist ein eigenes Thema.

Glauben Sie denn, dass es noch irgend­etwas jenseits der Grenze des Todes gibt?

Es ist nicht aus und vorbei. Auf keinen Fall. Mir passiert es regel­mäßig, dass ich inne­halte und zum Beispiel einen Satz nicht beende, weil ich irgend­etwas gespürt habe. Ich denke mir: Was war das jetzt? Ich kann es aber nicht erklären. Dabei bin ich nicht esote­risch oder reli­giös, höchs­tens spiri­tuell. Aber da ist ganz viel. Es kann nicht sein, dass Seelen verschwinden. Das kann mir keiner erzählen.

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Die Netflix-Serie „Das letzte Wort“ mit Anke Engelke, Thorsten Merten, Nina Gummich, Johannes Zeiler, Aaron Hilmer, Claudia Geisler-Bading, Gudrun Ritter, Juri Winkler u.a. Das Drehbuch schrieben Aron Lehmann und Carlos V. Irmscher. Die Regie teilten einander Aron Lehmann (1. bis 3. Folge) und Pola Beck (4. bis 6. Folge). Zu sehen ab 17. September 2020. Weitere Informationen unter: www.netflix.com