Mathis Nitschke

Der begeh­bare Klang

von Maria Goeth

20. November 2020

Ein Anruf bei Mathis Nitschke, Entwickler der App „Inside MPhil“, mit der man sich auf einer Wiese in München plötzlich mitten zwischen den Münchner Philharmonikern wiederfinden kann.

CRESCENDO: Herr Nitschke, bei was störe ich Sie gerade?

Mathis Nitschke: Wir arbeiten an einer Werk­statt-Perfor­mance, bei der ein Schlag­zeuger mit einer Künst­li­chen Intel­li­genz zusam­men­spielt. Daran program­miere ich gerade.

Was verbirgt sich hinter Inside MPhil?

Inside MPhil ist der Versuch, den Klang inner­halb eines Orches­ters für den Nichtor­ches­ter­mu­siker erfahrbar zu machen. Wir betrachten das Orchester als Topo­grafie, als Land­schaft. Das haben wir ganz buch­stäb­lich umge­setzt: Wir haben den Klang des Orches­ters in die Land­schaft verortet und ihn mit GPS und Kompass des Smart­phones erforschbar gemacht.

So kann man nun also auf einer Wiese neben der Sankt Nikolai Kirche hinter dem Münchner Gasteig klang­lich durch die schlen­dern, die den vierten Satzes von Robert Schu­manns erster Sinfonie spielen – mal zu den Trom­peten, mal zur Oboe oder den ersten Geigen. Wie kam es zu dem Projekt?

Bei „Vergehen“, einem musik­thea­tralen Spazier­gang an der Isar, habe ich bereits begonnen, mit Apps zu arbeiten. Das war mein Einstieg dazu, das Smart­phone als künst­le­ri­sches Medium zu begreifen und nicht nur als Kommu­ni­ka­tions- und Infor­ma­ti­ons­me­dium. Das Smart­phone kann auch ein Gefühl von In-der-Welt sein erzeugen und nicht nur eines des Aus-der-Welt-Seins oder Ablen­kens. Die Idee traf sich gut mit Gunter Pretzel – gerade frisch pensio­nierter Brat­scher der Münchner Phil­har­mo­niker. Pretzel arbeitet seit Jahr­zehnten daran, Erfah­rungen des intimen Instru­men­ten­klangs – so wie er und seine Kollegen ihn erleben – für Nicht­mu­siker erfahrbar zu machen. Er erzählte mir vom Problem, dass ein Konzert viele seiner Kollegen und ihn eigent­lich lang­weilt, wenn sie es aus dem Publikum anhören. Der Klang ist zu weit weg, man ist nicht Teil des Gesche­hens. Seit vielen Jahren sucht er nach einem Weg, die Klang­er­fah­rung des Orches­ter­mu­si­kers dem Nicht-Orches­ter­mu­siker zu vermit­teln. So kam es zur Idee, mit dem Smart­phone durch den Klang des Orches­ters zu laufen.

Was gab es dabei für tech­ni­sche Schwie­rig­keiten?

Um die Illu­sion zu schaffen, dass ein Klang von rechts hinten oder links vorne kommt, muss er das eine Ohr anders errei­chen als das andere. Dazu nutzt man die soge­nannte binau­rale Kopf­trans­fer­funk­tion, die aber nur unter Labor­be­din­gungen wirk­lich gut funk­tio­niert. Dazu müsste man die Instru­mente völlig isoliert vonein­ander aufnehmen, aber dann entsteht keine Musik mehr! Außerdem ist es völlig illu­so­risch, jeden Musiker der Münchner Phil­har­mo­niker einzeln aufzu­nehmen. Deshalb war mein Ziel, die Signale, die ich brauche, aus einem ganz normalen Orches­ter­mit­schnitt herzu­stellen. Ich durfte einige Male bei Proben dabei sein, habe mitge­schnitten, auspro­biert und viel expe­ri­men­tiert. Am Ende hatte ich 22 Spuren, die im Smart­phone gemischt werden und in Raum­akustik verwan­delt werden. Das ist extrem ressour­cen­hungrig. Dabei den Kompro­miss zu finden zwischen best­mög­li­cher Klang­qua­lität und Kompa­ti­bi­lität auch mit etwas älteren Smat­phones war ein langer Weg!

Außerdem sind der Kompass und das GPS sehr unge­naue Gesellen.Natürlich gäbe es Gerät­schaften mit denen man das lösen könnte. Aber das Schöne ist ja, das man mit Smart­phones Erfah­rungen machen kann, bei denen man kein zusätz­li­ches Equip­ment braucht: Smart­phone und Kopf­hörer haben die Leute. Das habe ich mir auf die Fahne geschrieben: Die Leute sollen nicht nochmal 20 Laut­spre­cher kaufen müssen sondern unmit­telbar Zugang haben.

Was kommt als Nächstes?

Eine der schönsten Erfah­rungen, die man mit Inside MPhil machen kann ist, von der Wiese wegzu­laufen. Man lässt das Orchester auf der Wiese zurück und es wird immer kleiner und leiser. Es hat seinen Ort auf dieser Wiese und man kann zurück­kehren und wieder in den Klang eintau­chen. Das wird das Spiel­prinzip der nächsten App. Mit den „Planeten“ von wird diese abend­fül­lend sein. Die Planeten sind im Park verteilt, schweben dort. In einem virtu­ellen Raum­gleiter kann man von Planet zu Planet fliegen, es wird also noch etwas spie­le­ri­scher. Das wollen wir in allen Münchner Parks gleich­zeitig raus­bringen, es wird also nicht mehr so orts­spe­zi­fisch sein. Später sollen sich die User die App auch welt­weit auf einem Park in ihrer Nähe einrichten können. So wird die App für noch viel mehr Menschen erlebbar sein. Sie wird vermut­lich nächsten März erscheinen.

>

Mehr zu Mathis Nitschke und der App „Inside MPhil“ finden Sie hier

Fotos: Astrid Ackermann