Sonya Yoncheva

Auf der Bühne extrem, privat diskret ­

von Teresa Pieschacón Raphael

9. Februar 2018

Die Sopranistin Sonya Yoncheva über Medienrummel, einmalige Chancen und die zwei Leben einer Sängerin.

Die Sopra­nistin Sonya Yoncheva über Medi­en­rummel, einma­lige Chancen und die zwei Leben einer Sängerin.

crescendo: „The Last Minute Sensa­tion“ hat man Sie genannt …

: Das ist lustig! Die Met rief mich 2014 in der an, wo ich wohne, und fragte mich, ob ich gleich nach fliegen könne, um die Mimì in Puccinis La Bohème zu singen – nur einen Monat vor der Première und fünf Wochen nach der Geburt meines Kindes!

Da gerät man doch erst einmal in Panik!

Wenn die Met ruft, denkt man nicht zweimal nach. Ich wusste, ich habe nur diese eine Chance, die sich nie wieder ergeben wird. Und ich muss sie nutzen. Ich suchte nach dem Pass, ließ schnell einen für mein Baby ausstellen und studierte mitten in der Nacht die Partitur. Die eine oder andere Arie kannte ich, aber nicht die ganze Oper. Es half mir sehr, dass ich recht gut Klavier spielen kann.

„Viel­leicht ist mein
Adre­na­lin­spiegel sehr hoch“

Die New York Times war begeis­tert von Ihrer Inter­pre­ta­tion …

Und ich bekam weitere Enga­ge­ments. Man muss so etwas mögen und keine Angst haben. Viel­leicht ist mein Adre­na­lin­spiegel im Blut sehr hoch. Es ist sehr schwer, eine Rolle in so kurzer Zeit zu erlernen. Aber heute ist es oft so, das ist unser System, wir bekommen keine Zeit. Wir haben Konzert­tour­neen, Opern­auf­tritte, Schall­plat­ten­pro­duk­tionen, Proben. Und müssen zudem in Social Media, auf Twitter und Face­book präsent sein, wir haben PR-Verpflich­tungen. Unser Leben ist kompli­ziert, und man muss tough, robust und gesund sein, um durch­zu­halten, denn zugleich ist man sehr trans­pa­rent geworden. Den Fans entgeht kein Detail aus deinem Leben. Man muss es also unbe­dingt wollen, und – sorry, das ist jetzt nicht jugend­frei – man muss „cuatro cojones“ haben, wie die Vene­zo­laner sagen. Bewun­de­rung in diesen Medien kann schnell in Hass umschlagen.

Woher können Sie so gut Spanisch?

Mein Mann ist Vene­zo­laner. Er ist dort geboren, aber er kam mit etwa 20 in die Schweiz. Mit ihm spreche ich Fran­zö­sisch, während er mit unserem Sohn Spanisch spricht. Der ist jetzt zwei­ein­halb, und es ist so süß, wie er zwischen den Spra­chen chan­giert.

Wie sind Sie aufge­wachsen?

In , in Plowdiw. Eine sehr schöne, kleine, alte Stadt mit viel Geschichte. Die Römer waren da, es gibt einige Theater und ein antikes Stadion. Wir haben eine große musi­ka­li­sche Tradi­tion. Mein Vater sang sehr schön, war aber kein Musiker.

Ihr Bruder wurde ein regel­rechter Popstar.

Diese Geschichte ist erstaun­lich, denn er wuchs so auf wie ich. Er spielte Klavier, Kontra­bass, alle mögli­chen Instru­mente. Und er sang. Eines Tages meldete meine Mutter ihn bei einer in Bulga­rien sehr popu­lären Casting-Show an. Mein Bruder gewann 2005 als 17-Jähriger die Star Academy. Danach änderte sich sein ganzes Leben. Bulga­rien ist nun mal kein großes Land. Plötz­lich kannte man ihn überall. Und wir sahen ihn mehr im Fern­sehen als zu Hause. Das war schon kurios! Es war einfach nicht mehr möglich, mit ihm auf der Straße zu gehen. Unmög­lich. Alle Mädchen schrien nach ihm. Irgend­wann entschied mein Bruder, damit aufzu­hören, das Fach zu wech­seln. Er singt heute auch an der Oper in Bulga­rien.

Würden Sie gerne ein Leben führen wie Ihr Bruder damals?

Nein. Ich habe zwar mal Pop-Duette mit ihm gesungen, aber ich mag das diskrete Leben. Ich brauche eine gesunde Distanz zu diesem ganzen Zirkus. Ich würde dort zu viel Energie lassen, die ich brauche, um eine gute Sängerin zu sein.

Sie waren Mode­ra­torin in einer Musik­show im Fern­sehen.

Ja, das war nicht einfach für mich, denn eigent­lich bin ich eher schüch­tern. Doch wie gesagt denke ich mir immer, dass ich keine zweite Chance bekomme, und bin ins kalte Wasser gesprungen. Die Erfah­rung half mir sehr. Ich lernte, mich auf der Bühne zu bewegen, die Angst vor der Angst zu verlieren und meine Bewe­gungen und den Ausdruck des Gesichts zu kontrol­lieren.

„Als Künstler hast du zwei Leben,
die parallel laufen, das auf der Bühne und das wahre Leben“

Geformt wurden Sie von der Alten Musik.

Ja, das war Schicksal. In Genf bei einer Master­class von sang ich eine Alcina-Arie, habe sie einfach auspro­biert, obwohl ich mich mit diesem Reper­toire eigent­lich nicht beschäf­tigt hatte. In Bulga­rien gibt es fast nur Verismo-Oper. Und Christie nahm mich. So konnte ich in seinem Jardin-des-Voix-Projekt schnell Praxis gewinnen. Ich lernte Flexi­bi­lität, Präzi­sion, Diszi­plin beim Gestalten der Verzie­rungen und der Arti­ku­la­tion und Aussprache, die in der Barock­musik beson­ders wichtig sind. Sänger des 19.-Jahrhundert-Repertoires inter­es­siert das oft weniger, weil sie immer den großen Bogen im Kopf haben. Es war eine wunder­bare Schule, in die jeder Sänger gehen sollte, denn es hilft, spätere Fehler zu vermeiden.

Dabei vergleicht man Sie mit Anna Netrebko, die Sie nicht nur als Mimì, sondern auch als Margue­rite in Gounods Faust ersetzt haben.

Ich mag es nicht, wenn die Menschen immer eine Art Klon haben wollen. Ich weiß nicht, warum das so ist. Man wird nicht als eigen­stän­dige Künst­ler­per­sön­lich­keit gesehen. Ich wollte selbst nie eine andere Sängerin imitieren. Nie. Natür­lich höre ich, wie andere Sänge­rinnen bestimmte tech­ni­sche Dinge angehen. Die Persön­lich­keit muss man selbst hinein­geben. Anna, die ich sehr mag, ist ein anderer Typ als ich. Sie berührt auf andere Weise, mit ihrem Glamour, ihrem Auftritt, ihrer fantas­ti­schen Stimme, die eine einzig­ar­tige Strahl­kraft hat.

Sie malen gerne?

Ich liebe es, Land­schaften zu malen. Die Natur hat alles, alle Farben, das Kräf­tige wie das Zarte, Impres­sio­nis­ti­sche.

Wenn Sie Ihre Stimme malen müssten?

Oh, das wäre lustig! Ich würde, glaube ich, alle Farben nehmen, die einander beißen. Als Künst­lerin liebe ich die Extreme, als Mensch aller­dings weniger. Als Künst­lerin kann ich ebenso eine drama­ti­sche Frau sein wie eine zarte, zurück­hal­tende. Das ist das Groß­ar­tige an unserem Beruf. Wir können das alles ausleben, ohne es zu müssen.

Beein­flusst Ihre bulga­ri­sche Mutter­sprache Ihren Gesang?

Ich glaube, dass die erste Sprache, die man als Kind lernt, immer eine Auswir­kung auf die Vokal­fär­bung, die Into­na­tion, die Modu­la­tion hat. Slawi­sche Spra­chen haben sehr viele Farben, haben einen orien­ta­li­schen, einen grie­chi­schen, einen türki­schen Touch. Dennoch hat mich die Sprache nicht gehin­dert, auch andere Spra­chen zu erlernen.

Inwie­fern beein­flusst die heutige Casting-Politik der Opern­häuser Ihre Karriere?

Das ist nicht einfach zu beant­worten. Früher durfte ich keine Entschei­dung treffen, jetzt habe ich mehr Frei­heit. Früher war ich die junge Sonya, die frisch und spru­delnd zu sein hatte. Heute darf ich tief­grün­diger sein, bin betei­ligt an Entschei­dungen, welche Produk­tion, welches Ensemble, kann mit Regis­seuren spre­chen. Das ist sehr wichtig. Nur so können wir wirk­lich gute Ergeb­nisse erzielen.

Christie sagte zu Ihnen, Sie könnten alles singen. Wie wird man eine gute Sängerin?

Diszi­plin, Fleiß, Neugier und die Fähig­keit, die Emotionen fokus­sieren zu können. Und das private Leben nicht mit dem Leben auf der Bühne zu verwech­seln. Mein Vater starb, als ich auf der Bühne stand. Das war schwer für mich. Als Künstler hast du zwei Leben, die parallel laufen, das auf der Bühne und das wahre Leben. Mein Herz und meine Gedanken waren natür­lich bei meiner Familie in diesem Moment. Aber nicht ich soll als Künst­lerin auf der Bühne weinen, sondern die Menschen zum Weinen bringen. Das ist ein großer Unter­schied, und viele verwech­seln das.

Und wie bleibt man eine gute Sängerin?

Man muss eine Art Feeling entwi­ckeln für das, was einem guttut. Im Moment habe ich das Gefühl, dass meine Stimme tiefer geworden ist, wärmer in der Mittel­lage. Danach muss ich die Rollen wählen. Und selbst­be­wusst Ange­bote ablehnen, die nicht zu mir passen. Das ist nicht einfach. Auch privat muss es stimmen. Denn nur eine glück­liche Sängerin ist auch eine gute Sängerin.

Fotos: Kristian Schuller / Sony Classical