Robert Menasse

„Mit der Musik von Schu­bert weine ich mich frei!“

von Daniel Windheuser

8. Februar 2018

Robert Menasse (*1954) ist ein österreichischer Schriftsteller und Essayist. Für seinen Europaroman „Die Hauptstadt“ wurde er 2017 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

CRESCENDO: Herr Menasse, am Beginn Ihres neuen Romans „Die Haupt­stadt“ wird eine Sau durch getrieben. Was hat es mit diesem Tier­chen auf sich?

: Dieses Tier­chen ist meta­pho­ri­scher Natur und deckt vom Glücks­schwein bis zur Drecksau alles ab. Man kann von Gut bis Böse alles mit ihm in Bezie­hung setzen. Es kann als Schwein­chen Schlau für Intel­li­genz stehen, ebenso wie es als Schimpf­wort für poli­ti­sche Gegner genutzt werden kann. Zudem stimmen 98,8 Prozent seines Genma­te­rials mit dem des Menschen überein, was mich auf einer weiteren Ebene dazu gereizt hat, das Schwein im Prolog der „Haupt­stadt“ auftreten zu lassen, in dem die Leser zum ersten Mal den Prot­ago­nisten begegnen.

Ich hatte zu dieser Szene sofort Musik im inneren Ohr – zum Beispiel Zirkus­me­lo­dien. Lassen Sie uns über den Stel­len­wert von Musik in Ihrem Leben spre­chen.

Ich bin natür­lich ein großer Musik­lieb­haber, aber das allein ist ja eher unin­ter­es­sant. Inter­es­sant in diesem Zusam­men­hang ist viel­leicht eines: Ich bin, glaube ich, einer der ganz wenigen Autoren, die mit Musik schreiben. Ich sitze also nicht in einem stillen Raum und schreibe, sondern ich sitze in einem Raum, in dem ich Musik spiele oder Musik auflege, die in irgend­einem Zusam­men­hang steht mit dem, was ich schreibe. Die wähle ich mir als Sound­track zu meiner Prosa aus.

Sehr inter­es­sant!

Ich weiß von vielen Kollegen, dass das extrem selten ist. Aber bei mir ist das, glaube ich, fast seit den Anfängen meines Schrei­bens ein Ritual. Und – ich nenne es tatsäch­lich auch so – das ist der Sound­track, die Film­musik zu dem, was sich bei mir im Kopf abspielt, was ich als Film sehe, wenn ich zu schreiben beginne. Und die moderne Tech­no­logie ist mir da auch sehr entge­gen­ge­kommen, früher musste ich mir mühsam eine Platte auflegen.

Heute machen Sie sich Play­lists?

Genau. Das ist sehr hilf­reich. Auch die Einfach­heit, mit der man viel größere Samm­lungen anlegen kann, als es vorher mit Plat­ten­käufen möglich war. Ich arbeite also immer mit Musik, und dann habe ich noch eigene Play­lists, um nach dem Schreiben wieder „runter­zu­kommen“. Bei denen ich mich danach entspanne, ein Glas Wein trinke und einen Ziga­rillo rauche und meine Gedanken sozu­sagen auf den Wogen von bestimmten Musik­ti­teln verwehen lasse.

In schrift­stel­le­ri­schem Kontext ist das wirk­lich exotisch. Ande­rer­seits aber total nach­voll­ziehbar.

Ja, und man darf nicht vergessen, dass ich in einer Zeit zu schreiben ange­fangen habe, in der ich auch leiden­schaft­lich gern ins Kino gegangen bin; und ins Kino zu gehen noch allge­mein eine größere Bedeu­tung hatte. Kino­filme sind auch Narra­tive und immer mit Musik verbunden.

Daniel Windeheuser im Interview mit Robert Menasse.
Daniel Wind­heuser im Inter­view mit Robert Menasse.

Haben Sie ein konkretes Beispiel? Was lief beim Verfassen Ihres Romans „Die Haupt­stadt“, für den Sie gerade mit dem Deut­schen Buch­preis ausge­zeichnet wurden, für ein Sound­track?

Da könnte ich vieles nennen, auch dafür habe ich diverse Play­lists gemacht. Beson­ders begleitet hat mich beim Schreiben der „Haupt­stadt“ zum Beispiel die Gruppe Apoca­lyp­tica.

Ach was?

Das klingt jetzt drama­tisch. Wenn Sie Apoca­lyp­tica nicht kennen, mag es zynisch scheinen, wenn ich die EU beschreibe und eine Erzäh­lung verfasse über Menschen, die in diesem Kontext arbeiten, und das von einer Band dieses Namens begleitet wird.

Mir ist die Band bekannt.

Ah, schön. Jeden­falls eine verdammt gute finni­sche Gruppe, bestehend aus vier Cellisten. Das Cello ist über­haupt mein Lieb­lings­in­stru­ment. Cello und Quer­flöte, davon habe ich ganze Samm­lungen. Da können Sie nehmen, was Sie wollen, und liegen bei mir richtig. Außerdem – auch das klingt irgendwie komisch im Zusam­men­hang mit der Euro­päi­schen Union – habe ich die Band Element of Crime sehr zu schätzen gelernt.

Oh, die mag ich auch sehr, zumin­dest die frühen Alben.

Es ist erstaun­lich, dass die großen, für mich sehr produk­tiven Sound­tracks meines Denkens immer so martia­li­sche Titel haben. No Borders, No Nations beispiels­weise noch. Vor allem in letzter Zeit begleitet mich solche Musik.

Und nach dem Schreiben, gibt es dann einen wahr­nehm­baren Unter­schied in der Musik?

Ja. Da lege ich mir meis­tens meine ganz alten – jetzt hätte ich fast „Schel­lacks“ gesagt – Vinyl­platten auf. Ich habe einfach sehr schöne Aufnahmen, zum Beispiel von Bach. Für die Post-Schreib-Phase schätze ich auch Vivaldi sehr. Und ich habe ein großes „Problem“ mit einem Kompo­nisten, der mich sehr berührt, aber den ich auf eine fast selbst­zer­stö­re­ri­sche Weise nur spiele, wenn ich gerade eine Krise habe und nicht schreiben kann – und zwar ist das Schu­bert, und mit dem weine ich mich dann frei.