Axelrods Weinlese

Pinot aus dem Super­markt

von John Axelrod

27. Mai 2016

In vino veritas. Oder auch nicht. Denn in kaum einer Branche wird mehr gepanscht als bei den Winzern. Unser Kolumnist über Wein-Skandale, gegen die ein misslungener Auftritt wie Schneewittchen wirkt.

Histo­risch gesehen gibt es Skan­dale in der Musik wie Sand am Meer. Sogar neulich wieder, als Angela Geor­ghiu nicht recht­zeitig auf die Bühne kam, war dies ein Skandal, aber natür­lich kein solcher, der die Branche gleich zum Still­stand bringen würde.

In der Welt des Weines gibt es hand­feste Skan­dale: Der berühm­teste ist der um die „Thomas-Jefferson-Flasche“.

In der Welt des Weines gibt es da hand­fes­tere Skan­dale: Wahr­schein­lich der berühm­teste von allen ist der um die „Thomas-Jefferson-Flasche“. Im Jahr 1985 erwarb Chris­to­pher Forbes, dessen Name ja sofort mit Geld asso­zi­iert wird, eine Flasche Lafite mit den eingra­vierten Initialen Th. J. – sie stammte angeb­lich aus dem Jahr 1787 und soll dem ehema­ligen US-Präsi­denten Thomas Jefferson gehört haben. Am Ende gab es Gutachten, Gerichts­pro­zesse und Verleum­dungs­kam­pa­gnen – die Echt­heit des Vorbe­sit­zers und der raren Wein­fla­sche konnte schluss­end­lich nie geklärt werden –, ein Betrug aber war sehr wahr­schein­lich.

Der große Unter­schied zu musi­ka­li­schen Skan­dalen besteht, finde ich, darin, dass der musi­ka­li­sche Geschmack ja sehr subjektiv ist, sowohl der des Publi­kums als auch des Kompo­nisten oder Diri­genten oder Musi­kers. Wenn die Menschen die Musik für einen Skandal halten, ist es ihr gutes Recht, doch es war auch das gute Recht des Kompo­nisten, dies zu erschaffen. Skan­dalös wird es erst, wenn jemand im Namen eines anderen etwas publi­ziert oder wenn eben ein Winzer anfängt, zu panschen und Saft aus dem Super­markt in Wein gießt, um ihn anschlie­ßend als Premier Cru für viel Geld zu verkaufen.

Ein unschönes Beispiel stammt hier aus den , aus dem Jahr 2004, als der Holly­wood-Streifen Side­ways mit Paul Gia­matti einen „Pinot-Hype“ auslöste. Das Weingut Gallo USA vermark­tete einen Wein, der in Frank­reich herge­stellt wurde und in den Jahren 2006 bis 2008 allein 18 Millionen mal verkauft wurde. Das Problem war: Die fran­zö­si­schen Behörden stellten irgend­wann fest, dass der Wein 30 Prozent mehr Pinot Noir enthielt als im gesamten Languedoc über­haupt ange­baut werden kann. Am Ende fand man heraus, dass das Getränk haupt­säch­lich aus Shiraz- und Merlot-Trauben bestand – und nur einen kleinen Teil an Pinot enthielt.

Am Ende gab es Gutachten, Gerichts­pro­zesse und Verleum­dungs­kam­pa­gnen.

Das Inter­es­sante daran ist natür­lich, dass der Betrug den Konsu­menten selbst nicht auffiel! Konnten sie den Unter­schied am Ende tatsäch­lich nicht schme­cken? Mir fällt auch noch dieser Skandal ein: Rudy Kurniawan, geboren 1976 in der indo­ne­si­schen Haupt­stadt Jakarta, wurde 2012 von einem New Yorker Gericht zu zehn Jahren Haft verur­teilt. Kurniawan hatte die teuersten Weine der Welt fingiert – er hatte billige Weine einfach mit neuen (alten) Aufkle­bern gefälscht. Im Jahr 2006 erzielte er bei zwei Verstei­ge­rungen einen Erlös von über 30 Millionen Dollar. Laut Staats­an­walt gilt er bis heute als der „größte und erfolg­reichste Wein­fäl­scher der Welt“.

Leider gibt es hier auch Beispiele aus der Musik. , and Osvaldo Golijov haben alle große Musik kompo­niert, die nicht komplett aus ihrer eigenen Feder stammte. Doch während die meisten Kompo­nisten ihre Fähig­keiten mit größt­mög­li­cher Trans­pa­renz an ihre Studenten weiter­geben, hat der japa­ni­sche Kompo­nist Mamoru Samu­ra­gochi – der aufgrund eines angeb­li­chen Hörscha­dens auf einem Ohr als Japans Beet­hoven bezeichnet wurde – hier eine neue Ebene erreicht: Samu­ra­gochi musste im Jahr 2014 einge­stehen, dass er die Menschen 20 Jahre lang getäuscht und jemand anderen beauf­tragt hatte, seine Musik zu schreiben. Erhel­lend war auch die Tatsache, dass der Ghost­writer am Ende erzählte, wie wenig der große Meister ihm dafür bezahlte, und er auch seine Taub­heit anzweifle. Wir können nicht immer alles hören und schme­cken. Deshalb rate ich dazu, eine gute Flasche 2012er Lafite zu köpfen und dazu Mozarts Konzert in F‑Dur anzu­hören – nie hat ein Skandal süßer geschmeckt.