Ludwig van Beethoven

Mit Beet­hoven Staat machen

von Thomas Sonner

10. Dezember 2020

Beethoven lässt sich für jede beliebige politische Agenda bestens ausschlachten. Seine Musik rührt unser Dasein im Innersten an.

Beet­hoven. Warum eigent­lich immer Beet­hoven? Seine Musik ist offen­sicht­lich erste Wahl, wenn es etwas Beson­deres zu feiern gibt. Ganz gleich, ob staat­liche Feier oder Olym­pi­sche Spiele: An den Klängen des Klas­si­kers kommt keiner vorbei. Doch das liegt nicht nur an seiner Musik allein. Beet­hoven ist eine Marke. Sie wirkt, auch ohne einen einzigen Ton. Der Name steht für Qualität, zeit­lose Kunst und jene gewisse Prise heroi­schen Kampfes für das Wahre, Gute und Schöne. Schon die Titel und Beinamen seiner Werke befeuern dies: Den helden­haften Zusatz „eroica“ setzte Beet­hoven selbst über seine Dritte Sinfonie, seine Fünfte ist als Schick­sals­sin­fonie bekannt.

Beet­hoven – der einsame Held

Die Musik zu Goethes Egmont illus­triert den Kampf gegen die Unter­drü­ckung, und im Fidelio trium­phieren Liebe und Gerech­tig­keit. Und als wäre das nicht schon genug Symbolik, scheinen in der Rezep­tion von Beet­hoven Leben und Werk zu verschmelzen: Er wirkt selbst wie ein einsamer Held, der gegen seine Ertau­bung ankom­po­nierte. Diesen „Kampf um das künst­le­ri­sche Schaffen“ hat der Musik­wis­sen­schaftler David B. Dennis als das zentrale Element iden­ti­fi­ziert, das sich für jede belie­bige poli­ti­sche Agenda bestens ausschlachten ließ.

So wurde Beet­hoven, wohl oder übel, zum Diener vieler Herren, etwa für die Feiern der Weimarer Repu­blik. Die Demo­kraten wollten dem säbel­klir­renden Zere­mo­niell der Monar­chie andere Töne entge­gen­setzen: statt Kaiser­pa­raden nun bürger­liche Fest­lich­keit. Beet­hoven schien dafür ideal.

Schon den ersten Festakt zum Verfas­sungstag am 11. August 1921 krönte der Schluss­satz aus der Fünften Sinfonie. Und wer der Repu­blik gegen­über positiv einge­stellt war, klatschte begeis­tert. Allge­meine Akzep­tanz fand diese Gestal­tung aber nicht. Die natio­na­lis­ti­schen Kräfte schäumten. Die Kreuz-Zeitung bezich­tigte die bürger­liche Regie­rung unter Kanzler Wirth, Beet­hoven für „sozia­lis­ti­sche Partei­zwecke zu mißbrauchen“. Das sei, so der Kommen­tator weiter, „gera­dezu Verge­wal­ti­gung“.

Die Repu­blik feiert mit Beet­hoven

Die Marke Beet­hoven war zwar über alle Zweifel erhaben. Aber jedes poli­ti­sche Lager sah sich selbst als recht­mä­ßigen Hüter. Die Repu­blik feierte jeden­falls weiter mit Beet­hoven. Die Coriolan-Ouver­türe erklang 1922 im Reichstag bei der Trau­er­feier für Walther Rathenau. 1929, zum Jubi­lä­umstag der Repu­blik, brachten alle drei Opern­häuser Berlins abends ein Beet­hoven-Programm.

Wenige Jahre später wurde Beet­hoven olym­pisch. Trei­bende Kraft war Pierre de Coubertin, Gründer der modernen olym­pi­schen Bewe­gung. Ihm schien die Ode an die Freude wie geschaffen, um „die Macht jugend­li­chen Stre­bens“ auszu­drü­cken. Das Finale der Neunten Sinfonie krönte auf seinen Wunsch die Eröff­nung der Spiele von Berlin 1936. Am Abend des ersten Wett­kampf­tages entfal­tete sich im Stadion ein gigan­ti­sches Fest­spiel, durch­webt mit olym­pi­schen Ideen und der brutalen Ideo­logie des NS-Staates: Ein choreo­gra­fierter Schau­kampf feierte den Opfertod für das Vater­land als höchstes Ideal. Im Anschluss erklang Beet­ho­vens Werk – und die Zeile „Freudig, wie ein Held zum , laufet Brüder eure Bahn“ erhielt unge­ahntes Gewicht.

Die Ode an die Freude erklang noch mehr­mals bei Olym­pi­schen Spielen, wenn auch dann stets als Zeichen der Völker­ver­bin­dung. Beson­ders extra­va­gant in Szene gesetzt wurde dies zur Schluss­feier der Winter­spiele 1998 in Nagano. Im Konzert­saal der Stadt diri­gierte Chor und Orchester, während im Stadion ein zweiter Chor aus voller Kehle mit einstimmte. Per Satellit wurden auch noch Chöre aus Sydney, Berlin, , Peking und Kapstadt live dazu­ge­schaltet. So verei­nigten sich virtuell Stimmen aller Konti­nente im gemein­samen Gesang.

BRD und DDR als Hüter von Beet­ho­vens Musik

Doch zurück zur staat­li­chen Aneig­nung der Werke. BRD und DDR sahen sich jeweils als recht­mä­ßige Hüter von Beet­ho­vens Musik. 1946 eröff­nete die Ouver­türe zur Frei­heits­oper Fidelio in Ost-Berlin den Parteitag zur erzwun­genen Verei­ni­gung von SPD und KPD. Drei Jahre später spielte man in vor der ersten Sitzung des Bundes­tages die Ouver­türe Die Weihe des Hauses. Das Nonplus­ultra für höchste Anlässe bleibt aber die Neunte Sinfonie.

Als 1989 die Berliner Mauer irrele­vant geworden war, orga­ni­sierten Justus Frantz und zu Weih­nachten zwei Konzerte mit der Neunten – eines in der Phil­har­monie im West­teil der Stadt, das andere im Osten, im Schau­spiel­haus am Gendar­men­markt. Unter dem Eindruck der Ereig­nisse änderte Bern­stein die bekann­teste Text­stelle ab in „Frei­heit, schöner Götter­funken“. Im Programm­heft schrieb er selbst­si­cher, Beet­hoven hätte dem gewiss seinen Segen gegeben. Knapp ein Jahr später erklang die Neunte wieder im Schau­spiel­haus, diesmal mit Origi­nal­text.

Abschied der DDR mit Beet­hoven 

Mit einer Fest­auf­füh­rung dieses Werkes verab­schie­dete sich die DDR am Abend des 2. Oktober 1990 aus der Welt­ge­schichte. Auch die Feiern der Berliner Repu­blik bleiben Beet­hoven treu. Bei den Fest­akten zum Tag der Deut­schen Einheit ist er bis heute der meist­ge­spielte Kompo­nist. Häufig erklingen die Ouver­türen zu Egmont, Fidelio oder die Leonore III. Greift man nicht gleich auf die Neunte zurück, steht nicht selten die Chor­fan­tasie auf dem Programm, die ihr in vielem ähnelt.

Eine Beson­der­heit des deut­schen Zere­mo­ni­ells: der Große Zapfen­streich der Bundes­wehr. Er wird zu heraus­ra­genden Ereig­nissen aufge­führt und beginnt immer dem soge­nannten York’schen Marsch von Beet­hoven. Der Titel ist Resultat einer Raub­kopie. 1809 schrieb Beet­hoven in seinen Marsch für die Böhmi­sche Land­wehr. Ohne sein Wissen gelangte das Werk bis nach Berlin. Dort erschien es gut zehn Jahre später als Teil der Preu­ßi­schen Armee­marsch­samm­lung unter dem Titel: Yorck’schen Korps, 1813. So ehrte man einen Trup­pen­teil unter Führung von Graf Yorck von Warten­burg, der sich im Kampf gegen die Napo­leo­ni­schen Heere ausge­zeichnet hatte.

Prächtig Staat machen 

Beet­hoven selbst hat von dieser Karriere seines Marsches wohl nie erfahren. Aber bis heute marschiert die deut­sche Bundes­wehr mit diesem Stück zu ihrem höchsten Zere­mo­niell ein. Auch 250 Jahre nach Beet­ho­vens Geburtstag lässt sich mit ihm und seiner Musik prächtig Staat machen.

Beethoven lässt sich für jede beliebige politische Agenda bestens ausschlachten. 
Mit in den Welt­raum

Und mehr bezie­hungs­weise länger noch: So ging Beet­hoven auch mit den beiden 1977 gestar­teten inter­stel­laren Raum­sonden Voyager 1 und 2 auf Daten­platten ins All. Sinn und Zweck der Mission: Außer­ir­di­sche, mögli­cher­weise intel­li­gente Lebens­formen über unser Mensch­sein zu infor­mieren. Mit einer Lebens­dauer von 500 Millionen Jahren lässt die „Voyager Golden Record“ den 250. Geburtstag des Titanen inso­fern ziem­lich blass aussehen. Denn natür­lich ist neben Bach, Mozart, Stra­winsky und Holborne im sinfo­ni­schen Bereich auch er dabei auf der Reise ins Universum: mit der Cavatina, dem fünften Satz aus dem Streich­quar­tett Nr. 13, op. 130, und dem ersten Satz seiner Fünften. Zwar ist Bach gleich dreimal auf der Platte zu finden, doch schlägt Beet­hoven ihn mit einer Länge von 13,57 Minuten um 2,14 Minuten.

74 Minuten und 33 Sekunden und 12 Zenti­me­tern Durch­messer

Und wo wir schon beim Maß aller Dinge sind: Es war und ist Beet­ho­vens Neunte, die Größe und Lauf­zeit einer CD fest­legen. Der Vize­prä­si­dent von Sony – die Audio-CD war eine Entwick­lung der Tech­nik­riesen Sony und Philips –, offen­sicht­lich ein Lieb­haber von Beet­ho­vens Neunter Sinfonie, erwählte sie als maßgeb­lich für die Stan­dar­di­sie­rung. Zunächst fiel die Wahl auf die 66-minü­tige Einspie­lung Herbert von Kara­jans, letzt­lich aber sollte auch die etwas lang­sa­mere Inter­pre­ta­tion von darauf passen, die damit zur Refe­renz­auf­nahme wurde. Nicht mehr und nicht weniger ist der Grund, weshalb die Lauf­zeit einer CD 74 Minuten und 33 Sekunden beträgt und einen Durch­messer von 12 Zenti­me­tern hat. Ja, genau, auch das ist „Klassik in Zahlen“.

Mehr zur Musik auf den Daten­platten von Voyager: 
www.voyager,jpl