Michael Volle & Sophie Karthäuser

Bei Bach geht der Himmel auf ­

von Walter Weidringer

5. Juni 2018

Der eine probt gerade an der Met, die andere steht vor einer konzertanten Händel Aufführung in Wien. Im Studio nahmen Bassbariton Michael Volle und Sopranistin Sophie Karthäuser Musik von Bach auf.

Der eine probt gerade als Scarpia an der Met, wie er sich von Tosca Anna Netrebko am eindrucks­vollsten erste­chen lassen kann, die andere steht vor einer konzer­tanten Händel Auffüh­rung in Wien. Im Studio nahmen Bass­ba­riton Michael Volle und Sopra­nistin Sophie Kart­häuser jüngst Musik von Bach auf.

crescendo: Herr Volle, Sie stehen meist als Hans Sachs, Wotan oder Amfortas, als Falstaff oder Scarpia auf der Bühne. Liegt Bach da nicht in weiter Ferne?

Michael Volle
Foto: Carsten Sander

: Ich bin als würt­tem­ber­gi­scher Pfar­rers­sohn mit Bach aufge­wachsen, ich brauche ihn einfach. Sänge­risch hängt es davon ab, wie wach man im Kopf und wie gesund man in der Kehle ist. Es soll nicht arro­gant klingen, aber ich genieße es, tech­nisch blitz­schnell umschalten zu können: Ich gehe gleich zu einer Tosca-Probe, könnte aber genauso Ich habe genug oder Winter­reise singen. Es ist wohl eine Frage der Erfah­rung. Mit dem Einatmen muss man schon wissen, wo man ist, in der Met vor 4.000 Leuten oder in intimem Rahmen mit der Akademie für Alte Musik für Bach.

Frau Kart­häuser, bei Ihnen bildet Mozart das Zentrum des Reper­toires, aber Barock war zugleich immer präsent.

: Ich habe mit Barock­musik begonnen, der Stil hat zu meiner Stimme gepasst und tut es hoffent­lich immer noch. Mit wach­sender Reife kann ein Sopran wie meiner aber auch in roman­ti­sches Reper­toire vorstoßen. Im Kopf und im Herzen muss man jung bleiben in unserer Profes­sion – eine gesunde Stimme voraus­ge­setzt. Mir erscheint das Singen immer mehr wie ein Sport: Trai­ning ist wichtig, um die Elas­ti­zität zu erhalten und verschie­denen Stilen gerecht werden zu können.

„Im Kopf und im Herzen muss man jung bleiben in unserer Profes­sion – eine gesunde Stimme voraus­ge­setzt“

Wie empfinden Sie Bachs Schreib­weise im Vergleich zu Mozarts?

Kart­häuser: Für mich ist Bach der schwie­rigste Kompo­nist, er hat Stimmen wirk­lich wie Instru­mente behan­delt. Das macht natür­lich seine Genia­lität aus, gerade die enorme Zahl und das Niveau der Kantaten sind unglaub­lich. Als Sängerin ist es jedoch nicht einfach, denn meis­tens gibt es keine Zeit zum Atmen! Mozart ist für mich die erste Anlauf­stelle, zum Beispiel nach einem Urlaub: Bei ihm fühle ich mich zu Hause. Seine Musik ist wie Honig, der einem in die Kehle strömt. Und: Bei Mozart ist man nackt, man kann nicht schum­meln.

Volle: Bach schreibt virtuos, man muss die Stimme zurück­nehmen können, leichter singen, Kolo­ra­turen formen. Ich bin über­zeugt, dass mein Singen im soge­nannten großen Fach gewonnen hat durch die Beschäf­ti­gung mit Bach und Mozart – den ich leider nur noch selten ange­boten bekomme, weil viele Leute denken, man könne keinen Mozart mehr singen, wenn man bei Puccini, Verdi, Wagner und Strauss ange­langt ist. So ein Blöd­sinn! Bei meinem Falstaff-Debüt und jetzt auch bei Scarpia habe ich gemerkt, wie einen die fili­gra­nere, feinere Behand­lung der Stimme bei Bach auch in solchen Partien unter­stützt. Nicht jeder kann alles singen, aber ich glaube, jeder sollte Lied machen und jeder sollte Bach und Mozart singen. Das muss nicht unbe­dingt mit alten Instru­menten sein, aber wenn jemand nur und dauernd gegen große Orches­ter­massen ansingen muss, dann besteht die Gefahr, dass die Stimme an Flexi­bi­lität verliert oder echten Schaden nimmt. Das ist oft genug der Fall.

Bei Ihnen steht die Gräfin in Mozarts Le nozze di Figaro an, Frau Kart­häuser. Haben Sie langsam genug von der Rolle der Susanna?

Sophie Karthäuser
Foto: Molina Visuals

Kart­häuser: Nein, von ihr könnte ich niemals genug bekommen, ich werde nur alt! Vor ein paar Jahren habe ich noch abge­lehnt – aber nun konnte ich keinen Korb geben, er ist für mich der größte Diri­gent für diese Musik. Mit ihm findet man immer etwas Neues. Er weiß so viel, histo­ri­sche Fakten genauso wie Anek­doten. Es ist, als würde er die Partitur neu erfinden. Unsere Aufgabe ist es ja, immer weiter­zu­lernen. Ich habe die Schule geliebt und war traurig, als sie vorbei war! Und so freue ich mich darüber, mit Diri­genten und Part­nern neue Dinge auszu­pro­bieren. Dazu zählen bei mir aktuell Strauss-Lieder, aber auch Bach mit der wunder­baren ! Das sind tolle Kollegen, die genau wissen, wie man phra­siert und so weiter. Und wir haben wirk­lich hart gear­beitet.

„Wenn ich Bach singe, merke ich, dass es mehr gibt als das, was wir mit Augen sehen und mit Händen greifen können“

Volle: Ich will es nicht über­höhen, aber das Zusam­men­kommen der Akamus mit mir grenzt ans Schick­sals­hafte, an eine Fügung! Vor ein paar Jahren habe ich die drei Solo­kan­taten mit anderen Kollegen gemacht, wollte aber an diesen Werken weiter­ar­beiten. Ich rief frech bei der Akamus an – und hörte, dass die gerade über mich gespro­chen hatten! Ich bin über­glück­lich, dass wir nun dieses Album mit den Dialog­kan­taten machen konnten, denn Bach ist das A und O für mich.

Spielt im Verhältnis des Pfar­rers­sohns zu Bach die Reli­gion noch eine Rolle?

Volle: Der Kirche stehe ich fern und bin auch dem herkömm­li­chen Glauben nicht mehr eng verbunden. Aber ich würde mich selber als sehr spiri­tuell bezeichnen. Musi­ka­lisch gehören dazu Mozart, Schu­bert und Bach! Wenn ich Bach singe, merke ich, dass es mehr gibt als das, was wir mit Augen sehen und mit Händen greifen können. In dieser Musik steckt eine Kraft, die unbe­schreib­lich ist. Bei Bach geht der Himmel auf.

Fotos: Molina Visuals