Johannes Kreidlers erste Oper in Halle

Bravi und Buhs uner­wünscht!

von Roland H. Dippel

7. Mai 2018

Zur Uraufführung von Johannes Kreidlers Oper „Mein Staat als Freund und Geliebte“ an der Oper Halle. Schweigen nach Ansage!

Zur Urauf­füh­rung von Johannes Kreid­lers Oper „Mein Staat als Freund und Geliebte“ an der Oper .

Schweigen nach Ansage! Das gibt es selten: Applaus, Ableh­nung, Jubel, Skandal fallen aus und erüb­rigen sich, denn der Konzept­kom­po­nist brand­markt am Ende seiner ersten Oper „Buh“ und „Bravo“ als Anma­ßungen, die dem jahre­langen Ringen um ein Kunst­werk nicht gerecht werden.

Für die neue „Halle­sche Schule“ ist die Urauf­füh­rung der Auftrags­kom­po­si­tion dieser Spiel­zeit trotzdem ein Para­de­bei­spiel. Doch nur unter Vorbe­halt stimmt man zu, wenn Johannes Kreidler (Jahr­gang 1980) „Mein Staat als Freund und Geliebte“ eine Oper nennt. Viel passender wäre „Zukunfts­posse mit vergan­gener Musik und gegen­wär­tigen Grup­pie­rungen“ wie für Nestroys „Tannhäuser“-Parodie. Nach der szeni­schen Kompo­si­tion „Staats­theater“ von , der vor 50 Jahren mit ähnli­chen Mitteln den Bühnen­be­trieb und dessen Inhalte demon­tierte, reagierte das Publikum noch mit einer lust­be­tonten Saal­schlacht. Anna Schürmer beschreibt das in ihrer brand­neuen Disser­ta­tion über „Skandal und Neue Musik“ Sie hätte mit deren Abschluss warten sollen bis zu diesem 27. April 2018 im Opern­haus Halle, an dem ein neues Kapitel in der Geschichte der Zuschau­er­re­ak­tionen beginnt: „Der stille Gehorsam“.

Kreid­lers Oper gleicht einem raffi­niert arran­gierten Potpourri aus gängigem Reper­toire-Salat.

In seiner hand­lungs­losen, von ihm selbst akti­ons­reich in Szene gesetzten Oper reflek­tiert Johannes Kreidler das Verhältnis des Einzelnen zum Staat und das Voka­bular, das den daraus entste­henden ambi­va­lenten Gefühlen Ausdruck gibt. Der Chor und der Extra­chor des Thea­ters Halle werden mit gleich drei Leitern (Rustam Samedov, , Peter Sched­ding) zu Synchron­spre­chern für das üppig flim­mernde Holly­wooder Allerlei. Assis­tiert vom lustig hüpfenden Ballett Rossa sind sie ein funk­tio­nie­rendes Kollektiv und bean­spru­chen dabei indi­vi­du­elle Auto­nomie. In diesem Wider­streit reiben sie sich auf und platzen aus allen Nähten. Also viel Philo­so­phie, noch mehr Sozio­logie und über allem „Spiel mir das Lied von der Atomi­sie­rung“! Der Chor skan­diert und singt in gedie­gener Konzert­klei­dung aus Chris­toph Ernsts weißer Raum­schale, deren Mitte ein großes Screen und ein etwas klei­nerer Monitor bilden. Iwo Kurze (Kamera) mit seinen Video-Helfern Kai Hengst und Jona­than Wolgast hat im Ranking des Leitungs­teams weitaus größeres Gewicht als die musi­ka­li­sche Leitung (Chris­to­pher Sprenger).

Erst amüsiert diese hemmungs­lose Plün­de­rung des intel­lek­tu­ellen Basis­la­gers, später siecht sie über­füt­ternd dahin

Kreid­lers Oper gleicht, auch darin Nestroy ähnlich, einem raffi­niert arran­gierten Potpourri aus gängigem Reper­toire-Salat. Zum Peter­si­li­en­sträuß­chen wird „Tosca“ als Tonkon­serve von , nur Händel fehlt. Helden­tenor tritt zwar live auf, muss aber für seine kurzen „Tristan“-Beigaben gar nicht richtig singen können. Am Ende mündet Kreid­lers Oper in eine Huldi­gungs­li­tanei an die Chöre im Bühnen­weih­fest­spiel „Parsifal“. Der die Musik­num­mern verbin­dende Confé­ren­cier zwingt mit Begeis­te­rung das Publikum und den Chor zum symbo­li­schen Knie­fall vor Wagner. Dem Performer und Pianisten stef­an­paul perlen Satz­türme von bis von den Lippen und die Tasten­ka­priolen aus den virtuosen Fingern. Erst amüsiert diese hemmungs­lose Plün­de­rung des intel­lek­tu­ellen Basis­la­gers, später siecht sie über­füt­ternd dahin. Dabei wäre stef­an­paul als TV-Mode­rator genau der Rich­tige für die Rettung des momentan in Konflikten an mehreren Baustellen kriselnden Klas­sik­marktes. Der gesamte Riesen­ap­parat der macht sich also frei­willig zum Talent­schuppen.

Wieder einmal ist span­nend, was real provo­ziert: Paar ergreift die Flucht, als stef­an­paul Brechts Mackie-Messer-Verse erst auf die Melodie der deut­schen Natio­nal­hymne singt und dann „Einig­keit und Recht und Frei­heit“ auf Noten Weills. Nach der Halb­zeit gibt es bei den Spiel­re­geln keine Abwechs­lung mehr. Trotzdem gebührt Johannes Kreid­lers „Mein Staat als Freund und Geliebte“ ein Ehren­platz in der Ruhmes­halle intel­li­genter Musik­theater-Collagen. Unglaub­lich: Am Ende erheben sich die Premie­ren­gäste lautlos wie Muster­schüler und verzichten einhellig auf freie Meinungs­äu­ße­rung. Hundert­pro­zen­tiger Erfolg also für Kreid­lers Kritik an hörbaren Zuschau­er­re­ak­tionen. War das wirk­lich so gewollt?

Wieder am So 06.05. /16:00 – Sa 12.05./19:30 – Sa 26.05./19:30 – Mi 30.05./19:30 – Sa 16.06./19:30 – Fr 22.06./19:30 – Oper Halle, www​.oper​-halle​.de – Tel.: 03455110777

Fotos: Falk Wenzel