Daniel Lozakovich

In der Kunst gibt es keinen Besten

von Patrick Wildermann

3. November 2019

Der Geiger Daniel Lozakovich gab bereits mit neun Jahren in Moskau sein Debüt als Solist. Er gilt als musikalisches Wunderkind. Ein Gespräch über Einsamkeit, Isolation und Melancholie.

Das Café „Klein und Kaiser­lich“ ist im stil­echten Wiener Plüsch gehalten, liegt aber nur einen Stein­wurf von der Hamburger entfernt. Am Abend hat der Violi­nist (Foto oben: © Johan Sandberg/​DG) dort seinen Auftritt mit dem Moscow Chamber Orchestra. Nichts, was den gerade 18-jährigen Shoo­ting­star aus der Ruhe bringen würde. Er nimmt sich viel Zeit, um über seine Tschai­kowsky-Aufnahme „None but the lonely heart“ und die gemischte russi­sche Seele zu spre­chen.

CRESCENDO: Sind Städte für Sie mit Musik verbunden?
Daniel Loza­ko­vich: Es kommt natür­lich auf die Stadt an. Jede hat ihre Daniel Loza­ko­vich: eigene Kultur, die wiederum eine spezi­fi­sche Musik atmet. Wenn es eine Kompo­nis­ten­stadt ist, wird die Inspi­ra­tion natür­lich größer. In spüre ich den Einfluss von Bach, in Salz­burg natür­lich den Mozarts. Und in Moskau ist es Tschai­kowsky.

»Konzen­trierte Stille nach einem Stück kann atem­be­rau­bend sein.«

CRESCENDO: Stellen Sie sich einen Sound­track zusammen, der Sie auf Reisen begleitet?
Daniel Loza­ko­vich: Sobald ich aufwache, höre ich Musik. Heute Morgen war es Beet­hoven, die Rasu­mowsky-Quar­tette, Streich­quar­tett Nr. 7. Es gibt natür­lich auch Momente, in denen ich mich nach Stille sehne. Während eines Konzerts zum Beispiel. Da halte ich es mit Vladimir Horo­witz, der gesagt hat, es gehe ihm nicht um Applaus, sondern um Stille. Natür­lich freue ich mich über Beifall. Aber echte, konzen­trierte Stille nach einem Stück kann atem­be­rau­bend sein.

CRESCENDO: Erleben Sie den Hype, der um Sie tobt, manchmal wie Lärm?
Daniel Loza­ko­vich: Nein, um ehrlich zu sein, denke ich darüber nicht viel nach. Ich bin fast ausschließ­lich von groß­ar­tigen Musi­kern umgeben, die ich bewun­dere – und von Menschen, die mit Musik gar nichts zu tun haben. Das brauche ich als Ausgleich. Ich habe gerade die Schule abge­schlossen, Gott sei Dank, die war ein schwerer Ruck­sack auf meinen Schul­tern. Während des Übens kreisten meine Gedanken immer darum, welchen Unter­richts­stoff ich versäumt habe, welche Prüfungen anstehen. Jetzt kann ich mich ausschließ­lich meiner Kunst widmen, daneben gibt es nichts.

»Yehudi Menuhin ist einer meiner Lieb­lings­vio­li­nisten.«

CRESCENDO: Ihnen werden viele Label verpasst: „Wunder­kind“, „Der neue Menuhin“ – können Sie das beisei­te­schieben?
Daniel Loza­ko­vich: Mit werde ich vergli­chen, seit ich zwölf war. Natür­lich ist er einer meiner Lieb­lings­vio­li­nisten, ich bewun­dere ihn gren­zenlos, aber mein Spiel ist anders, weil ich eine andere Persön­lich­keit habe, ganz einfach. Wobei es eine Ehre ist, mit ihm vergli­chen zu werden – besser als mit einem Stümper! 

Der Geiger Daniel Lozakovich gilt als musikalisches Wunderkind.

Daniel Loza­ko­vich: „Als ich zum ersten Mal eine Violine gesehen habe, wusste ich, das ist mein Instru­ment, ich werde Musiker.“ 
(Foto: Johan Sand­berg / DG)

CRESCENDO: Haben Sie sich dieses Selbst­be­wusst­sein erst aneignen müssen?
Daniel Loza­ko­vich: Ich hatte immer dieses Vertrauen in mich. Ich weiß gar nicht, warum. Als ich zum ersten Mal eine Violine gesehen habe, wusste ich, das ist mein Instru­ment, ich werde Musiker. Und nicht bloß irgend­einer, sondern der beste. Damals war ich noch jung und wusste nicht, dass es den besten nicht gibt. Schon meinen Eltern zu eröffnen, dass ich Violi­nist werde, war ein Beweis von Selbst­be­wusst­sein. Sie sind eben keine Musiker, meine Mutter war scho­ckiert. Verständ­lich, wir wissen ja alle, wie eine Violine klingt, wenn man erst anfängt zu üben. Aber ich habe sie über­zeugt.

»Ich bin um die halbe Welt gereist, um gute Lehrer zu finden.«

CRESCENDO: Wie ist Ihnen das gelungen?
Daniel Loza­ko­vich: Meine Mutter wollte, dass ich Tennis­spieler werde. Ich habe zu ihr gesagt, Tennis­profi kann ich nur sein, bis ich 30 bin. Die Violine kann ich mein Leben lang spielen. Ich bin dann um die halbe Welt gereist, um gute Lehrer zu finden, das war die größte Heraus­for­de­rung. Als ich Josef Rissin in getroffen habe, wusste ich sofort: Er ist der Rich­tige für mich. Bei ihm habe ich mit elf Jahren zu studieren begonnen, er hat den Violi­nisten aus mir gemacht, der ich jetzt bin. Später habe ich meinen zweiten Lehrer gefunden, der eher ein Coach war und mitt­ler­weile wie ein zweiter Vater für mich ist, Eduard Wulfson. Wenn ich auf Tournee bin, ist er immer an meiner Seite.

CRESCENDO: Im Sport gibt es Rang­listen. In Ihrem Métier ist es schwerer zu beur­teilen, wann die Spitze erreicht ist. Woran merkt man es?
Daniel Loza­ko­vich: Es nützt jeden­falls nichts, wenn man es nur selbst merkt und sonst keiner! Manche widmen sich der Musik aus vollem Herzen, aber niemand fühlt mit ihnen, also genügt es nicht. Andere nähern sich ihr rein intel­lek­tuell, das kann sehr lang­weilig sein. Erst wenn sich beides verbindet, erreicht man die Menschen. Aber es gibt in der Kunst nicht den Besten. Wenn Sie vor einem Gemälde von Rembrandt oder Picasso stehen, stellen Sie doch auch keine Vergleiche an, oder? Man taucht ganz ein in deren Welt. Nichts anderes exis­tiert in diesem Moment.

Der Geiger Daniel Lozakovich gab bereits mit neun Jahren in Moskau sein Debüt als Solist.

Daniel Loza­ko­vich: „Sein Geheimnis, seine Homo­se­xua­lität, konnte Tschai­kowksy niemandem anver­trauen.“
(Foto: Johan Sand­berg / DG)

CRESCENDO: Bringt eine Solo­kar­riere wie Ihre Einsam­keit mit sich?
Daniel Loza­ko­vich: Gerade vor Konzerten bin ich gern allein. Ich bin so daran gewöhnt, niemanden zu sehen, dass es zur Norma­lität geworden ist. Fast schon zur Sucht. Aber natür­lich kenne ich Momente von Einsam­keit, in denen ich mich nach der Gesell­schaft von anderen sehne.

CRESCENDO: Was ist der Unter­schied zwischen Einsam­keit und Isola­tion?
Daniel Loza­ko­vich: Einsam ist in gewisser Weise doch jeder. Einsam­keit kann durch­bro­chen werden. Von jemandem, der sich einem zuwendet. Aber wenn man isoliert ist, lebt man in der Angst, über­haupt anderen zu begegnen, denke ich.

»Tschai­kowsky konnte sich ausschließ­lich in der Musik öffnen.«

CRESCENDO: Tschai­kowsky war sehr isoliert in seiner Zeit.
Daniel Loza­ko­vich: Einsam und isoliert, ja. Er trug eine so schwere Bürde. Sein Geheimnis, seine Homo­se­xua­lität, konnte er niemandem anver­trauen, ohne schlimme Konse­quenzen zu fürchten.

CRESCENDO: Immerhin hatte er seinen Bruder, dem er sich anver­trauen konnte.
Daniel Loza­ko­vich: Das genügte wohl nicht. Auch Vincent van Gogh hatte einen Bruder, dem er vertraute, aber sie waren sehr einsame Menschen. Tschai­kowsky war in Russ­land verwur­zelt, er trug seine Heimat immer mit sich, wie ein Kreuz um den Hals. Öffnen konnte er sich ausschließ­lich in der Musik. Und das hat er wie kein anderer Kompo­nist getan. Sein Stil ist natür­lich russisch, aber war auch geprägt von fran­zö­si­schen und deut­schen Einflüssen, von Mozart und Beet­hoven – nicht Brahms!

Der Geiger Daniel Lozakovich gab bereits mit neun Jahren in Moskau sein Debüt als Solist. Er gilt als musikalisches Wunderkind.

Daniel Loza­ko­vich: „Ich versuche, über jeden Kompo­nisten so viel wie möglich heraus­zu­finden.“
(Foto: Johan Sand­berg / DG)

CRESCENDO: Wie wichtig ist es Ihnen, sich das Universum eines Kompo­nisten zu erschließen, den Sie spielen?
Daniel Loza­ko­vich: Ich versuche, über jeden Kompo­nisten so viel wie möglich heraus­zu­finden. Ich recher­chiere, lasse mir Tipps geben, schaue mir die kompletten Parti­turen an – viel­leicht hat das Werk mir etwas zu erzählen, das ich sonst nirgends erfahren kann. Wie hat der Kompo­nist gelebt, wie gefühlt, was war seine Inspi­ra­tion? Der Vorgang ist mit Schau­spie­lerei vergleichbar. Große Schau­spieler müssen mit den Figuren eins werden, die sie verkör­pern.

»Echte Virtuo­sität ist für mich, eine Kompo­si­tion bis ins Kleinste zu verstehen.«

CRESCENDO: Und Sie verschmelzen mit dem Kompo­nisten?
Daniel Loza­ko­vich: Ich versuche es. Mein Violin­spiel soll der Musik helfen. Nicht umge­kehrt. Echte Virtuo­sität ist für mich nicht das Protzen mit tech­ni­schen Fähig­keiten, sondern es bedeutet, eine Kompo­si­tion bis ins Kleinste zu verstehen. Nur dann kann man mit ihr die Menschen mitreißen, scho­ckieren, sie schwin­deln lassen. Wenn das nicht gelingt, was vorkommen kann, wird es kein gutes Konzert.

Der Geiger Daniel Lozakovich gilt als musikalisches Wunderkind.

Daniel Loza­ko­vich und Maestro Vladimir Spiv­akov
(Foto: Johan Sand­berg / DG)

CRESCENDO: Sie haben Ihr Tschai­kowsky-Album in Moskau aufge­nommen, im Heimat­land des Kompo­nisten, in dem heute ein ziem­lich homo­phobes Klima herrscht. War das ein Zwie­spalt?
Daniel Loza­ko­vich: Nein, so habe ich das nicht empfunden. Tschai­kowsky ist der Star in Russ­land, die Leute verstehen seine Musik, sie berührt jeden. Wer ein Geheimnis mit sich herum­schleppen muss, kann sich Tschai­kowsky anver­trauen. Es war wichtig für mich, das Album in Russ­land aufzu­nehmen. Und vor allem: es mit Maestro Vladimir Spiv­akov einzu­spielen, der mein erster Diri­gent über­haupt war und der mein Lieb­lings­vio­li­nist für Tschai­kowsky ist.

CRESCENDO: Eine Rück­kehr zu den Wurzeln in jungen Jahren …
Daniel Loza­ko­vich: Wir haben in derselben gear­beitet, in der ich zum ersten Mal mit Orchester aufge­treten bin. Ich wollte an diese unver­gess­liche Erfah­rung anknüpfen und sie neu erfinden, deswegen musste es auch eine Live-Aufnahme sein.

Der Geiger Daniel Lozakovich im Gespräch über Einsamkeit, Isolation und Melancholie.

Daniel Loza­ko­vich: „Um Melan­cholie hörbar zu machen, muss man sie in sich haben.“
(Foto: Johan Sand­berg / DG)

CRESCENDO: Wie über­setzt man Gefühle in Musik? Tschai­kow­skys Médi­ta­tion beschreiben Sie selbst als ein Stück von kaum in Worte zu fassender Melan­cholie.
Daniel Loza­ko­vich: Ich gebe zu, das ist schwer. Um Melan­cholie hörbar zu machen, muss man sie in sich haben. Manchmal genügt es dafür schon, sich zurück­zu­ziehen und allein zu sein. Melan­cholie bedeutet ja nicht einfach, traurig zu sein. Sie ist ein Schmerz, mit dem man sich versöhnen kann. Picassos Blaue Periode beschreibt Melan­cholie perfekt, Der alte Gitar­ren­spieler zum Beispiel.

»Ich habe mir die Violine ausge­sucht, um sie bis ans Lebens­ende zu spielen.«

CRESCENDO: Braucht es so etwas wie die viel­be­schwo­rene russi­sche Seele, um Tschai­kowsky ganz durch­dringen zu können?
Daniel Loza­ko­vich: Schwer zu sagen. Ich habe eine Menge russi­scher Einflüsse in mir, aber auch viele andere, es ist also eine gemischte russi­sche Seele … meine Eltern und Groß­el­tern kommen aus Ländern, die mit der Sowjet­union verbunden waren, natür­lich fühle ich eine Nähe zu Tschai­kowsky. Aber das geht mir auch mit deut­schen Kompo­nisten so.

CRESCENDO: Maestro Spiv­akov soll gesagt haben: „Jetzt sind Sie für die nächsten 50 Jahre dran mit diesem Concerto“ …
Daniel Loza­ko­vich:
Spiv­a­kovs Aufnahme des Concertos ist für mich und viele andere die beste aller Zeiten. Natür­lich hat mich sein Satz sehr berührt. Und ich empfinde ihn auch als Verpflich­tung. Ich habe mir die Violine ausge­sucht, um sie bis ans Lebens­ende zu spielen, also werde ich immer mein Bestes geben.

Weitere Infor­ma­tionen: www​.loza​ko​vich​.com