Hans Sigl

„Der erste Schritt zum Menschen ist immer die Musik“

von Maria Goeth

5. Juni 2018

Jeder kennt ihn: Er ist der „Bergdoktor“. Dabei kann der Schauspieler Hans Sigl so viel mehr …

CRESCENDO: Herr Sigl, in Ihrer wilden Jugend­zeit haben Sie Gitarre und Schlag­zeug gespielt und sich für AC/DC und Queen inter­es­siert.

: Zwei groß­ar­tige Bands. Musi­ka­lisch hat jedoch alles damit begonnen, dass ich im Jungen­d­chor mitsang. Musik war schon als Kind ein wich­tiger Teil meines Lebens. Meine erste Trom­pete bekam ich mit sechs Jahren geschenkt, und darauf zu spielen, habe ich mir selbst beigebracht.

Sind Sie mit Trom­pete auch aufge­treten?

So weit kam es nicht, denn das Instru­ment fand ein jähes Ende:
Im Fern­sehen sah ich Dizzy Gille­spie spielen, dessen Trom­pete vorne so einen hoch­ge­zo­genen Trichter hatte. Ich dachte: Das will ich auch und habe den Trichter einfach vorne hoch­ge­bogen – damit war das Thema erle­digt!

Sie haben mehrere Medi­ta­tions-CDs einge­spielt. Ihr Entspan­nungs­tipp?

Es gibt ein schönes Zitat von Goethe: „Im Atem­holen sind zwei­erlei Gnaden: Die Luft einzu­ziehn, sich ihrer entladen“. Wenn man sich hinsetzt, aufrecht, Hände auf die Knie und einfach zwei Minuten darauf achtet, wo man hinatmet und was der Atem mit einem macht, ist man der Entspan­nung schon sehr nah. Da reichen wirk­lich schon zwei Minuten, die man beispiels­weise im Auto sitzen bleibt, anstatt gestresst wieder loszu­brausen.

„Sänger haben die Möglich­keit, ganz anders auf Menschen einzu­wirken, sie zu berühren, als Schau­spieler“

Wenden Sie das selbst an?

Mein Schau­spiel­beruf findet mit dem Berg­doktor viel in der Natur statt. Immer draußen, mit vielen Leuten um mich rum. Ich genieße und mag das, aber setze mich doch gerne zwischen­durch irgendwo in den Wald oder in den grünen Benz, unser Film­auto beim Berg­doktor, und mach die Türen zu. Draußen wuselt alles herum, ich setze mich hin, Hände auf den Knien und nehme mir die Zeit.

Neben Stille kann auch Musik entspannen …

Unbe­dingt. Der erste Schritt zum Menschen ist immer die Musik. Deshalb haben Sänger die Möglich­keit, ganz anders auf Menschen einzu­wirken, sie zu berühren, als Schau­spieler. Bei uns Schau­spie­lern ist ja immer erst das ratio­nale Verständnis des Textes notwendig. Bis das im Herzen ange­kommen ist, ist manchmal schon die Pause vorbei. In der Oper ist man bereits bei der Ouver­türe in einer anderen Welt. Das heißt, uns Schau­spie­lern fehlt ein Medium, welches die Musiker haben, darauf sind viele – mich einge­nommen – sehr neidisch.

Das halbe Jahr drehen Sie naturnah den Berg­doktor, im anderen leben Sie am Ammersee – zwei idyl­li­sche Loca­tions …

Clever, was? Alles richtig gemacht.

Nervt der Kitsch nicht manchmal schon fast?

Nach den ersten zwei, drei Staf­feln Berg­doktor-Dreh in Ellmau, bei denen ich fast ein Drei­vier­tel­jahr nur in den war, kam ich nach Berlin und bin bei einer vier­spu­rigen Straße mit Fußgän­ger­über­gang richtig erschro­cken. Man entwöhnt sich. Meine Frau und ich machen gerne Städ­te­reisen, aber ich habe nie längere Zeit das Bedürfnis nach Trubel und Hektik der City. Ich liebe Lager­feuer, liebe es, wenn die Vögel zwit­schern – das ist meins!

„Ich liebe Lager­feuer, liebe es, wenn die Vögel zwit­schern – das ist meins“

Sie werden stark mit der Rolle des Berg­dok­tors iden­ti­fi­ziert. Werden Sie als Fern­seh­dar­steller bei anderen Projekten wie Ihren Hörbü­chern oder bei Lesungen deshalb weniger ernst genommen?

Menschen, die pauschale Vorur­teile haben, unter­stütze ich grund­sätz­lich gedank­lich nicht, über­zeuge sie aber sehr gerne. Menschen, die sagen, das höre ich mir einfach mal an, ich bin neugierig, finde ich groß­artig. Bevor ich zum Fern­sehen kam, habe ich zwölf Jahre lang Theater gespielt, und es ist wahr­schein­lich, dass ich nicht bis zur Rente den Arzt verkör­pern werde – es gab und gibt also immer auch etwas anderes in meinem Leben.

Und für Sie selbst? Fällt es nach Monaten des Berg­dok­tors schwer, wieder in andere Rollen zurück­zu­schalten?

Über­haupt nicht, das ist ja meine Arbeit. In den ersten zwei, drei Jahren hat mich die Figur des Berg­dok­tors schon sehr gefor­dert: Wohin geht die Reise? Wie entwi­ckelt man die Figur? Darauf lagen Energie und Fokus. Inzwi­schen hat sich alles im posi­tiven Sinne einge­spielt: Man kennt das Team, die Autoren, die Produ­zenten – bespricht gemeinsam, wo es hingeht. Das ist schön. So gibt es immer mehr Raum für andere Projekte. Etwa mit dem Einspre­chen von Reclam-Hörbü­chern oder meinen Lesungen haben sich ganz neue Felder aufgetan. Da kann man umge­kehrt wieder neue Kraft und Energie für die Fern­seh­pro­duk­tionen schöpfen.
Zum Beispiel, wenn man fünf Stunden Effi Briest einge­lesen hat – weil die Arbeit toll ist und es wunderbar ist, sich mit dieser Sprache, diesen Texten zu beschäf­tigen, die man seit seiner Schul­zeit nicht mehr auf dem Schirm hatte. Die Schach­no­velle von Stefan Zweig oder Der Sand­mann von E. T. A. Hoff­mann, was für unglaub­liche Bücher! Letz­teres eine Parabel der künst­li­chen Intel­li­genz, in unserer Zeit also ein hoch­ak­tu­elles Thema. Oder Hoff­manns Erzäh­lungen mit der künst­li­chen Figur der Olympia. Woher kommt das Verlangen der Menschen nach diesen Roboter­wesen? Dann liest man Hoff­mann und versteht es … das nimmt mich mit und macht mich glück­lich.

„Sehn­sucht wird gerade in unserer hekti­schen Zeit immer größer und befeuert die Fantasie“

Nun treten Sie als Spre­cher bei einem Melo­dra­men­abend bei der Schu­ber­tiade in auf. Wie kam es dazu?

Der Pianist Helmut Deutsch hatte mich ange­spro­chen, ob ich Melo­dramen kenne. Diese Musik, über die Texte gespro­chen – nicht gesungen – werden, sind ein tiefer, ganz anderer Ansatz von Lied­in­ter­pre­ta­tion. Und es ist für mich eine große Freude und Ehre, mit einem der besten Lied­be­gleiter der Welt zusammen­zuarbeiten.

Viele der Werke sind spät­ro­man­tisch und damit vom Thema her oft sehr verträumt: Es geht um Ritter, um Natur, um schau­rige Geis­ter­welten. Ist das heute noch aktuell?

Es spielt zwar in diesen roman­ti­schen Welten, geht aber um viele große und teil­weise auch harte Themen des Mensch­seins. Tatsäch­lich sterben in fast jedem Melo­dram eine oder mehrere Personen. Ande­rer­seits besteht bei vielen Menschen die Sehn­sucht, in eine Märchen­welt einzu­tau­chen. Diese Sehn­sucht wird gerade in unserer hekti­schen Zeit immer größer und befeuert die Fantasie.

Fotos: Hans Sigl