Woher kommt eigentlich...

Der gelbe Klang?

von Stefan Sell

20. Dezember 2018

Die Musik ist die Schwester der Malerei. Aber sind gregorianische Gesänge blau? Pulsiert Bach in Orangerot, wie Hélène Grimaud sagt? Sind Töne farbig?

Sind grego­ria­ni­sche Gesänge blau? Pulsiert Bach in Oran­gerot, wie sagt? In war das Orchester 1842 unschlüssig darüber, was es mit der Anwei­sung seines Kapell­meis­ters Liszt anfangen sollte: „Meine Herren, ich bitte Sie, ein wenig mehr Blau! Das verlangt diese Tonart!“ Impro­vi­sierte Chopin am Klavier, glaubte George Sand, „la note bleue“ zu hören. Und bei Bren­tano heißt es: „Golden weh’n die Töne nieder.“ Können Töne farbig sein?

Inder, Araber und Chinesen konnten sich das ebenso vorstellen wie Pytha­goras, der in Farben und Musik schlicht Verwandte sah. Leonardo da Vinci, der selbst Musik machte, wusste: Die Musik ist die „Schwester der Malerei“. Im 17. Jahr­hun­dert ließ das Licht sich in einem Glas­prisma, viel­leicht auch in einem Regen­tropfen, brechen und erkannte in den dort sichtbar werdenden sieben Farben (Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett) die Paral­le­lität zu den sieben hörbaren Tönen C, D, E, F, G, A, H und entdeckte einen klin­genden Regen­bogen.

Rote Dur-Akkorde und grüne Moll-Akkorde

Wenn man die Geschichte des Farben­hö­rens durch­streift, begegnen einem überall Tonseher und Farb­hörer. Farben­hören ist eine synäs­the­ti­sche Wahr­neh­mung, ein „Mitemp­finden“, ein „Zusam­men­wahr­nehmen“. Es wird geschätzt, dass 25 Prozent aller Menschen diese Fähig­keit besitzen. Die meisten verbinden Klänge mit Farb­vor­stel­lungen. war über­zeugt: „Dur-Akkorde sind rot oder pink, Moll-Akkorde irgendwo zwischen grün und braun“. Rimsky-Korsakow erschien C‑Dur weiß. Und machte die Erfah­rung: „Ich höre eine Note von einem in der Band, und sie hat eine Farbe. Dann höre ich die gleiche Note von jemand anderem gespielt, und sie hat eine andere Farbe. Wenn Harry Carney spielt, ist D dunkel­blaues Sack­leinen. Wenn Johnny Hodges spielt, wird es zu hell­blauem Satin.“

Der Mathe­ma­tiker und Jesui­ten­pater Castel erfand eine „Augen­orgel“, wie Tele­mann sie 1739 in einem kurzen Traktat beschrieb, „mit der Kunst, Klänge und alle Arten von Musik zu malen“. Tele­mann hatte Castel in Paris kennen­ge­lernt und das Wunder­in­stru­ment in Augen­schein genommen. Castel ordnete zwölf Tönen zwölf Farben zu. Spielte man auf der Klaviatur, zeigte jede Taste auf einem Fächer oder auf bemaltem Glas eine andere Farbe. Aus dem Farben­spiel erklang „Musik für die Augen“, wie es nannte. Später entwi­ckelte sich diese Idee zu einem frühen Vorläufer der Light­show: „Es stellen sich die Farben an der Wand dar und vermi­schen sich, wenn viele Töne zusammen gegriffen werden, auf unzäh­lige Arten.“

Gelb wie eine immer lauter gebla­sene Trom­pete

Der russi­sche Tonmaler Skrjabin sah C‑Dur „natür­lich als rot, ganz klar, keine Frage“. Für ihn war Musik mehr­di­men­sional, äußerte sich auf allen Ebenen der Wahr­neh­mung. Er entwi­ckelte aus der Idee Castels ein eigenes Farb­kla­vier, für das er das Orches­ter­werk Promé­thée schrieb. In einer Kammer­fas­sung in seinem Moskauer Wohn­zimmer sorgte das Werk 1911 zwar für Aufsehen, blieb aber ohne seine Licht­stimme. Erst 1915 kam das Werk in der Carnegie Hall inklu­sive Licht zur Auffüh­rung.

Damit aber der Klang gelb wurde, musste ein „Maler des Klangs“ die Bühne betreten: „Gelb klingt wie eine immer lauter gebla­sene Trom­pete (scharf) oder wie ein in die Höhe gebrachter Fanfa­renton“, defi­nierte Kandinsky und hatte für jede Farbe eine solche Defi­ni­tion zur Hand. Am 1. Januar 1911 besuchte er erst­mals ein Konzert von Schön­berg und malte daraufhin seine Impro­vi­sa­tion III (Konzert), in der das Gelb domi­niert. Aus einem inten­siven Brief­wechsel mit Schön­berg erwuchs eine enge Bezie­hung von Maler und Kompo­nist, bei der die Rollen nie eindeutig scheinen.

Der musi­ka­li­sche Klang des Gelb

1912 kompo­nierte Kandinsky eine „Bühnen­kom­po­si­tion“ aus Farbe, Licht, Tanz und Ton, die er Der gelbe Klang nannte, und schrieb: „Der musi­ka­li­sche Teil wurde von Thomas von Hart­mann über­nommen.“ Der russi­sche Freund und Kompo­nist erin­nert sich: „Die Musik dazu schrieb ich, aber nur entwurfs­weise, da die letzte Form und die Orches­trie­rung von der Art des Thea­ters abhängen würde, das das Stück abnahm.“ Zu Lebzeiten kam es zu keiner Urauf­füh­rung. Später verliehen anstelle von Hart­mann so illustre Personen wie Gunther Schuller, und dem „Gelb“ seinen musi­ka­li­schen Klang.

Noch im Kompo­si­ti­ons­jahr fanden sich alle im Alma­nach Der Blaue Reiter wieder: Der Cello und Klavier spie­lende Maler Kandinsky fungierte mit Franz Marc als Heraus­geber. Der malende Kompo­nist veröf­fent­lichte seine Kompo­si­tion Herz­ge­wächse, seine Malkunst und einen Text­bei­trag, der Prome­theus von Skrjabin war durch einen legen­dären Aufsatz des Musik­kri­ti­kers und Kompo­nisten Leonid Saba­nejew vertreten, Thomas von Hart­mann durch seinen Beitrag Über Anar­chie in der Musik, und last but not least fand sich darin ein Abdruck von Kandin­skys Der Gelbe Klang.

Fotos: Wassily Kandinsky / Impression III (Concert) / Google Art Project