Gautier Capuçon

Der Prinz Eisen­herz des Cellos

von Verena Fischer-Zernin

8. Februar 2018

Aus einem mittelalterlichen Ort in den französischen Alpen stammend, eroberte sich Gautier Capuçon die Begeisterung von Zuhörern: unfehlbar, geradlinig, weltoffen und mit spektakulärer Expressivität.

Aus einem mittel­al­ter­li­chen Ort in den fran­zö­si­schen Alpen stam­mend, eroberte sich Gautier Capuçon die Begeis­te­rung von Millionen von Zuhö­rern: unfehlbar, gerad­linig, welt­offen und mit spek­ta­ku­lärer Expres­si­vität.

Unterm Eiffel­turm haben sie eine Bühne aufge­baut, mit Stern­chen­himmel und Mood-Beleuch­tung. Das Orchester rollt einen Klang­tep­pich aus, dann setzt der Cellist ein: strah­lendes Lächeln, weiße Smoking­jacke. Schon während er die ersten Töne von Masse­nets Médi­ta­tion de Thaïs aufglühen lässt, schwenken die Menschen draußen auf dem Mars­feld ihre Handy­ta­schen­lampen, und als das Stück verlischt, bricht die Menge in Jubel aus wie bei einem Rock­kon­zert.

Wenn sich ein klas­si­scher Musiker für so ein popu­läres Format hergibt, kann er sich darauf gefasst machen, von den Vertre­tern einer elitären Kunst­auf­fas­sung an den Pranger gestellt zu werden. Die Attri­bute sind schnell bei der Hand: ober­fläch­lich, anbie­dernd, unse­riös. An perlt so etwas ab. Auch abseits des Open-Air-Konzerts ist er sich nicht zu schade, das breite Publikum anzu­spre­chen. Als Juror der fran­zö­si­schen Fern­seh­show „Prodiges“ („Wunder­kinder“) erreicht er Millionen, da begleitet er schon mal eine kleine Balle­rina mit dem berühmten Schwan von Saint-Saëns.

Mögen die Puri­taner auf ihn eindre­schen, Capuçon ist als Inter­pret über den Verdacht einsei­tiger Seich­tig­keit erhaben. Mit seinen 36 Jahren hat er alle Stationen absol­viert, die es für eine Welt­kar­riere braucht. Er konzer­tiert mit , dem Quatuor Ebène und den Wiener Phil­har­mo­ni­kern. Seine Disko­grafie zeugt von seiner Liebe zur Kammer­musik, es finden sich aber auch die Cello­kon­zerte von Haydn, Schost­a­ko­witsch und Luto­sławski darin. Kurz, Capuçon kann es sich leisten, ein Album nur mit Lieb­lings­stü­cken heraus­zu­bringen. „Intui­tion“ erscheint im Februar und präsen­tiert gleichsam auf dem Silber­ta­blett, drama­tur­gisch lose gefügt, lauter cellis­ti­sche Pralinen: Salut d’amour von Elgar ist dabei und die Voca­lise von Rach­ma­ninow, der Schwan und Thaïs, aber auch Musik von Scott Joplin und Piaz­zolla.

„Die Auswahl ist ganz und gar persön­lich“, sagt Capuçon an einem Winter­morgen beim Inter­view in der Hamburger Spei­cher­stadt, er kommt gerade aus Paris. „Ich habe schon jahre­lang davon geträumt, eine Platte mit Charak­ter­stü­cken zu machen und damit eine Geschichte zu erzählen – oder eigent­lich mehrere Geschichten. Aus meiner Kind­heit, meinen frühen Pariser Jahren mit meinem Lehrer Phil­ippe Muller oder meiner Studen­ten­zeit in Wien.“ Der zier­liche Mann versinkt fast hinter dem riesigen Holz­tisch, doch wendet er sich seinem Gegen­über auf diese geschmei­dige Weise zu, die in das Etikett fran­zö­si­scher Höflich­keit trägt. Alle paar Sekunden kämmt er sein kinn­langes schwarzes Haar mit den Fingern zurück zum Eisen­herz-Haar­helm.

Capu­çons Biografie wirkt, als folge sie einem geheimen Bauplan. Der Mann mit dem Ritter­namen und der Ritter­frisur stammt aus Cham­béry in den Alpen, das im Mittel­alter Sitz der Herzöge von Savoyen war. Geprägt haben ihn die Berg­welt und ein offen­kundig glück­li­ches Fami­li­en­leben voller Musik. Als Gautier mit vier Jahren zum Cello griff, waren die zehn Jahre ältere Schwester Aude am Klavier und der fünf Jahre ältere Bruder Renaud an der Geige schon fort­ge­schritten. Ein stär­kerer Antrieb für den Jüngsten lässt sich kaum denken. Aude gab das Klavier­spielen später auf, die beiden Brüder jedoch entwi­ckelten sich kome­ten­haft. „Meine Eltern haben uns nie gezwungen“, erzählt Capuçon, „aber wenn ich sechs Stunden geübt hatte, hat meine Mutter durchaus ange­deutet, dass es auch noch mehr hätten sein können.“

„wenn ich sechs Stunden geübt hatte, hat meine ­Mutter ange­deutet, dass es auch noch mehr ­hätten sein können“

Hübsch, die Geschichte vom Brüder-Duo. Und dem Fort­kommen dien­lich. Ihr Para­de­stück ist das Doppel­kon­zert von Brahms, den Anschluss an den Älteren hat Gautier früh geschafft. An seine Lehrer erin­nert er sich: „Sie haben sich enorm für mich einge­setzt. Statt mich nach ihrem Bild zu formen, haben sie mir geholfen, ich selbst zu werden.“ Mit 14 Jahren wech­selt er nach Paris zu Phil­ippe Muller, mit 16 zieht er ganz in die Haupt­stadt. „Das Studen­ten­leben habe ich aber erst in Wien kennen­ge­lernt“, erzählt er. „Ich ging mit Freunden feiern und hörte Musik von Scott Joplin.“ Sein Lehrer dort war Hein­rich Schiff, wie Phil­ippe Muller ein Schüler des legen­dären André Navarra, der mit seinem singenden Ton und einer spiel­tech­ni­schen Beherr­schung bis ins kleinste Detail Gene­ra­tionen von Cellisten geprägt hat.

Viel­leicht ist es kein Zufall, dass Capuçon sich beim Spielen ähnlich krea­tür­lich gibt wie einst der unge­zähmte Hein­rich Schiff. Seine Miene ist in einem Zustand der Dauer­ex­pres­si­vität. Er schnauft und stülpt die Lippen vor, er schickt dem Diri­genten flehent­liche oder auch zornige Blicke, je nach Affekt. Ande­rer­seits über­lässt er in der Musik selbst nichts dem Moment. Phra­sie­rungen und Über­gänge sind schlüssig, aber es ist zu hören, dass er jedes Detail bewusst setzt. Seine Palette reicht vom verhan­genen Après un rêve von Fauré über das Flirren des Popper’schen Elfen­tanzes bis zu einem fast brui­tis­ti­schen Zugriff bei Piaz­zollas Grand tango. Der Bogen kontrol­liert die Saiten seines Goffriller-Cellos, ohne sie je frei­zu­lassen.

Genauso unfehlbar ist seine Außen­dar­stel­lung. Kein Skandal, nirgends. Statt­dessen schwärmt er von seinen beiden Töch­tern. Als ihn eine Fern­seh­jour­na­listin einmal fragte, wen er, wenn er es bestimmen könnte, auf einem Geld­schein verewigen ließe, erwi­derte er: „meine Frau“. Sogar dass er vor Jahren mit einem Burn-out zu kämpfen hatte, erzählt er leichthin – liegt so eine Krise länger zurück, ist sie nicht mehr karrie­re­ge­fähr­dend, sondern inter­es­sant. Er habe sie allein durch­ge­standen, sagt Capuçon. Es habe sie niemand außer ihm selbst bemerkt. Er mache jetzt wieder Sport, achte auf seinen Schlaf und medi­tiere regel­mäßig: „In der Rück­schau ist es genial. Ich bin an meine Grenzen gekommen, aber diese Erfah­rung hat es mir auf lange Sicht ermög­licht, noch weiter­zu­gehen.“

Ein Resultat dieser Trans­for­ma­tion ist das Album „Intui­tion“. So nahtlos fügen sich die Dinge im Leben des Gautier Capuçon.

Fotos: Felix Broede / Warner Classics