Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz

Die Musik zu den ­Menschen bringen!

von Maria Goeth

7. Juni 2018

Für die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ist die kommende Saison Abschied und Aufbruch zugleich: Ihr starkes Führungs-Duo der vergangenen Jahre wird sie verlassen, Energie und Feuer bleiben.

Für die Deut­sche Staats­phil­har­monie Rhein­land-Pfalz ist die kommende Saison Abschied und Aufbruch zugleich: Ihr starkes Führungs-Duo der vergan­genen Jahre wird sie verlassen, Energie und Feuer bleiben.

„Mehr­stim­mige Musik ist wie ein Erfolgs­re­zept für eine mehr­stim­mige Gesell­schaft: Jede einzelne Stimme funk­tio­niert in Respekt vor und Gemein­schaft mit der anderen!“, so die Über­zeu­gung von Michael Kauf­mann, seit 2011 Inten­dant der Deut­schen Staats­phil­har­monie . Zusammen mit Chef­di­ri­gent hat er in den vergan­genen Jahren reich­lich was bewegt in seiner Region. Eine Viel­zahl neuer Konzert­for­mate wurde geboren: etwa die Reihe „Modern Times“, die mit ihrem unver­krampften Blick auf die Tonkunst des 20. Jahr­hun­derts auch Skep­tiker in Konzerte Neuer Musik lockt. Den Schlüssel zum Erfolg liefern dabei knackige, auch komplexe Musik zugäng­lich machende Mode­ra­tionen, aber auch namhafte Solisten wie oder . Dann wäre da der Bruckner-Zyklus, in der die Musik des großen Roman­ti­kers in den vier großen Domen der Region – , , und – gespielt wird, eine gelun­gene Symbiose von Musik und archi­tek­to­ni­schem Welt­kul­tur­erbe. Und wieder ganz anderen Charak­ters zeigen sich Reihen wie die im Mann­heimer Capitol, ehemals einem der größten Film­theater, wo sich Klassik und Jazz begegnen, aber auch „tradi­tio­nelle“ klas­si­sche Musik gegeben wird. Dabei senkt der unge­wöhn­liche Ort die Hemm­schwelle für Besu­cher, die sich sonst nicht unbe­dingt in Konzert­säle verirren.

Chefdirigent Karl-Heinz Steffens und Intendant Michael Kaufmann

Foto: Julia Okon

Kein Wunder, dass sich Kauf­mann und Stef­fens über konti­nu­ier­lich stei­gende Besu­cher­zahlen freuen, obwohl die große Me­tropolregion, die das Orchester bespielt – gelinde gesagt! – nicht allzu viel gemein hat: Während es in kaum eine bürger­liche Gesell­schaft gibt, findet man sie in und durchaus. Heidel­berg ist außerdem ein Sammel­be­cken für Studenten und Medi­ziner. Dass diese über Jahr­zehnte gewach­senen Unter­schiede auch voll­kommen verschie­denes Publikum hervor­bringen, sieht Inten­dant Kauf­mann als Heraus­for­de­rung und Chance zugleich: „Mit demselben Programm in Heidel­berg und Ludwigs­hafen kann man voll­kommen unter­schied­liche Menschen errei­chen: von denen, die leger gekleidet in der Pause ein Bier trinken, bis zu den elegant Geklei­deten mit Cham­pa­gner­glas.“

„Ein Orchester ohne Heimat ohne Haus ist nicht einge­bunden in ein Gesamt­pro­gramm“

Und dann wäre da noch das Fehlen eines eigenen Konzert­saals für die Musiker der Deut­schen Staats­phil­har­monie. „Ein Orchester ohne Heimat ohne Haus ist nicht einge­bunden in ein Gesamt­pro­gramm. Das Wirken wird auf das einzelne Ereignis redu­ziert. Da fällt es schwer, etwas lang­fristig zu entwi­ckeln, Stamm­pu­blikum aufzu­bauen“, erläu­tert Kauf­mann. Deshalb hat er sich beispiels­weise ausge­dacht, dass Besu­cher ihr eigenes Abo aus den Ange­boten in Ludwigs­hafen und Mann­heim zusam­men­stellen können. Dennoch: „Jeder Musiker bei uns muss einen viel größeren Aufwand betreiben, weil er immer erst irgendwo hinfahren muss. Das fordert ganz schön Energie!“ Dennoch bleibt Kauf­mann auch in Bezug auf die Heraus­for­de­rung der „Heimat­lo­sig­keit“ Opti­mist: „Es ist eine groß­ar­tige Leis­tung, wenn man die Musik zu den Menschen bringt! Wir kommen zu ihnen, nicht sie zu uns!“

Auf die Frage, ob er sich einen eigenen Konzert­saal wünscht, fordert Kauf­mann, man müsse sich von den alten starren Konzepten eines „Tempels der klas­si­schen Musik“ befreien, hindenken zu neuen flexi­blen und multi­funk­tio­nalen Bauten, die zum „gesell­schaft­li­chen Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt“ gedeihen können. Konzerte würden dann zu Ereig­nissen, in die nicht nur typi­sche Klas­sik­fans strömten. „In einer immer digi­ta­leren Welt wird oft vergessen, dass es Versamm­lungs­räume geben muss, in denen es noch absolut analog zugeht, in der echte Gemein­schaft entstehen kann und nicht nur eine User Group in irgend­einem Forum. Musik wird hier zum Diener und zum Motor ganz vitaler gesell­schaft­li­cher Funk­tionen“, so Kauf­manns Vision. „Ich hasse es, wenn man uns in eine Nische sperrt! Als ich noch in der Kölner Phil­har­monie gear­beitet habe, war es immer unser Ehrgeiz, mehr Besu­cher zu errei­chen als der 1. FC . Das haben wir jedes Jahr geschafft!“

„Ich hasse es, wenn man uns in eine Nische sperrt“

Trotz all dieses Eifers und dieser Entwick­lungen nimmt das Leitungsduo im Sommer von der Staats­phil­har­monie Abschied. „Was Karl-Heinz Stef­fens und ich gemacht haben, war für alle Betei­ligten – vom Minis­te­rium bis zu den Mitar­bei­tern und Musi­kern – ein anstren­gender Parcours! Denen haben wir viel zuge­mutet“, resü­miert Kauf­mann. Nun sieht er sich ganz ohne Bitternis am Ende eines Weges, auf dem er erst mal alles gegeben hat, was er aus seiner Sicht geben kann. „Man könnte sagen, dass ich sehr erfolg­reich geschei­tert bin“, lacht er und über­gibt den Staf­fel­stab bezie­hungs­weise ein Orchester in Tipp­topp-Zustand an seinen Nach­folger Beat Fehl­mann. Die Chef­di­ri­gen­ten­po­si­tion ist noch nicht neu besetzt und wird wohl eine Saison lang offen bleiben, bis der oder die Neue pünkt­lich zum 100. Geburtstag des Orches­ters Ende 2019 in Stef­fens Fußstapfen tritt.

Die kommende Saison ist noch das plane­ri­sche Werk des schei­denden Inten­danten. Kauf­mann freut sich beson­ders, dass etwa wieder­kommen wird, mit dem das Orchester acht Konzerte mit zwei unter­schied­li­chen Programmen gibt: „Der spielt und diri­giert nicht nur, sondern hält eine Art Master­class für alle unsere Strei­cher!“ Außerdem wird im Rahmen eines Künst­ler­por­träts der briti­sche Diri­gent 15 Konzerte über­nehmen, was trotz der chef­di­ri­gen­ten­losen Zeit für Konti­nuität und eine persön­liche Hand­schrift vom Pult aus sorgen wird. Weitere High­lights sind drei Konzerte mit Mozart, Haydn und dem Brahms-Doppel­kon­zert, bei der Musiker aus dem Orchester die Solisten sind und sich so in unge­ahnter Stärke präsen­tieren können.

Und was wünscht Kauf­mann seinem Orchester für die Zukunft? Dass es weiterhin konti­nu­ier­lich, selbst­kri­tisch und voller Energie an seiner Qualität arbeitet und eine unver­zicht­bare Kultur­ein­rich­tung in der ganzen Region bleibt!


Infor­ma­tionen und Karten­ser­vice:
www​.staats​phil​har​monie​.de

Fotos: Sebastian Gründel