Woher kommt eigentlich ...

Die Welt­musik?

von Stefan Sell

29. November 2018

Ein Spiel ohne Grenzen! Musik als Universalsprache ist Weltmusik, ist die Sprache, mit der sich jeder auf der Welt mit jedem verständigen kann.

Gold­zün­gige Sänger und wohl­klin­gende Musiker sangen und spielten zu Motiven im persi­schen Stil auf arabi­sche Melo­dien nach türki­scher Weise und mit mongo­li­schen Stimmen, den chine­si­schen Gesetzen und der altai­schen Metrik folgend“, bezeugte ein Kenner im 14. Jahr­hun­dert die Fest­musik am Hofe Timurs, des Lahmen in Samar­kand, dem heutigen . Das klingt nach Welt­musik. Die Frage also, woher die Welt­musik kommt, ließe sich einfach beant­worten: Welt­musik ist Musik aus der ganzen Welt, die zuein­ander findet. In jedem Unglei­chen findet sich ein Glei­ches. Oder, um es mit Novalis zu sagen:

Jedes in Allen dar sich stellt 
Indem es sich mit ihnen vermischet …
Die Welt wird Traum, der Traum wird Welt

Ob frei­willig, gewaltsam oder gezwungen, durch Völker­wan­de­rung, Verschlep­pung, Flucht oder Migra­tion – unter­schied­liche Kulturen treffen aufein­ander und vermi­schen sich. Der Tango ist eine Mélange aus Liedern der Gauchos, der Musik spani­scher und italie­ni­scher Einwan­derer, polni­scher Polka, afri­ka­ni­scher Einflüsse und einer Erfin­dung aus Krefeld, dem Bando­neon von Hein­rich Band. Im 15. Jahr­hun­dert erreichten Gitanos, die ursprüng­lich aus kamen, das 700 Jahre von Mauren beherrschte Anda­lu­sien, der Flamenco lebt von diesen Einflüssen. Die Musik der in Nord­ame­rika versklavten Afri­kaner mündete in Gospel und Blues, ohne die kein Jazz, kein Rock, kein Pop denkbar wäre. Musik als Univer­sal­sprache ist Welt­musik, ist die Sprache, mit der sich jeder auf der Welt mit jedem verstän­digen kann. Es ist die Sprache des Verste­hens und Befrie­dens.

Eine Musik aller Länder und Rassen

Die Exis­tenz einer eben­bürtig gleich­zei­tigen Welt­musik wurde aller­dings auch geleugnet, indem eine Respekt­lo­sig­keit vor fremden Kulturen propa­giert wurde, die befrem­dender ist als fremde Kulturen über­haupt fremd sein können. Stell­ver­tre­tend für ein Musik­ver­ständnis dieser Art schreibt 1965 Kurt Pahlen, ein seiner­zeit viel gefragter Musiker und Musik­wis­sen­schaftler, der einem breiten Publikum Musik vermit­teln durfte: „Es gibt eine Fülle von Musik, zu deren Schaffen es keiner Synthese aus Kunst und Wissen­schaft bedarf. Denken wir an die primi­tive Musik exoti­scher Völker, aber auch an folk­lo­ris­ti­sche Äuße­rungen einfa­cher Art. Zum Tanz­lied eines afri­ka­ni­schen Stammes, zur einsamen Melodie eines India­ners in den Anden ist kein Können, keine Technik vonnöten, sondern nur Inspi­ra­tion, das heißt, die seeli­sche Kompo­nente. (…) Natür­li­cher­weise beschäf­tigt unser Buch (Musik) sich in erster Linie mit der Kunst­musik, denn ledig­lich diese muss gleich­zeitig ‚verstanden‘ und ‚erfühlt‘ werden. Hier sind es Genie und Können, Form und Inhalt, seelisch-geis­tige Kräfte, die die Materie bewegen.“ Einlei­tend hatte Pahlen seine These mit Allge­mein­plätzen wie „Kunst kommt von Können“ und Kunst ist „1 % Inspi­ra­tion und 99 % Tran­spi­ra­tion“ gespickt.

1906 ahnte der Musik­for­scher Georg Capellen: „Durch die Vermäh­lung von Orient und Okzi­dent gelangen wir zu dem neuen Musik­stil, zur ‚Welt­musik‘, die je nach der natio­nalen und indi­vi­du­ellen Veran­la­gung des Schaf­fenden in den verschie­densten Nuancen schil­lern wird.“ wollte 1966 mit seiner Vision von Welt­musik, der „Tele­musik für Tonband“, „einem alten und immer wieder­keh­renden Traum näherkommen: einen Schritt weiter­zu­gehen in die Rich­tung, nicht ‚meine‘ Musik zu schreiben, sondern eine Musik der ganzen Erde, aller Länder und Rassen“.

Verbunden in freier Begeg­nung des Geistes

Stock­hausen folgte fast schon einer didak­ti­schen Idee, die Ohren zu öffnen für die Einzig­ar­tig­keit in der Viel­sei­tig­keit der Musik. So zählt er alle, die in „Tele­musik“ zu hören sind, auf: die „mysteriösen Besu­cher vom japa­ni­schen Kaiserhof, die Gagaku-Spieler, von der glücklichen Insel Bali, aus der südlichen Sahara, von einem spani­schen Dorf­fest aus , von den Ship­ibos des Amazonas, von der Omizu­tori-Zere­moni in Nara, an der ich drei Tage und Nächte lang teil­nahm, aus dem fantas­tisch-virtuosen , vom Kohyasan-Tempel, von den Bewoh­nern des Hoch­ge­birges in , (…) und wieder aus Vietnam, und noch mehr Zauber­haftes aus Vietnam (welch wunder­bares Volk!) … Von den buddhis­ti­schen Pries­tern des Jakus­hiji-Tempels, aus dem Nô-Drama Hô sho riu und was weiß ich wo sonst noch her.“ Stock­hausens Wunsch war, alle sollten sich „‚zu Hause‘ fühlen, nicht ‚inte­griert‘ durch einen admi­nis­tra­tiven Akt, sondern wirk­lich verbunden in freier Begeg­nung ihres Geistes“. Die Musik der Welt ist Welt­musik – ein Spiel ohne Grenzen!

Fotos: Hernán Piñera