KlassikWoche 04/2020

Es ist Balla-Balla-Saison

von Axel Brüggemann

20. Januar 2020

Will­kommen zur neuen Klassik-Woche,

heute tanzen wir mal ein wenig über die Eitel­keiten der Ball­ge­sell­schaft und fragen uns: Kann Gergiev nicht einmal pünkt­lich sein? Die Unpünkt­lich­keit dieses News­let­ters wiederum bitte ich zu entschul­digen: Grippe!

WAS IST

Stil­voll: Der … anders als jener in

NICHT IN INSTRU­MEN­TEN­KISTEN KRAB­BELN

Beginnen wir mit einem Augen­zwin­kern. Nachdem bekannt geworden ist, dass Nissan-Chef Carlos Ghosn in einem Instru­men­ten­koffer versteckt verlassen hat, twit­terte die Firma Yamaha Instru­ments den Hinweis, dass diese Methode nicht nach­ge­ahmt werden sollte: „Wir spre­chen nicht über die Gründe, haben aber viele Tweets bekommen, in denen es darum ging, in große Instru­men­ten­koffer zu steigen – eine Warnung, bevor jeder Ratschlag zu spät kommt: Bitte, versu­chen Sie es nicht!“ So der Tweet von Yamaha. 

DRESDEN: DER LÄCHER­LICHE BALL

Wahr­schein­lich nennt man das perfek­tio­nierte Desin­for­ma­tion. Zunächst hieß es: Anna Netrebkos Ehemann, habe gedroht, seinen Auftritt beim Semper­opern­ball zurück­zu­ziehen. Der Tenor aus Aser­bai­dschan wollte nicht gemeinsam mit der Sopra­nistin Ruzan Mant­as­hian aus Arme­nien auftreten. Die beiden Länder befinden sich durch den Berg­ka­ra­bach-Konflikt im poli­ti­schen Zwist. Dann soll Semper­opern­ball-Chef Hans-Joachim Frey sofort gehan­delt haben und die Sopra­nistin raus­ge­schmissen haben. Dann das Dementi: Eyvazov habe keinen Druck ausgeübt, hieß es merk­würdig verquast von den Ball-Orga­ni­sa­toren, der Vertrag mit Mant­as­hian sei noch nicht einmal unter­schrieben gewesen. Ein Beigeschmack bleibt, auch weil Hans-Joachim Frey auf der Gehalts­liste von Wladimir Putin steht. Als Klassik-Botschafter Russ­lands und Inten­dant in Sotschi. Russ­land steht im Berg­ka­ra­bach-Konflikt auf der Seite Aser­bai­dschans. Passend dazu flat­terte gerade eine Einla­dung auf meinen Schreib­tisch: Ob ich nicht als Opern-Wett­be­werbs-Juror nach Sotschi kommen wolle. Ich habe viel über derar­tige launige Männer­aus­flüge gehört. Meine Antwort: Nein, danke, schon aus mora­lisch-poli­ti­schen Gründen nicht. Darüber sollte der bei der Über­tra­gung des Opern­balls auch mal nach­denken.

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Lust­voll – emotional Intuitiv – geist­voll Salz­burg – Moderne

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DER ECHTE BALL

Am 20. Februar startet in der echte Opern­ball. Es wird gemun­kelt, ob beim letzten Ball unter Inten­dant Domi­nique Meyer auch der „Chor der Gefeu­erten“ auftreten wird – 33 Sänge­rinnen und Sänger sollen von Nach­folger Bogdan Roščić nicht über­nommen werden. Über­haupt liegt Span­nung in der Luft: Die Ausrich­tung der Hauses mit zum großen Teil kopro­du­zierten Premieren, die dann In größerem Rhythmus hinter­ein­ander gespielt werden sollen, sorgt haus­in­tern für Diskus­sion. Und was Bogdan Roščić geritten hat, das Opern­or­chester zu düpieren, und mit dem Concentus zu flirten, ist auch niemandem wirk­lich klar. Geht es am Ende eher um einen Struktur- und Effi­zienz-Wandel denn um einen nötigen Quali­täts­wandel? Auf den Phil­har­mo­ni­ker­ball, den Ball der Künst­le­rinnen und Künstler und nicht der Eitel­keiten, können wir uns jeden­falls freuen – und wir können einander wieder­sehen: Zum ersten Mal wird er am 23. Januar von 21:30 Uhr an mit großem Vorpro­gramm und Nach­be­spre­chung unter anderem auf der Face­book-Seite der und des Phil­har­mo­ni­ker­balls gestreamt. (In einer früheren Version des Arti­kels war von sieben Auffüh­rungen in Folge die Rede, die Bogdan Roščić angeb­lich nach einer Première plant. Der desi­gnierte Inten­dant hat uns infor­miert, dass dem nicht so sei, und wir haben den ursprüng­li­chen Text ange­passt.) 

WAS WAR

schreibt einen Brief an Beet­hoven.

KOPATCHINSKAJA SCHREIBT BEET­HOVEN

In einem drama­ti­schen Brief an Ludwig van Beet­hoven stellt die Geigerin Patricia Kopatchinskaja in Frage, ob Prome­theus uns wirk­lich Erleuch­tung gebracht habe – dabei spielt sie auf unsere Klima­sünden an: „Wir waren fleißig und fruchtbar und haben uns zur Unzahl vermehrt. Wir haben die uns gelehrte Vernunft benutzt, um das uns geschenkte Feuer einzu­setzen für Wärme, Kraft, Komfort und Über­fluss der Neuzeit. Nichts ist genug. Die Natur wird erwürgt. Auch unsere Vernunft ist nicht genug, der Einsicht zu folgen, dass Feuer immer weiter Feuer gebiert, von Kali­for­nien, , Sibi­rien, der Arktis. Bis Feuer die Hoff­nung und die Tage der Mensch­heit beschließt.

GERGIEVS VERSPÄ­TUNGEN

Einmal war es so, dass die Polizei-Eskorte in die bringen musste, weil sein Flug­zeug zu spät landete. Nun reichte nicht einmal mehr das. Der russi­sche Jet-Setter war zu spät, und wurde für sein Einspringen beim Lohen­grin gefeiert. Nun tobt die Debatte um Respekt­lo­sig­keit: Kann sich ein Künstler leisten, über 2.000 Zuschauer und ein gesamtes Opern-Team warten zu lassen, weil er seinen Zeit­plan so eng strickt? Wie groß ist das Risiko noch, Gergiev zu verpflichten?

JÄRVIS KULTUR­KRITIK

findet, in einem Inter­view im Öster­rei­chi­schen Stan­dard, dass gerade in Europa die eigene Klassik-Kultur auf den Hund gekommen ist. Er sagt: „Es hat mit Respekt zu tun. Hier in Europa nimmt man sich aufgrund der Geschichte zu wichtig. Man meint, deswegen ein ewiges Anrecht darauf zu haben, wie man ein Werk zu inter­pre­tieren hat, quasi die Deutungs­ho­heit. Konzerte glei­chen hier steifen Zere­mo­nien. In Asien gibt es das nicht. Dort liebt man Klassik in gera­dezu fana­ti­scher Weise, die Konzert­be­su­cher sind enthu­si­as­tisch, sie sind aufge­regt!“

FEST FÜR DOMINGO

Der Auftritt von als Vater Germont in Verdis La Traviata an der Staats­oper in Berlin war von Protesten begleitet. Der Verein Pro-Quote forderte, dass Domingo auch in mit einem Auftritts­verbot belegt wird. „Staats­opern-Inten­dant Matthias Schulz äußerte sich in einem Statement“, berichtet die Berliner-Zeitung. „Sein Haus nehme jeden Vorwurf sexu­eller Beläs­ti­gung sehr ernst. Die Sicher­heit der Mitar­beiter und Künstler habe zu jedem Zeit­punkt oberste Prio­rität. ‚In diesem konkreten Fall halten wir an den Auftritten von Plácido Domingo, der sich bei uns am Haus immer vorbild­lich verhalten hat, fest und sehen keine ausrei­chende Grund­lage für eine Vorver­ur­tei­lung und dafür, den seit langem gültigen Vertrag zu brechen.‘“ Am Auffüh­rungs­abend selber waren zwei Hände voller Demons­tranten zu beob­achten, und Domingo wurde vom Publikum schon beju­belt, als er die Bühne betrat.

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PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Still und leise tritt er ab: Das Manage­ment von Vladimir Ashke­nazy hat bekannt gegeben, dass der Pianist und Diri­gent beschlossen habe, nicht mehr öffent­lich aufzu­treten. Ein stiller Abgang eines noblen Maestro. +++ , Chef des -Orches­ters wird 2021 zudem Musik­di­rektor der . +++ Er glänzte in Opern von Verdi und Puccini. Jetzt ist der Tenor Giorgio Merighi nach längerer Krank­heit im Alter von 80 Jahren gestorben. +++ Der Diri­gent hat seinen Vertrag in Los Angeles bis 2026 verlän­gert +++ Jürgen Kesting feiert in der FAZ den 80. Geburtstag des genialen Wagner-Sängers Sieg­mund Nims­gern. +++ Gut sechs Wochen nach seinem Tod wird der Diri­gent posthum vom mit der -Medaille gewür­digt. „Unsere Verbun­den­heit mit dem warm­her­zigen Menschen und bedeu­tenden Diri­genten Mariss Jansons und unser großer Dank sollen damit noch­mals in beson­derer Weise zum Ausdruck gebracht werden“, teilte das Orchester am Montag in mit.

Und das noch: In der Süddeut­schen Zeitung hat Jona­than Meese ange­kün­digt, dass er gern die über­nehmen würde! „Dann würde ich nur die Radi­ka­lin­skis holen, nur die Profis. Also niemanden, der poli­tisch gleich­ge­schaltet ist. Niemand, der irgend­je­mand gefallen will“, sagte der Maler und Konzept­künstler. „Für mich ist das ja alles zu gefällig, zu anbie­de­risch.“ Wie wäre es gewesen, hätte er damals, als er konnte, erst einmal eine Insze­nie­rung auf die Bühne gebracht?

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif

Ihr 

brueggemann@​crescendo.​de