Felicitas Breest & Masha Dimitrieva

Ewige Suche

von Ruth Renée Reif

5. September 2021

Felicitas Breest und Masha Dimitrieva widmen sich dem Liedschaffen Gordon Sherwoods und bringen eine Ersteinspielung seiner Lieder heraus.

Die Musik­ge­schichte ist reich an unge­ho­benen Schätzen. Nicht nur die ferne Vergan­gen­heit, auch die Gegen­wart über­rascht mit beein­dru­ckenden Entde­ckungen. Der Kompo­nist Gordon Sher­wood ist eine solche. Durch Erdman Wingerts und Heiner Sylves­ters Fern­seh­film Der Bettler von Paris rückte er wieder ins Licht der Öffent­lich­keit, und die Pianistin Masha Dimit­rieva nahm 1996 Kontakt zu ihm auf. Aus der ersten Begeg­nung wurde eine Freund­schaft, die bis zum Tod Sher­woods 2013 anhielt. Nach der Veröf­fent­li­chung von Sher­woods Klavier­kom­po­si­tionen wandte sich Dimit­rieva 2019 mit der Sopra­nistin Feli­citas Breest dem Lied­schaffen Sher­woods zu.

Schmerz, Angst und Vergäng­lich­keit

Das im Juni 2021 erschie­nene zweite Lied-Album enthält Lieder, die Sher­wood als roman­tisch charak­te­ri­siert, Lieder über „Mutter Natur“ und Lieder aus seiner Kind­heit. Sher­wood, der zu den meisten selbst den Text schrieb, kompo­nierte sie für eine hohe Stimme. Und diese extreme Höhe, die den Gesang über den Klavier­part erhebt, rührt an etwas Exis­ten­zi­elles, ein Außer-Sich-Sein. Der Zyklus der roman­ti­schen Lieder erzählt vom Erwa­chen der Natur und den Blumen im Früh­ling. Und er schließt in großer Trau­rig­keit mit dem kurzen Aufkeimen und raschen Vergehen einer Liebe. Schmerz, Angst und ein Wissen um die Vergäng­lich­keit, das nichts Trös­tendes hat und weit über roman­ti­sche Wehmut hinaus­geht, schwingen im nuan­cen­rei­chen Gesang von Feli­citas Breest mit.

Was an Sher­wood faszi­niert, ist sein Leben. Auf dem besten Weg in eine große Musi­ker­kar­riere stieg er aus und reiste durch die Welt. Zeit­weilig versuchte er, sich als Bettel­mu­si­kant durch­zu­bringen. Ob es das Leben eines Kompo­nisten war, der unbe­irrbar und allen Widrig­keiten zum Trotz seinen Weg ging, eine Flucht oder eine ewige Suche, muss offen bleiben. 143 Werke aller Gattungen schrieb Sher­wood. Zum Lied­zy­klus über „Mutter Natur“ vermerkt das umfang­reiche, infor­ma­tive Bocklet, das auch alle Lied­texte im Original und in Über­set­zungen wieder­gibt, dass er 1973 in Nairobi entstand. Sher­wood teile in seinen auto­bio­gra­fi­schen Notizen jedoch wenig zu den Entste­hungs­um­ständen der Lieder mit.

Aufbre­chen alter Wunden

Überaus emotional sind Sher­woods Lieder über seine Kind­heit. Immer wieder scheinen alte Wunden aufzu­bre­chen, etwa wenn Sher­wood von seiner Kinder­liebe erzählt, die von der Lehrerin geohr­feigt wird, während er nur wegsieht. Da lässt der Gesang keinen Zweifel, dass die Vergan­gen­heit mit allem Schmerz und aller Wehr­lo­sig­keit zurück­kehrt. Auch das Spuk­haus, das zwar herun­ter­ge­kommen ist, in dem aber immer noch die Angst wohnt, drängt sich als Meta­pher der Kind­heit auf. Die letzten beiden Lieder des Albums gelten der Suche im Reli­giösen. Der Text spricht von einem Triumph. Aber die Musik spricht eine andere Sprache und verwei­gert die ersehnte Erlö­sung. Die Suche bleibt.