Philip Glass

Monu­men­tale Leucht­kraft

von Roland H. Dippel

8. November 2021

Atemberaubende Bildsprache! Anthony Roth Costanzo verkörpert die Titelpartie in Karen Kamenseks Inszenierung von Philip Glass’ Oper „Akhnaten” an der Metropolitan Opera. Auf DVD und CD erschienen.

Jeder Mensch hat seine Sonne – oder Jonglier­bälle. Archaik und neue Mate­ria­lien ergänzen sich in der zweiten Produk­tion eines Bühnen­werks von an der Metro­po­litan Opera groß­artig, Chor und Tanz sind Orna­mente eines Hoch­kultur-Panoramas aus Tönen und Bewe­gungen. Impo­sante Bühnen­welten gibt es an der MET öfter, eindrucks­volle musi­ka­li­sche Leis­tungen fast immer. Trotzdem wurde die Über­nahme aus der English National Opera London in den Lincoln Center am 23. November 2019 zu einem gefei­erten Höhe­punkt der letzten Spiel­zeiten.

Trailer zu Karen Kamenseks Insze­nie­rung von Philip Glass« Oper „Akhn­aten”

Nicht alle kommen mit der Musik des ameri­ka­ni­schen Pionier-Mini­ma­listen derart souverän zurecht wie Karen Kamensek, die jede harmo­ni­sche Verän­de­rung im langen, unru­higen Fluss dieser Oper, jeden rhyth­mi­schen Akzent und jeden vokalen Hauch zur essen­zi­ellen Bedeut­sam­keit erhebt. Das hervor­ra­gende MET-Orchester schat­tiert, färbt und liefert alle Nuancen, hymni­sche Stei­ge­rungen und massive Monu­men­ta­lität. Zum sugges­tiven Erlebnis wird die Partitur ohne Violinen, weil die Oper zum Zeit­punkt der Urauf­füh­rung 1984 saniert wurde und die Orches­ter­fläche des Kleinen Hauses für die ursprüng­lich vorge­se­hene Strei­cher­gruppe zu klein war. Das dadurch aufge­wer­tete Schlag­werk erhöht die innere Dramatik: Die Inthro­ni­sa­tion des einzigen Gottes Aton durch den Pharao Akhn­aten und die Zerstö­rung der Stadt Amarna spie­geln zeitlos die Suche nach Sinn und deren Konflikte mit poli­ti­schen Härten.

Anthony Roth Costanzo als Pharao Akhn­aten und J’Nai Bridges als seine Frau Nefer­titi in der Insze­nie­rung von Karen Kamensek
(Foto: Metro­po­litan Opera)

Phelim McDer­mott gibt den Solisten bis zum Mord an Akhn­aten langen Atem für lang­same Bewe­gungen. Kevin Pollard mischt vor Tom Pyes Gerüstbau bei den Kostümen Kolo­ni­al­zeit und Archaik – „Akhn­aten“ wird das jüngere Konkur­renz­stück zu Aida. Der Coun­ter­tenor Anthony Roth Costanzo ist dessen andro­gyner Leucht­punkt, bis Glass in den letzten Minuten eine Semi­nar­gruppe Fragen an die Geschichte stellen lässt. Leider schmä­lert dieses verfrem­dende Abrut­schen („Was haben wir gelernt?“) den faszi­nie­renden Gesamt­ein­druck etwas.


Pharao Akhn­aten, verkör­pert von Anthony Roth Costanzo, inthro­ni­siert Aton als einzigen Gott
(Foto: Metro­po­litan Opera)

Bis dahin besticht die Insze­nie­rung durch einen von der verhält­nis­mäßig ruhigen und damit parti­tu­raf­finen Kame­ra­füh­rung gestei­gerten Sog. Die Jongleur-Gruppe aus dem Studio von Sean Gandini kontra­punk­tiert im rhyth­mi­schen Kreisen der Bälle den hypno­ti­schen Musik­strom. Die sich mischenden Rhythmus-Dimen­sionen von Szene und Klängen wachsen zu packender Reibungs­wärme. So beginnt die Auffüh­rung spätes­tens mit der Krönung Akhn­atens zu schweben, auch weil Glass ein groß­ar­tiger Stim­men­ver­steher ist und sein Musik­theater deshalb in außer­ge­wöhn­liche Dimen­sionen abzu­heben vermag. Mode­ra­torin des Abends ist .