Glanz­voller Außen­seiter – Herbert Blom­stedt zum 90.

von CRESCENDO Redaktion

30. Juni 2017

Am 11. Juli feiert der weltbekannte Dirigent Herbert Blomstedt seinen 90. Geburtstag. Ein Gespräch mit dem Klassikmagazin crescendo.

Am 11. Juli 2017 feiert der welt­be­kannte Diri­gent seinen 90. Geburtstag. CRESCENDO sprach mit ihm über die Vorzüge einer strengen Erzie­hung, Außen­sei­tertum und die Krea­ti­vität eines Morgen­men­schen.

CRESCENDO: Herr Blom­stedt, Sie diri­gieren ungefä 80 Konzerte im Jahr. Kommen Sie über­haupt dazu, über Ihr Alter nach­zu­denken?
Herbert Blom­stedt: Ich mache mir über so manches Gedanken, vor allem früh­mor­gens. Da schwirren die Ideen nur so in meinem Kopf umher. Für mich ist das die krea­tivste Zeit. Ich bin seit jeher ein Morgen­mensch und brauche mitt­ler­weile immer weniger Schlaf.

Ihr Diri­gen­ten­debüt mit den Stock­holmer Phil­har­mo­ni­kern liegt inzwi­schen mehr als 60 Jahre zurück. Hätten Sie sich damals eine so lange Lauf­bahn vorstellen können?
Ich habe mich immer nur auf das Stück konzen­triert, das ich gerade einstu­dierte. In solchen Momenten hat man das Gefühl, einen Berg zu besteigen. Was dahinter liegen könnte, kommt einem gar nicht in den Sinn.

Als Sohn schwe­di­scher Einwan­derer wurden Sie im US-Bundes­staat Massa­chu­setts geboren. Ihre Kind­heit verbrachten Sie in und . Wie haben Sie diese häufigen Orts­wechsel erlebt?
Das war eine gute Erfah­rung, weil ich als Diri­gent später auch viel gereist bin. An die habe ich aller­dings keine Erin­ne­rungen mehr, denn ich bin schon mit zwei Jahren nach Europa gekommen. Mein Vater war dann als Pastor der Frei­kirche der Sieben-Tags-Adven­tisten in Gemeinden in Schweden und Finn­land tätig.

In dem kürz­lich erschienen Buch „Mission Musik“ sagen Sie im Gespräch mit der Musik­kri­ti­kerin Julia Spinola, dass Sie sich in Ihrer Jugend in zwei­fa­cher Hinsicht als Außen­seiter fühlten – als Schwede in Finn­land und als Mitglied einer Kirche mit strengen Prin­zi­pien.
In Finn­land waren wir nicht sonder­lich beliebt. Das Land war erst 15 Jahre vorher von Schweden unab­hängig geworden. In den Städten spra­chen alle Menschen Schwe­disch, doch sie mochten die Sprache nicht. Dabei hatte sogar der Natio­nal­kom­po­nist kaum Finnisch verstanden. Vor den finni­schen Kindern hatte ich Angst. Sie hatten Messer bei sich, und sobald sie meinen Akzent hörten, pöbelten sie mich an.

Wie stark haben die Glau­bens­re­geln der Adven­tisten ihr Leben bestimmt? Sie trinken keinen Alkohol, verzichten auf Fleisch und dürfen, ebenso wie Juden, an Sams­tagen nicht arbeiten.
Ich bin in einer glück­li­chen Familie aufge­wachsen. Unser Glaube hat mich sehr geprägt. Mein Vater war sehr streng, er wollte seine Kinder zu mora­li­schen Vorbil­dern erziehen. Vor dem Früh­stück wurde jeden Tag aus der Bibel vorge­lesen und gebetet. Für uns war das der normale Alltag. Meine Mitschüler fanden es jedoch merk­würdig, dass ich sams­tags nie zum Unter­richt kam. Und ich inter­es­sierte mich auch nicht für Schlager, sondern für Haydn, Mozart und Beet­hoven.

Ihre Eltern liebten beide Musik. Ihre Mutter war sogar Pianistin. Aller­dings wollte Ihr Vater nie Konzerte besu­chen. Warum?
Er war enorm pflicht­be­wusst und in allen wachen Stunden für seine Gemeinde da. Konzerte waren für ihn keine Sünde, doch er wollte dafür keine Zeit opfern. Ab und zu gelang es mir trotzdem, ihn in ein Konzert zu locken. Einmal saßen wir ausge­rechnet neben einer Dame mit tiefem Dekol­leté. Mein Vater seufzte tief auf und holte eine theo­lo­gi­sche Fach­zeit­schrift hervor. Offen­sicht­lich war das nicht der rich­tige Ort für seinen Sohn.

Wie haben Sie Ihren Weg zum Diri­gen­ten­pult gefunden?
Erst sieben Jahre nach meinem Diplom konnte ich zum ersten Mal ein Orchester diri­gieren. Mein Lehrer Tor Mann, ein enger Freund von Sibe­lius und , hielt mich für talen­tiert und verschaffte mir ein Probe­dirigat. Seine Musiker weigerten sich aber, unter einem Schüler von ihm zu spielen. Solchen Wider­stand zu spüren, war für mich auch eine wert­volle Erfah­rung.

Von 1975 bis 1985 waren Sie in der dama­ligen DDR Chef der Dresdner Staats­ka­pelle, die sich inzwi­schen nennt. Wie war es, als west­li­cher Ausländer mitten im Kalten Krieg dieses Amt auszu­üben?
Eigent­lich war ich schon ab 1970 der „geheime“ Chef­di­ri­gent des Orches­ters. Meinen Vertrag unter­schrieb ich aller­dings erst fünf Jahre später, weil ich Bedenk­zeit brauchte. Es war mir nicht geheuer, eine so große Aufgabe in einem tota­li­tären Staat zu über­nehmen. In jenen Jahren war ich außerdem fest in und später in enga­giert. Ich hätte ansonsten im Ausland kein Geld zum Leben gehabt. Denn in Dresden wurde ich in der Währung der DDR bezahlt, die ich nicht ausführen durfte.

Was zeichnet dieses Orchester aus, dem sie heute als Ehren­di­ri­gent verbunden sind?
Die Staats­ka­pelle ist immer sehr stolz auf ihre lange Tradi­tion gewesen. Die Musiker taten unter meiner Leitung alles, um das Beste zu errei­chen. Ihre enorme Selbst­dis­zi­plin hat mir impo­niert. Bei einer Probe bemerkte ich, dass das Orchester auf einmal leiser spielte, ohne dass ich ein entspre­chendes Zeichen gegeben hätte. Der Konzert­meister Rudolf Ulbrich hatte eine kleine Bewe­gung mit der Schulter gemacht, und alle reagierten sofort darauf. Das war sicher­lich kein Ausdruck von Gehorsam in einem tota­li­tären Staat. Denn auf die Musik nahm die Politik kaum Einfluss.

Nach zahl­rei­chen Verpflich­tungen in den USA – unter anderem waren Sie zehn Jahre Musik­di­rektor der San Fran­cisco Symphony – wirkten Sie von 1998 bis 2005 als Gewand­haus­ka­pell­meister in . Was haben Ihnen diese Jahre bedeutet?
Das Orchester, dessen Ehren­di­ri­gent ich heute bin, kenne ich schon seit 1970. Es hat eine fantas­ti­sche Tradi­tion. Allein schon die Spuren, die Bach in Leipzig hinter­lassen hat, waren für mich Grund genug, den Posten zu über­nehmen. Mein Vorgänger Kurt Masur war eine Kraft­natur, er hatte eine enorme Willens­kraft. Ihm ist der Bau des neuen Gewand­hauses und seines idealen Konzert­saals zu verdanken.

Wie werden Sie ihren Geburtstag feiern?
Am 11. Juli werde ich noch mit der Säch­si­schen Staats­ka­pelle auf Tournee sein. Die eigent­liche Geburts­tags­feier findet am 6. August in einem Barock­schloss in der Nähe von Stock­holm statt. Wir haben 200 Gäste einge­laden, gute Freunde aus aller Welt. In der Woche darauf gebe ich bei den Salz­burger Fest­spielen zwei Konzerte mit den Wiener Phil­har­mo­ni­kern, die ich im Mai auch im Berliner Konzert­haus bei einer Hommage an den Pianisten diri­giert habe. Im Oktober folgt eine lange Tournee mit dem , die von London über Paris, und weitere Städte bis nach und Taiwan führt. Das Inter­es­sante ist, dass alle Werke unserer drei Programme, darunter die „Große“ C‑Dur-Sinfonie von Schu­bert und die Siebte von Bruckner, vom Gewand­haus­or­chester urauf­ge­führt wurden.

Von Corina Kolbe

Fotos: Martin U. K. Lengemann