Gabriela Neeb

Christian Stückl

»Ich insze­niere wahn­sinnig gerne«

von Klaus Härtel

6. Dezember 2018

So einfach ist das gar nicht, den Intendanten des Münchner Volkstheaters an die Strippe zu bekommen. Bis zu den nächsten Passionsspielen ist es auch nicht mehr weit, die Proben sind in vollem Gang …

CRESCENDO: Herr Stückl, wobei störe ich Sie gerade?

Ich war gerade mitten in einem Gespräch mit meiner Drama­turgie. Ich bin zurzeit gut beschäf­tigt, denn ich stecke mitten in den Vorbe­rei­tungen zu Glaube Liebe Hoff­nung von Ödön von Horváth.

Wird Ihre Insze­nie­rung am Volks­theater sozu­sagen in die Gegen­wart „über­setzt“? Im Original ist das Stück ja in der Weimarer Repu­blik verortet.

Horváths Stücke haben immer Anklänge an die dama­lige Zeit. Bei Glaube Liebe Hoff­nung ist das aller­dings nicht so arg. Hier geht es wirk­lich um die Geschichte eines ­Mädels, das unter die Räder kommt. Man muss es ­also nicht in die heutige Zeit verlegen – man befindet sich ohnehin in einer ganz eigenen Welt.

Am 30. November 2020 ist Première. Liegen Sie gut in der Zeit?

Ja, schon. Aller­dings muss ich mich im Moment als Inten­dant ein biss­chen teilen. Wir haben vor Kurzem in Ober­am­mergau die Darsteller für die nächsten Passi­ons­spiele ausge­wählt. Jetzt hock ich in den Proben, und außerdem bauen wir noch ein neues Volks­theater. Ich bin schon in der Zeit, aber es ist alles ziem­lich eng …

Das Volks­theater hat für diese Spiel­zeit das Thema „Super­helden“ ausge­geben. Hätten Sie in der Hinsicht gerne Super­kräfte?

Ich insze­niere wahn­sinnig gerne. Bei den Proben fällt immer alles ab und ich bin zu 100 Prozent dabei. Viel schwie­riger ist es hinterher. Wenn man aus der Probe kommt, weiß man schon: Im Büro wollen sie dich alle haben, und dann steht wieder dieses und jenes auf dem Termin­plan. Manchmal hätte ich statt Super­kräften lieber eine Tarn­kappe. Ich würde mich zwischen­durch gerne verste­cken und einfach weg sein. Kraft habe ich schon viel …

Das Horváth-Stück hat mit Super­helden nichts zu tun, oder?

Eigent­lich nicht, nein. In Glaube Liebe Hoff­nung findet man keine Super­helden. Da findet man ziem­lich unan­ge­nehme Menschen.

Hätte die Prot­ago­nistin Elisa­beth einen ­Super­helden brau­chen können?

Ja, schon, aber ich weiß nicht, ob man überall in unserem Leben auf Super­helden warten sollte. Manchmal geht das auch ein biss­chen in die Hose. Es gibt ja Ameri­kaner, die sehen in diesem blond­ge­sch­opften Menschen einen Super­helden. Mit „Super­held“ muss man sehr, sehr aufpassen, was da heraus­kommt.

Die nächsten Passi­ons­spiele in Ober­am­mergau sind 2020. Vermut­lich ist das nur vorder­gründig viel Zeit, oder?

Bei den Passi­ons­spielen wirken fast 2.500 Personen mit. 1.850 Erwach­sene und 450 Kinder. Wir müssen für alle Kostüme machen, haben am Ende bis zu 2.800 Kostüme. Es entsteht ein ganz neues Bühnen­bild, ich muss am Text arbeiten. Ich bin froh, dass es den Premie­ren­termin gibt. Wenn ich jetzt darüber nach­denke, würde ich sagen: Schafft man nie! Aber wir müssen es schaffen, denn am 16. Mai 2020 ist Première – und darauf ist alles fokus­siert.

Bei den Passi­ons­spielen wird ein Muslim eine wich­tige Rolle über­nehmen: Cengiz Görür spielt den Judas. Wird Ihnen diese Tatsache manchmal ein wenig zu hoch gehängt?

Das wird mir absolut zu hoch gehängt. Wir haben in Ober­am­mergau relativ harte Regeln. Wenn man mitspielen will, muss man dort geboren sein oder mindes­tens seit 20 Jahren dort leben. Sehr inte­grativ ist das nicht. Cengiz ist 18, in Ober­am­mergau geboren, und seine Familie lebt in dritter Gene­ra­tion dort. Ich kenne den Buben schon, seit er mit zehn Jahren an den Passi­ons­spielen teil­ge­nommen hat. Ich habe nie darüber nach­ge­dacht, dass er Moslem ist. Darüber nach­zu­denken, ist eine eigen­ar­tige Erschei­nung unserer Zeit. Immer, wenn da jemand nicht den katho­li­schen oder evan­ge­li­schen Glauben hat, ist er entweder aus der Kirche ausge­treten – das inter­es­siert aber keinen –, oder er ist Moslem. Und dann inter­es­siert es komi­scher­weise jeden. Heut­zu­tage wird mit dem Islam immer dieser Abgren­zungs­punkt gesucht. Den brau­chen wir aber nicht!

Fotos: Gabriela Neeb