Igor Levit: „Encounter“ (2 CDs, Sony)

Igor Levit

Der Musik hinge­geben

von Sina Kleinedler

10. September 2020

Igor Levit begibt sich mit geistlichen Werken von Bach, Brahms, Reger und Morton Feldman auf eine kontemplative Reise.

Eine Begeg­nung verspricht der Titel von Igor Levits neuem Doppel­album. Eine Begeg­nung mit der Musik? Mit dem Inter­preten? Sich selbst? Oder sogar mit Gott? Immerhin widmet Levit sich einem geist­li­chen Reper­toire: Choral­vor­spiele von Bach und Brahms in den virtuosen Tran­skrip­tionen Busonis, Brahms Vier ernste Gesänge in der Bear­bei­tung von , sowie Regers Nacht­lied in einem Arran­ge­ment des erst 2005 gebo­renen Julian Becker.

Das Programm endet mit Morton Feld­mans letztem Klavier­stück Palais de Mari. Wie ein „gestrecktes Dimi­nu­endo“ wird die Drama­turgie im Booklet der CD beschrieben. Dieses Leis­er­werden ist eine kontem­pla­tive Reise. Das Zur-Ruhe-Kommen bereitet uns heut­zu­tage oft die größte Mühe.

Igor Levit
Hat alles, was ein Künstler braucht, um sich der Musik hinzu­geben:
(Foto: © Felix Broede)

Levits klares Spiel trägt den Hörer davon, versetzt ihn in einen beinahe medi­ta­tiven Zustand und nimmt ihn schließ­lich mit in die Stille. Igor Levit hat alles, was ein Künstler braucht, um sich der Musik hinzu­geben, das Ego in den Hinter­grund zu rücken und die Stücke einfach für sich spre­chen zu lassen. Dies gelingt ihm mit einer Selbst­ver­ständ­lich­keit und Bril­lanz, die ehrfurchts­voll werden lässt. Es glückt ihm, den Raum zwischen den Noten auszu­füllen, „zwischen den Zeilen“ zu spielen. Dabei ist sein Spiel in Schlicht­heit genauso beein­dru­ckend, wie in poly­phoner Komple­xität. Obwohl zwischen den Werken teil­weise Jahr­hun­derte liegen, greifen sie natür­lich inein­ander.

Und am Ende der Reise ist klar: Was die Menschen bewegt, bleibt immer ähnlich. Musik ist der univer­selle Ausdruck für diese Gefühle. Auch ohne die Worte der Choräle ist bei Levit klar, was gemeint ist. Er schafft es, das Klavier zum Singen und Spre­chen zu bringen – und deshalb ist diese Begeg­nung für jeden Hörer eine persön­liche.