Igor Levit

Genialer Musiker und kriti­scher Euro­päer

von Dorothea Walchshäusl

25. Oktober 2018

Der Pianist Igor Levit äußert sich via Twitter immer wieder politisch. Nichts weiter als erste Bürgerpflicht, meint er.

Der in Berlin lebende und in Russ­land gebo­rene Pianist Igor Levit äußert sich via Twitter immer wieder poli­tisch. Nichts weiter als erste Bürger­pflicht, meint er, und will nicht wieder ein Gespräch führen, in dem er darauf redu­ziert wird. Genauso gern spricht er nämlich über die Musik.

crescendo: Herr Levit, Sie enga­gieren sich unter anderem auf Twitter aktiv gegen rechts. Woher kommt dieses Bedürfnis nach poli­ti­scher Arti­ku­la­tion?

: Das kommt so völlig unspek­ta­kulär daher, dass ich glaube, Sie und jeder andere Bürger haben genau die gleiche Verant­wor­tung wie ich. Wir sind Staats­bürger, und ich habe in der Schule gelernt, dass das oberste Pflicht ist – nicht nur sein Kreuz zu machen und dann zu sagen, jetzt macht mal. Ich sehe, was um mich herum passiert und ich agiere dementspre­chend. Mehr als das ist es auch nicht.

Aber es wird dadurch beson­ders, dass andere öffent­liche Personen die Bühne nicht vergleichbar nutzen.

Die Bühne ist dafür kein exklu­siver Ort. Aber an alle öffent­li­chen Personen gerichtet, die bis jetzt eine gewisse Form von Apathie an den Tag gelegt haben: Das haben sie sich die längste Zeit leisten können. Nicht posi­tio­niert zu sein und nicht klar zu agieren, kann man nur so lange, wie die Gesell­schaft es einem erlaubt. Diese Zeit ist vorbei! Wer das jetzt noch nicht begriffen hat, der wird sehr bald eines Besseren belehrt werden.

„Nicht posi­tio­niert zu sein und nicht klar zu agieren, kann man nur so lange, wie die Gesell­schaft es einem erlaubt“

In welchem Verhältnis sehen Sie Musik und Politik?

Das ist eine schwie­rige Frage. Musik kann sicher­lich poli­tisch sein. Aber letzt­end­lich ist es nicht die Musik für sich, sondern immer das, was wir Menschen daraus machen. Nehmen Sie nur die Neunte Sinfonie von Beet­hoven – es gibt wohl kaum ein Stück, das zu so vielen verschie­denen Dingen miss­braucht worden ist.

Sie treten für einen „linken Huma­nismus“ ein. Was genau verstehen Sie darunter?

Dass ich es im Privaten ebenso wie in der Öffent­lich­keit niemals akzep­tieren werde, dass Menschen die Idee vertreten, es gäbe Menschen zweiter Klasse. Das fängt bei kleinen Witzen am Abend­brot­tisch an bis hin zur öffent­li­chen Abwer­tung.

Nach Ihrer Natio­na­lität gefragt, war Ihre Antwort einmal „Euro­päer“. Wäre das heute immer noch dieselbe?

Fügen Sie das Wort „kriti­scher“ hinzu. Aber: ja.

„Wir müssen so lange kämpfen, bis wir wieder einfach nur lustig sein und entspannt über Musik und Kunst reden können“

Welche Rolle spielt in Ihrem Leben der Humor?

Eine riesen­große. Aber ich habe gerade keinen. Mir hat ein Kaba­ret­tis­ten­freund mal geschrieben: Wir müssen so lange kämpfen, bis wir wieder einfach nur lustig sein und entspannt über Musik und Kunst reden können.

Lassen Sie uns das jetzt versu­chen, wenn auch zu einem sehr ernsten Thema. Sie haben Ihr neues Album Ihrem verstor­benen Freund Hannes Malte Mahler gewidmet und es „Life“ genannt. Was ist in den vergan­genen zwei Jahren passiert?

Es ging um nichts anderes als um einen totalen Neuaufbau für mich. Sie müssen sich klar­ma­chen: Hannes war nicht nur mein bester Freund. Er war außer­halb meiner Familie der wich­tigste Mensch in meinem Leben. Er war wie ein Bruder für mich und die engste Bezugs­person, die ich jemals hatte. Durch seinen Tod war all das auf einmal nicht mehr da und ich stand vor der Frage: In welche Rich­tung geht es jetzt? Wer bist du jetzt über­haupt?

„Nichts, gar nichts von meiner Trau­rig­keit und meinem Unver­ständnis über diesen Verlust ist weniger geworden“

Tatsäch­lich liest sich das Programm auf dem Doppel­album entspre­chend exis­ten­ziell. Die Stücke reichen von Bachs Chaconne bis zu Bill Evans Peace Piece. Was ist die Idee dahinter?

Ich habe für dieses Album „Lebens­fei­er­werke“ ausge­wählt, die zutiefst mensch­liche Zustände beschreiben und mit denen ich sehr viel verbinde. Die Grund­idee des Albums ist die Frage: Wie geht der Mensch damit um, wenn plötz­lich exis­ten­zi­elle Fragen gestellt werden, es um Verlust geht, um den Tod oder die Liebe? Jedes Stück auf dem Album feiert das Leben auf seine ganz eigene Art. Das Herz­stück des Programms ist Mensch von . Es ist das einzige Stück, das wirk­lich unmit­telbar mit Hannes verbunden ist. Ein sehr zentrales Werk ist aber auch die Fantasia after J. S. Bach von Busoni. Darin gedenkt Busoni zwar seines kurz vorher verstor­benen Vaters, gleich­zeitig blickt er aber auch lebendig in die Zukunft. Die dunkelste Kompo­si­tion dieses Albums sind sicher die Geis­ter­va­ria­tionen von . Hier ist Schu­mann nur noch in sich selbst gefangen und kommt aus dieser Verfas­sung nicht mehr he­raus. Auch das ist ein Zustand, den ich beim Verar­beiten des Todes von Hannes erlebt habe.

Welche Rolle hat dabei die Musik gespielt?

Über­haupt keine. Die Vorstel­lung, Musik könne helfen, war für mich grotesk. Mir hat nichts geholfen, außer Menschen. Und ich kann Ihnen versi­chern: Nichts, gar nichts von meiner Trau­rig­keit und meinem Unver­ständnis über diesen Verlust ist weniger geworden. Ich kann damit umgehen, ich kann damit leben lernen. Aber trotzdem bin ich genauso sauer wie vorher. Dennoch ist die Musik auf dem Album keine Therapie, sondern eher das Doku­ment eines inneren Zustandes. Ich bin sowieso dagegen, Musik irgend­welche Rich­tungen vorzu­geben. Das halte ich für zutiefst unmu­si­ka­lisch.

Fotos: Heji Shin/Sony Music Entertainmant