Mailand

Im Design-Elysium

von Corina Kolbe

6. März 2018

Ob die Besessenheit von der Opern-Diva Lina Cavalieri oder den Stil-Ikonen der 70er-Jahre: Mailands Design-Elite schöpft Fabelhaftes aus ihren Inspirationsquellen.

Ob die Beses­sen­heit von der Opern-Diva Lina Cava­lieri oder den Stil-Ikonen der 70er-Jahre: Mailands Design-Élite schöpft Fabel­haftes aus ihren Inspi­ra­ti­ons­quellen.

Wie kommt das Tira­misu bloß in die Kugel hinein? Im futu­ris­tisch gestylten Rooftop-Restau­rant des Excel­sior Hotel Gallia in wird das typisch italie­ni­sche Dessert in einer Art Weih­nachts­kugel aus Zucker serviert. Der neugie­rige Gast wagt es kaum, das deko­ra­tive Objekt aus der Küche von Vincenzo und Antonio Lebano mit dem Löffel aufzu­bre­chen – doch das Probieren lohnt sich!

In Mailand ist einfalls­rei­ches Design nicht nur im Museum, sondern in der ganzen Stadt anzu­treffen. Das von der Familie Gallia gegrün­dete Luxus­hotel, das 1932 fast zeit­gleich mit dem nebenan gele­genen Mailänder Haupt­bahnhof eröff­nete, hat Künstler zu Grenz­gängen quer durch die Epochen verführt. Vor einigen Jahren hat der Archi­tekt Marco Piva das Haus mit seiner von Jugend­stil und Art déco geprägten Fassade grund­le­gend moder­ni­siert. Der histo­ri­sche Palazzo wurde durch einen neuen Flügel erwei­tert. Marmor­flä­chen und Glas­ele­mente im mini­ma­lis­ti­schen Design des 21. Jahr­hun­derts kon­trastieren jetzt mit der verspielten Ästhetik früherer Zeiten. Im eleganten Trep­pen­haus mit floralen Elementen aus Guss­eisen zieht eine 25 Meter lange, kegel­för­mige Licht­skulptur alle Blicke auf sich. 180 Leucht­zy­linder aus weißem Murano-Glas der Firma De Majo, die an unter­schied­lich langen Kabeln hängen, scheinen sich wie ein Wasser­fall durch acht Stock­werke zu ergießen.

Piero Forna­setti hatte eine Obses­sion für italie­ni­sche Oper

Durch die Korri­dore zieht ein dezenter Blüten­duft, der eigens für das Hotel mit insge­samt 235 Zimmern und einem groß­zü­gigen Spa-Bereich kompo­niert wurde. Wer beson­ders viel Platz braucht, kann im obersten Stock die 1.000 Quadrat­meter große Katara Royal Suite inklu­sive zwei Terrassen, Sola­rium und Jacuzzi mieten. Mehrere klei­nere Suiten sind promi­nenten Mailänder Archi­tekten und Desi­gnern gewidmet. Gut möglich, dass die von Flos herge­stellte Pendel­leuchte „Tara­xacum“ der Brüder Achille und Pier Giacomo Castig­lioni, die wie ein über­di­men­sio­naler Ball aus Seifen­blasen über einem Tisch schwebt, am Ende sogar die Küchen­chefs zu ihrer Tira­misu-Krea­tion inspi­riert hat.

In einem anderen Zimmer erkennt man die Design­klas­siker-Lampen von Vico Magistretti aus den 1970er-Jahren, die bis heute von Oluce produ­ziert werden. Hotel­gäste, die von langen Stadt­be­sich­ti­gungen zurück­kommen, freuen sich auch über den Stuhl „Dormitio“, den Gio Ponti extra für müde Wanderer in einem Bene­dik­ti­ner­kloster entwarf. In den 1930er-Jahren begann der legen­däre Archi­tekt, den jungen Maler, Buch­dru­cker und Desi­gner Piero Forna­setti zu fördern. Dessen surreal anmu­tende Wohn­ob­jekte kann man heute in einem Geschäft am Corso Venezia, nicht weit von den exklu­siven Armani‑, Versace- und Prada-Bouti­quen im „Quadri­la­tero della moda“, besich­tigen. In dem Haus wohnte einst Filippo Tommaso Mari­netti, der Gründer der Futu­risten-Bewe­gung.

Ein Rund­gang im Forna­setti-Laden, der sich über drei Etagen erstreckt, wird zu einer Entde­ckungs­reise durch eine Welt voller schräger Fanta­sien. In Räumen mit verschie­den­far­bigen Wänden ist ein Sammel­su­rium von Schränk­chen, Tischen, Para­vents, Vasen, Tassen, Aschen­be­chern oder Duft­kerzen ausge­stellt. Diese Objekte sind mit Schmet­ter­lingen, Händen, Harle­kinen, Spiel­karten, Sonnen oder anderen obsessiv wieder­keh­renden Motiven deko­riert, die Forna­settis schier uner­schöpf­liche Vorstel­lungs­kraft beflü­gelt haben.

Foto: Matteo Barro

Beson­ders beliebt ist die Serie „Tema e varia­zioni“ mit dem Konterfei der Opern­diva Lina Cava­lieri. Insge­samt mehr als 500 Mal hat Forna­setti das Bild der Sopra­nistin vari­iert, die er nie persön­lich kennen­ge­lernt hatte. Cava­lieri, die Anfang des 20. Jahr­hun­derts als „schönste Frau der Welt“ gefeiert wurde, ist allein auf mehr als 300 verschie­denen Wand­tel­lern darge­stellt. Gefes­selt, verschleiert, zerstü­ckelt, im Maul eines Kroko­dils oder mit frech heraus­ge­streckter Zunge wurde sie zu einer Gefan­genen der Fantasie des Desi­gners, der von ihrem Anblick regel­recht besessen war. Mailands berühmtes Opern­haus, das Teatro alla Scala, hat Forna­setti auf einem Lack­ta­blett darge­stellt. Plakate von Urauf­füh­rungen bekannter Opern wie Verdis Otello 1887 oder von Arturo Tosca­ninis Konzert zur Wieder­eröff­nung der Scala 1946 dienten ihm als Vorlage für eine Serie von Aschen­be­chern.

Als Bühnen- und Kostüm­bildner arbei­tete er 1954 bei einer Insze­nie­rung von Gian Carlo Menottis komi­scher Oper Amelia va al ballo mit dem Theater zusammen.

Nach Piero Forna­settis Tod 1988 setzt nun Sohn Barnaba die Arbeit seines Vaters fort. Am Teatro dell » in Mailand und am Teatro della Pergola in brachte er im Winter 201617 Mozarts Oper Don Giovanni in der Prager Urfas­sung auf die Bühne und entwarf dazu das Bühnen­bild. Mit dem noto­ri­schen Frauen­helden befasst er sich auch in seiner neuesten Design-Kollek­tion. Hände auf Tabletts und Tisch­chen symbo­li­sieren die Leicht­le­big­keit des Verfüh­rers. Und die Opern­diva, durch deren Gesicht auf einem Wand­teller ein Riss geht, verkör­pert die verschie­denen Iden­ti­täten seiner weib­li­chen Opfer.

www​.excel​sio​rho​tel​g​allia​.com/de | Forna­setti: www​.forna​setti​.com

Fotos: Fornasetti