Ingrid Fliter

Intime Nacht­mo­no­loge

von Attila Csampai

5. Januar 2019

Charismatischen Zauber verleiht die Pianistin Ingrid Fliter den intimen Nachtmonologen Frédéric Chopins.

Die Gattung Nocturne beschäf­tigte Chopin sein Leben lang. Zwischen 1827 und 1846 verfasste er 21 dieser Minia­turen und vollzog eine stilis­ti­sche Entwick­lung von der instru­men­talen Arie zum medi­ta­tiven Nacht­stück. Fast alle Gesamt­auf­nahmen folgen dieser durchaus logi­schen Chro­no­logie, als sei das Ganze eine große zusam­men­hän­gende Nach­ter­zäh­lung. Die aus Argen­ti­nien stam­mende, heute in der lebende Pianistin Ingrid Fliter, eine ausge­wie­sene Chopin-Expertin, hat alle Nocturnes in einer eigenen, von der Chro­no­logie abwei­chenden Reihen­folge in zwei Zehner­gruppen einge­spielt, was zunächst irri­tiert, aber bald nicht mehr stört, da sie mit über­zeu­gender Erzähl­kraft den melo­di­schen Bogen und das drama­ti­sche Poten­zial jedes einzelnen Stückes aufleuchten lässt. Durch Fliters eigen­ar­tige, durchaus rätsel­hafte Anord­nung gewinnen diese intimen Nacht­mo­no­loge neuen ener­ge­ti­schen Schub und charis­ma­ti­schen Zauber, der in dieser eher milden Gattung auch das unter­schwellig brodelnde Verzweif­lungs­po­ten­zial durch­bre­chen lässt: Man spürt, dass hinter aller Schön­heit und Melan­cholie der Abgrund lauert.