Ioan Holender-Kolumne

„Hab’ nie gefragt, ob es gestattet ist…“

von Ioan Holender

10. Januar 2020

Ioan Holender über moralische Integrität im Musikbetrieb

Was geschieht mit Lehárs Paga­nini-Schlager „Gern hab« ich die Frau’n geküsst, hab« nie gefragt, ob es gestattet ist; dachte mir: nimm sie dir…“? Darf dieses Lied auf seiner neuen Operet­ten­platte noch singen? Oder was wird aus dem Herzog von Mantua in Verdis Rigo­letto, der die minder­jäh­rige Gilda durch Täuschung verführt und dies singend zele­briert? Weitere Beispiele sind bei Bedarf vorhanden.

Abge­schlos­sene und unter­schrie­bene Thea­ter­ver­träge respek­tieren

Der Bariton gewor­dene alte Tenor wurde welt­weit „verboten“. Er sagt zu seiner Vertei­di­gung, dass in seiner gloriosen Zeit „andere Stan­dards gegolten haben“ und so manches als normal erachtet worden sei, was heute für Aufre­gung sorge. Er verstehe die heutige Welt nicht mehr. Die unauf­ge­regte Norma­lität sagt klar und unmiss­ver­ständ­lich, dass abge­schlos­sene und unter­schrie­bene Thea­ter­ver­träge sowohl vom Arbeit­geber, als auch vom Arbeit­nehmer zu respek­tieren seien.

Mora­li­sche Inte­grität – kein Krite­rium

Die mora­li­sche Inte­grität oder Unbe­schol­ten­heit des Arbeit nehmenden Künst­lers kann kein Krite­rium sein zum Einhalten oder Auflösen eines Vertrages, höchs­tens dazu, diesen nicht abzu­schließen, aus welchem Grund auch immer. Ist jedoch ein ausübender Künstler gleich­zeitig Arbeit­geber als Leiter eines künst­le­ri­schen Insti­tutes und nützt seine Stel­lung zur Erlan­gung eines persön­li­chen Vorteils aus, kann und sollte der Betref­fende von seiner führenden Macht­po­si­tion entfernt werden.

Berühmt­heit – eine Macht­po­si­tion

Auch Berühmt­heit kann eine Macht­po­si­tion bedeuten. Und wird eine solche Zele­brität im Betrieb zum Unru­he­stifter, kann man sie zum Schutz der anderen Beschäf­tigten entfernen. Das alles sollte für jeden klar und selbst­ver­ständ­lich sein und bedarf keiner Diskus­sion. Die Anschul­di­gungen entstanden doch nur, weil der einst dank seiner künst­le­ri­schen Leis­tung zu Recht beju­belte und geliebte Sänger heute gleich­zeitig Arbeit­geber und ‑nehmer ist. Dies war immer äußerst disku­tabel und sollte vermieden werden, heute viel­leicht mehr als gestern. Aber das ist auch wirk­lich alles, was man dazu sagen kann.

Fotos: Servus TV / Hoermandinger