Audi Akademiechor
Klare Ansage
von Barbara Schulz
29. April 2023
Fulminanter Auftakt in der New Yorker Carnegie Hall zu kommenden Konzerten in Hamburg und Dresden mit dem Audi Jugendakademiechor, weiteren internationalen Chören sowie dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg und dem Cellisten Jan Vogler unter Kent Nagano.
Es war ein buchstäblich transatlantisches musikalisches Abenteuer und Erlebnis am Samstagabend, dem 22. April 2023, in der Carnegie Hall in New York. Nicht weniger als fünf Chöre trafen auf das Philharmonische Staatsorchester Hamburg und den Cellisten Jan Vogler, um unter der Leitung von Kent Nagano Brahms, Beethoven und Shepherd zur Aufführung zu bringen: die Audi Jugendchorakademie, Solisten des Dresdner Kreuzchores, Mitglieder der Alsterspatzen Hamburg (Kinderchor der Hamburgischen Staatsoper) und des Young ClassiX Ensemble, ebenfalls aus Hamburg, sowie der Young New Yorkers‘ Chorus aus New York. Sprich: Auf der Bühne war es mehr als voll!
Vorangegangen waren drei Tage voller Proben, denn schließlich war stimmlich neben dem Schicksalslied von Johannes Brahms ein gewaltiges Werk zu stemmen: die Uraufführung von Sean Shepherds An einem klaren Tag – On a clear day nach einem Gedichtzyklus der deutschen Lyrikerin Ulla Hahn, ein Auftragswerk des Philharmonischen Staatsorchesters und der Dresdner Musikfestspiele, deren Intendant Jan Vogler ist. Ein komplexes Stück – und das darf durchaus als Synonym für „schwierig“ in der Umsetzung gelten, sowohl im Hinblick auf den Rhythmus als auch auf die stimmlichen Anforderungen insgesamt. Dabei handelt es sich um kein atonales Werk – freitonal trifft es besser, dazwischen durchaus melodiöse tonale Passagen, aber auch Klatschen der Sänger auf Hals, Stirn und Wange. Eine kluge, visionäre und hoffnungsvolle Komposition, fordernd und tröstlich gleichermaßen. Die Botschaft formuliert Sean Shepherd selbst auf den Punkt: „Es ist ein Plädoyer für Mitgefühl gegenüber unseren Mitmenschen; es ist ein Plädoyer für Bewusstsein und Handeln in Bezug auf unsere Umgebung. Und es ist eine Erinnerung daran, dass die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert werden, zwar weitreichend, komplex und anhaltend sind, dass unsere Stärke aber nicht nur darin liegt, zusammen zu arbeiten, sondern auch zusammen zu sein.“
Dass die beiden Werke mit Chor einen Rahmen bilden für Beethovens Achte, die Nagano mit Verve und unbändigem, fast atemberaubenden Tempo dirigiert, ist am Ende des Abends zu verstehen als geradezu programmatisches Kalkül: Nach der Demut und Wehmut, die Chor und Orchester in Brahms‘ Schicksalslied schnörkellos, zart, bittend und im besten Sinne sakral intonieren, darf der Titan Beethoven mit seiner Achten Sinfonie, seinem ungewöhnlich ironischen und spielerischen, mitunter mozartesk wirkenden Werk als noch furioser gelten, wird er doch fast zum Zwischenspiel degradiert (auch wenn das vorwiegend amerikanische Publikum begeistert nach jedem Satz klatscht) – hin zum Höhepunkt des Abends: Sean Shepherds An einem klaren Tag. Was nicht allein der Tatsache geschuldet ist, dass es sich um eine Uraufführung handelt, sondern schlicht der, dass man noch einmal und das so lang wie möglich in den Genuss dieses schier unfassbar sensiblen, durchsichtigen, filigranen und zugleich heroischen, herrischen und fordernden, dabei aber so differenzierten wie homogenen Stimmkörpers kommen möchte (besonders hervorzuheben ist dabei unstrittig der Leiter des Audi Akademiechors Martin Steidler, der die jugendlichen Sänger zwischen 16 und 27 Jahren – hier zusammen mit den anderen Chören – mit einer Professionalität und Motivation anleitet, die seinesgleichen sucht). Jan Vogler tritt mit seinem Cello in eine Korrespondenz mit dem Chor, wie sie brüchiger und stimmiger gleichermaßen nicht sein könnte und setzt damit eine Emotionalität frei, die mit Dissonanzen, klugen und klar definierten Zäsuren, lyrischen Passagen und extrem dichter Erzählweise einen Spannungsreichtum freisetzt, der das Thema der Zerrissenheit zwischen Hoffnungslosigkeit und Zuversicht fast plastisch abbildet.
Belohnt wird dieser Abend mit einem verdient frenetischen Beifall: Standing Ovations gelten Maestro Nagano und seinem Orchester, dem Komponisten Sean Shepherd, Jan Vogler, vor allem aber dem Chor, der den Tag poetisch, die Nacht aber wirklich aufs Feinste und in wörtlichem Sinne klar gemacht hat. Es wird selbst für eingefleischte Fans professioneller „großer“ Chöre nicht ganz leicht, nach einem Konzertabend wie dem in der ehrwürdigen Carnegie Hall den unmittelbaren Draht junger Stimmen nach oben nicht zu vermissen.
Weitere Konzerte:
Hamburg, Elbphilharmonie, am 28. und 30. April 2023 zur Eröffnung des Musikfestes Hamburg: www.elbphilharmonie.de
Dresden, Kulturpalast, am 5. Mai 2023 im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele: www.musikfestspiele.com