Jeanine De Bique

Kari­bi­scher Kick

von Patrick Wildermann

16. Januar 2022

Jeanine De Bique findet ausgerechnet in der Musik des Barocks größtmögliche Individualität und Freiheit. Mit unbändiger Energie frischt sie auf ihrem Debütalbum ihre barocken Heldinnen sehr charmant auf .

Die eine spinnt Intrigen am römi­schen Hof, um ihren Sohn als Thron­folger in Stel­lung zu bringen. Die andere lebt als unglück­liche Zauberin auf einer Insel unter verflos­senen Lieb­ha­bern, die sie in Pflanzen, Steine oder wilde Tiere verwan­delt hat. Und die nächste muss mit dem vermeint­li­chen Tod ihres Mannes fertig werden, dem König der Lango­barden, und sich oben­drein noch gegen die Avancen eines unge­ho­belten Möch­te­gern-Nach­fol­gers zur Wehr setzen. Klingt nach sehr unter­schied­li­chen Schick­salen. Gemeinsam aber ist diesen drei Frauen – nament­lich Agrip­pina, Alcina und Rode­linda –, dass sie es zu Haupt­fi­guren in Opern von gebracht haben.

singt die Arie „M’hai resa infe­lice“ der Deidamia aus Georg Fried­rich Händels gleich­na­miger letzter Oper.

Als solche erfahren sie jetzt eine beson­dere Würdi­gung durch die Sopra­nistin Jeanine De Bique aus Trinidad und Tobago, die ihnen (und darüber hinaus der Cleo­patra und der Deidamia) ihr furioses Konzept­album „Mirrors“ gewidmet hat. Auf ihrem Debüt stellt De Bique den Händel-Werken jeweils die Kompo­si­tion eines Zeit­ge­nossen gegen­über, der sich der glei­chen Frau­en­figur gewidmet hat: Giulio Cesare in Egitto trifft auf Cesare e Cleo­patra von , Alcina begegnet Riccardo Broschis L’isola d’Al­cina – eine von drei Welt­er­stein­spie­lungen.

»Die baro­cken Kompo­nisten haben Charak­tere erschaffen, die eine Viel­zahl verschie­dener Emotionen in nur einer Oper zeigen dürfen.«

Aus diesem Prinzip ergeben sich nicht so sehr Kontraste als viel­mehr komplexe, einander ergän­zende und kommen­tie­rende Porträts. „Die Kompo­nisten haben Charak­tere erschaffen, die eine Viel­zahl verschie­dener Emotionen in nur einer Oper zeigen dürfen – während in vielen späteren Werken oft eindi­men­sio­nale Geschichten erzählt werden“, findet Jeanine De Bique, die sich im Barock­fach selbst noch als Neuling und Entde­ckerin bezeichnet. An der Oper hat sie in der Leitung von die Titel­rolle von Händels Rode­linda gesungen, Niccolò Jommellis Fetonte am Theater zählt eben­falls zu ihrer Barock­bio­grafie – aber sie will unbe­dingt mehr über das Genre lernen, sich „die Regeln des Spiels aneignen“. Auch an der Manhattan School of Music, wo De Bique ihre Ausbil­dung absol­viert hat, spielte das Genre eher eine unter­ge­ord­nete Rolle.

»Die Musik von Trinidad und Tobago ist farben­reich, wir haben Unmengen an Rhythmen.«

Umso stau­nens­werter, mit welcher durchweg unver­zagten Frische sich die Sopra­nistin Händel, Graun, Tele­mann und die anderen zu eigen macht – begleitet von den Barock­spe­zia­listen Concerto , diri­giert von Luca Quin­ta­valle. De Bique schreibt selbst im Booklet des Albums, das reich­hal­tige kultu­relle Erbe ihrer Herkunft sei eine große Inspi­ra­tion gewesen. „Wir sind ein multi-diverses Land, in dem viele verschie­dene Ethnien zusam­men­kommen, unsere Musik ist farben­reich, wir haben Unmengen an Rhythmen“, beschreibt sie Trinidad und Tobago im Gespräch. Zunächst habe sie im Sinn gehabt, eine entspre­chende perkus­sive Instru­men­tie­rung in den Barock zu bringen, „aber dann habe ich einen subti­leren Weg gefunden“. Nämlich, die ausge­wählten Werke – „für mein Empfinden sind es Stücke, die es einem erlauben zu tanzen“ – mit der spezi­fi­schen Energie der Karibik aufzu­laden.

»Ich fühle mich jeder dieser Frauen persön­lich verbunden.«

So glän­zend das aufgeht – „Mirrors“ wäre wohl kaum so bestür­mend, würde man nicht zudem in jeder Nuance De Biques Wert­schät­zung für die baro­cken Heldinnen hören, deren Rollen sie singt. „Ich fühle mich jeder dieser Frauen persön­lich verbunden“, unter­streicht sie. Als Beispiel nennt sie Rode­linda. „Sie erlebt alles, was auch eine moderne Frau durch­macht, als Mutter, Ehefrau, Schwester, Tochter ihrer Nation.“ Voller Leiden­schaft erzählt sie die Geschichte der Lango­bardin, der das Zuhause und die Heimat genommen werden, deren Mann auf myste­riöse Weise verschwindet und wieder auftaucht („Mal ehrlich: Wo war der Kerl?“), die als Krie­gerin ihre Kinder beschützen und gleich­zeitig sich selbst gegen den Thron­räuber Grimo­aldo vertei­digen muss. „Ich selbst bin zwar keine Mutter“, erläu­tert De Bique ihre Verbun­den­heit, „aber ich bin eine Tochter, ich war die Freundin von jemandem, habe geliebt, wurde verlassen und musste mich auch schon körper­lich gegen Angriffe wehren.“

»Es ist lange her, dass jemand aus der Karibik in diesem Genre von sich reden gemacht hat. Ich wäre stolz, wenn ich diese Person sein könnte.«

Die Sopra­nistin, die sich zum Zeit­punkt des Gesprächs in Vicenza aufhält, wo sie Claudio Monte­verdis L’in­co­ro­na­zione di Poppea am präch­tigen probt, ist jeden­falls noch lange nicht fertig mit dem Barock. Beson­ders, weil sie es schätzt, „wie man den Kompo­si­tionen den eigenen Stempel aufdrü­cken kann“. Wie im Jazz sei das, findet sie, wo jedes Instru­ment sich im gemein­samen Spiel ganz indi­vi­duell hervor[1]tun könne. Und, was Jeanine de Bique eben­falls am Herzen liegt: „Es ist lange her, dass jemand aus der Karibik in diesem Genre von sich reden gemacht hat. Ich wäre stolz, wenn ich diese Person sein könnte.“

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Auftrittstermine und weitere Informationen zu Jeanine de Bique unter: www.jeaninedebique.com

Fotos: Gregor Hohenberg