Jeanine De Bique
Karibischer Kick
16. Januar 2022
Jeanine De Bique findet ausgerechnet in der Musik des Barocks größtmögliche Individualität und Freiheit. Mit unbändiger Energie frischt sie auf ihrem Debütalbum ihre barocken Heldinnen sehr charmant auf .
Die eine spinnt Intrigen am römischen Hof, um ihren Sohn als Thronfolger in Stellung zu bringen. Die andere lebt als unglückliche Zauberin auf einer Insel unter verflossenen Liebhabern, die sie in Pflanzen, Steine oder wilde Tiere verwandelt hat. Und die nächste muss mit dem vermeintlichen Tod ihres Mannes fertig werden, dem König der Langobarden, und sich obendrein noch gegen die Avancen eines ungehobelten Möchtegern-Nachfolgers zur Wehr setzen. Klingt nach sehr unterschiedlichen Schicksalen. Gemeinsam aber ist diesen drei Frauen – namentlich Agrippina, Alcina und Rodelinda –, dass sie es zu Hauptfiguren in Opern von Georg Friedrich Händel gebracht haben.
Als solche erfahren sie jetzt eine besondere Würdigung durch die Sopranistin Jeanine De Bique aus Trinidad und Tobago, die ihnen (und darüber hinaus der Cleopatra und der Deidamia) ihr furioses Konzeptalbum „Mirrors“ gewidmet hat. Auf ihrem Debüt stellt De Bique den Händel-Werken jeweils die Komposition eines Zeitgenossen gegenüber, der sich der gleichen Frauenfigur gewidmet hat: Giulio Cesare in Egitto trifft auf Cesare e Cleopatra von Carl Heinrich Graun, Alcina begegnet Riccardo Broschis L’isola d’Alcina – eine von drei Weltersteinspielungen.
»Die barocken Komponisten haben Charaktere erschaffen, die eine Vielzahl verschiedener Emotionen in nur einer Oper zeigen dürfen.«
Aus diesem Prinzip ergeben sich nicht so sehr Kontraste als vielmehr komplexe, einander ergänzende und kommentierende Porträts. „Die Komponisten haben Charaktere erschaffen, die eine Vielzahl verschiedener Emotionen in nur einer Oper zeigen dürfen – während in vielen späteren Werken oft eindimensionale Geschichten erzählt werden“, findet Jeanine De Bique, die sich im Barockfach selbst noch als Neuling und Entdeckerin bezeichnet. An der Oper Lille hat sie in der Leitung von Emmanuelle Haïm die Titelrolle von Händels Rodelinda gesungen, Niccolò Jommellis Fetonte am Theater Heidelberg zählt ebenfalls zu ihrer Barockbiografie – aber sie will unbedingt mehr über das Genre lernen, sich „die Regeln des Spiels aneignen“. Auch an der Manhattan School of Music, wo De Bique ihre Ausbildung absolviert hat, spielte das Genre eher eine untergeordnete Rolle.
»Die Musik von Trinidad und Tobago ist farbenreich, wir haben Unmengen an Rhythmen.«
Umso staunenswerter, mit welcher durchweg unverzagten Frische sich die Sopranistin Händel, Graun, Telemann und die anderen zu eigen macht – begleitet von den Barockspezialisten Concerto Köln, dirigiert von Luca Quintavalle. De Bique schreibt selbst im Booklet des Albums, das reichhaltige kulturelle Erbe ihrer Herkunft sei eine große Inspiration gewesen. „Wir sind ein multi-diverses Land, in dem viele verschiedene Ethnien zusammenkommen, unsere Musik ist farbenreich, wir haben Unmengen an Rhythmen“, beschreibt sie Trinidad und Tobago im Gespräch. Zunächst habe sie im Sinn gehabt, eine entsprechende perkussive Instrumentierung in den Barock zu bringen, „aber dann habe ich einen subtileren Weg gefunden“. Nämlich, die ausgewählten Werke – „für mein Empfinden sind es Stücke, die es einem erlauben zu tanzen“ – mit der spezifischen Energie der Karibik aufzuladen.
»Ich fühle mich jeder dieser Frauen persönlich verbunden.«
So glänzend das aufgeht – „Mirrors“ wäre wohl kaum so bestürmend, würde man nicht zudem in jeder Nuance De Biques Wertschätzung für die barocken Heldinnen hören, deren Rollen sie singt. „Ich fühle mich jeder dieser Frauen persönlich verbunden“, unterstreicht sie. Als Beispiel nennt sie Rodelinda. „Sie erlebt alles, was auch eine moderne Frau durchmacht, als Mutter, Ehefrau, Schwester, Tochter ihrer Nation.“ Voller Leidenschaft erzählt sie die Geschichte der Langobardin, der das Zuhause und die Heimat genommen werden, deren Mann auf mysteriöse Weise verschwindet und wieder auftaucht („Mal ehrlich: Wo war der Kerl?“), die als Kriegerin ihre Kinder beschützen und gleichzeitig sich selbst gegen den Thronräuber Grimoaldo verteidigen muss. „Ich selbst bin zwar keine Mutter“, erläutert De Bique ihre Verbundenheit, „aber ich bin eine Tochter, ich war die Freundin von jemandem, habe geliebt, wurde verlassen und musste mich auch schon körperlich gegen Angriffe wehren.“
»Es ist lange her, dass jemand aus der Karibik in diesem Genre von sich reden gemacht hat. Ich wäre stolz, wenn ich diese Person sein könnte.«
Die Sopranistin, die sich zum Zeitpunkt des Gesprächs in Vicenza aufhält, wo sie Claudio Monteverdis L’incoronazione di Poppea am prächtigen Teatro Olimpico probt, ist jedenfalls noch lange nicht fertig mit dem Barock. Besonders, weil sie es schätzt, „wie man den Kompositionen den eigenen Stempel aufdrücken kann“. Wie im Jazz sei das, findet sie, wo jedes Instrument sich im gemeinsamen Spiel ganz individuell hervor[1]tun könne. Und, was Jeanine de Bique ebenfalls am Herzen liegt: „Es ist lange her, dass jemand aus der Karibik in diesem Genre von sich reden gemacht hat. Ich wäre stolz, wenn ich diese Person sein könnte.“
Auftrittstermine und weitere Informationen zu Jeanine de Bique unter: www.jeaninedebique.com