Jüdische Küche

Von koscheren Fischen und Aufzügen im Schabbat-Modus

von Ralf Balke

1. Februar 2021

Die jüdischen rituellen Speisegebote basieren auf der Tora und gelten für Alltags- wie für Festtagsgerichte. Auch stehen viele der Speisen in symbolischer Verbindung zu Feiertagen.

Für Freunde des geho­benen Junk­foods einfach unver­zichtbar: die Scheibe Cheddar, leicht ange­schmolzen, die mit Tomaten und Gürk­chen zwischen zwei Bröt­chen­hälften auf das gegrillte Patty gelegt wird. Für Juden, die Wert auf reli­giöse Tradi­tionen legen, ist das bereits ein No-Go, selbst wenn der Klops zu hundert Prozent vom Rind stammt. Denn der Genuss von Fleisch in Kombi­na­tion mit Milch­pro­dukten ist gemäß den Regeln der Kaschrut, den jüdi­schen Spei­se­vor­schriften, nicht erlaubt. 

Was bedeutet koscher und parve?

Dieses Verbot basiert auf einem Satz aus der Bibel: „Koche nicht ein Böck­lein in der Milch seiner Mutter.“ Gläu­bige Juden haben daher Besteck, Teller und Töpfe, manchmal sogar komplette Küchen­ein­rich­tungen, gleich doppelt parat: ein Set für flei­schige, einer für milchige Speisen. Was weder das eine, noch andere ist, heißt dagegen „parve“ und kann mit beidem verzehrt werden, weshalb dem Bagel mit Lachs und Frisch­käse nichts im Wege steht. Wer aber nach dem Genuss von Fleisch ein Eis naschen oder Milch­kaffee trinken will, muss sich leider ein paar Stunden gedulden. Umge­kehrt gilt übri­gens die gleiche Regel.

Jacob ben Ascher
Das Schächten auf einem mittel­al­ter­li­chen Gemälde von Jakob ben Ascher

Auch bei Fischen gibt es einiges zu beachten. Nur solche mit Schuppen und Flossen gelten als koscher. Eine Pasta Frutti di Mare kann daher nicht auf den Teller kommen, weil das bereits die Ausschluss­kri­te­rien für Tinten­fi­sche, Muscheln, Garnelen oder Krabben sind. Ein Koscher-Zerti­fikat für Rind, Lamm oder Geflügel – der Verzehr von Schweinen, Pferden oder Kanin­chen ist gene­rell unter­sagt – wird übri­gens nur dann ausge­stellt, wenn das Tier auch rituell geschlachtet wurde und zwar mit einem einzigen Schnitt am Hals. Es muss ausbluten, da nach jüdi­scher Auffas­sung die Seele des Lebe­we­sens im Blut selbst wohnt und es deshalb nicht von Menschen konsu­miert werden darf. Genau das macht In-vitro-Fleisch, also im Labor gezüch­tetes Gewebe, ein neuer Trend in der Lebens­mit­tel­for­schung, so inter­es­sant, weil kein Tier dafür geschlachtet werden muss. Noch disku­tieren rabbi­ni­sche Auto­ri­täten, ob das Endpro­dukt nun „parve“ ist oder nicht. Wenn ja, ist der koschere Cheese­burger bald kein Traum mehr.

Endlich mal Pause? Wie geht Schabbat?

Das Smart­phone 25 Stunden lang aus der Hand legen? Für gläu­bige Juden kein Problem. Denn einmal die Woche, am Schabbat, soll Ruhe herr­schen. Dieser beginnt kurz vor Sonnen­un­ter­gang am Freitag und endet am Sams­tag­abend, wenn die ersten drei Sterne am Himmel zu sehen sind. Zahl­reiche Tätig­keiten sind dann unter­sagt. Um genau zu sein 39 – so viele nennt der Talmud, neben der Tora das wich­tigste Schrift­werk des Juden­tums. Darunter fallen Akti­vi­täten wie das Pflügen, Tiere einfangen oder Feuer anzünden. Ebenso das Reisen, allen­falls zur Synagoge sollte man gehen. 

Challa und Wein

Da aber im 21. Jahr­hun­dert die wenigsten Juden in der Land­wirt­schaft arbeiten und im Haus­halt Geräte mit Strom betrieben werden, gibt es schon lange hitzige Debatten darüber, ob Elek­tri­zität mit Feuer gleich­zu­setzen ist und was nun alles als Arbeit verstanden werden kann. Defi­nitiv tabu ist das Anzünden der Ziga­rette, weshalb Raucher eine Zwangs­pause einlegen müssen. Mit zahl­rei­chen Tricks werden Verbote umgangen, beispiels­weise gibt es einen Schabbat-Modus für Aufzüge, die an jeder Etage auto­ma­tisch halten und die Türen öffnen, so dass niemand gezwungen ist, eine Taste zu drücken.

Jankel Adler, Sabbat
Sabbat, Gemälde von Jankel Adler, dessen Bilder im Natio­nal­so­zia­lismus als „entartet“ gezeigt und aus den öffent­li­chen Samm­lungen beschlag­nahmt wurden

Der Schabbat gehört auf jeden Fall der Familie, die kurz vorher zusam­men­kommt, um ihn gemeinsam zu begehen. Die Frau des Hauses entzündet dann zwei Kerzen, und zwar rund eine Vier­tel­stunde vor Sonnen­un­ter­gang. Man hält sich die Hände vor Augen und spricht den Segen über einen Becher Wein. Uner­läss­lich ist eben­falls die Challa, ein gefloch­tenes Hefe­brot. Auch ansonsten gibt es spezi­elle Gerichte, die bereits vor Beginn des Schab­bats gekocht wurden und bei geringer Hitze bis in den nächsten Tag hinein weiter­ge­gart werden – Tscholent, ein Eintopf aus Fleisch, Bohnen und Graupen ist eines davon. 

Schabbat Schalom

Wer zuvor in der Synagoge war, hat tradi­tio­nelle Lieder gesungen, um den Ruhetag zu begrüßen. Man wünscht sich zum Ende des Gottes­dienstes gegen­seitig „Schabbat Schalom“, einen ruhigen Schabbat. Zudem ist es ein Gebot, an dem Tag Freude zu empfinden – Oneg Schabbat auf hebrä­isch. Nähert sich dieser nun seinem Ende, wird wieder eine Kerze ange­zündet, um die Havdala einzu­läuten, die Tren­nung vom Schabbat und den Beginn einer neuen Woche. Selbst Juden, die es mit den reli­giösen Geboten nicht so ernst nehmen, legen oft großen Wert auf das wöchent­liche Beisam­men­sein mit der Familie am Schabbat. Ob man dafür das Auto benutzt oder irgend­wann am Abend den Fern­seher einschaltet, das entscheidet natür­lich jeder für sich selbst.

Guter Rutsch: Was sind jüdi­sche Feier­tage?

Einen guten Rutsch! Diesen Silves­ter­gruß dürfte wohl jeder kennen. Dass er wohl hebräi­schen Ursprungs ist, wissen wahr­schein­lich die wenigsten. In der Lingu­istik tobt eine Debatte darüber, ob das jüdi­sche Neujahrs­fest Rosch Ha-Schana, zu deutsch: Kopf des Jahres, und das jiddi­sche „Gut Rosch!“, was so viel wie „Ein guter Anfang!“ bedeutet, dafür Pate standen oder nicht. Rosch Ha-Schana jeden­falls leitet das neue Jahr nach dem jüdi­schen Kalender ein, der im Unter­schied zum Grego­ria­ni­schen ein Luniso­larka­lender ist und sich an den Mond­phasen orien­tiert – neben den Normal­jahren mit zwölf Mond­mo­naten gibt es also auch Schalt­jahre mit drei­zehn. Es findet im September oder Oktober statt und soll an den Bund erin­nern, der zwischen Gott und dem Volk Israel geschlossen wurde, wozu ein ausgie­biges Abend­essen gehört. Uner­läss­lich ist dabei der mit Honig bestri­chene Apfel, der den Wunsch symbo­li­siert, dass das neue Jahr möglichst gut und süß werde.

Leopold Pilichowski: Sukkot,
Leopold Pilichowski: Sukkot
(Jüdi­sches Museum, )

Auf Rosch Ha-Schana folgt zehn Tage später Yom Kippur, das Versöh­nungs­fest. Wie der Name andeutet, geht es um Versöh­nung, und zwar die des Einzelnen mit Gott sowie mit seinen Mitmen­schen. Dann darf weder gegessen noch getrunken werden und in Israel steht das gesamte öffent­liche Leben für 24 Stunden still. Kurz darauf findet Sukkot statt, das Laub­hüt­ten­fest. Dabei gedenkt man den Israe­liten und ihrer Wande­rung durch die Wüste – eine Zeit, als sie keine feste Bleibe hatten, sondern nur Hütten, weshalb aus Palm­we­deln, Zweigen und Stroh überall solche tempo­rären Behau­sungen entstehen. 

Chanukka und Pessach

Weitere wich­tige Feier­tage sind Chanukka im Dezember, wobei an den Aufstand der Makka­bäer gegen die helle­nis­ti­sche Herr­schaft erin­nert wird und man jeden Tag ein weitere Kerze auf dem acht­ar­migen Leuchter, Chanukkia genannt, anzündet, sowie Purim, ein Karneval ähnli­cher Freu­dentag, an dem die Erret­tung der Juden vor ihrer Verfol­gung in Persien gefeiert wird. Dabei ist es quasi Pflicht, sich zu betrinken, bis man nicht mehr zwischen Gut und Böse unter­scheiden kann. 

Arik Brauer: Pessah
Pessah aus der Haggada des am 24. Januar 2021 verstor­benen Malers Arik Brauer

Last but not least ist da noch Pessach im Früh­jahr, das den Auszug aus Ägypten und die Befreiung von der Skla­verei zum Anlass hat. Getrei­de­pro­dukte wie Nudeln oder Brot sind dann tabu, was aber kein Hindernis sein soll, am Seder­abend, der den Beginn von Pessach markiert, ein opulentes Fest­mahl auszu­richten. Über­haupt lassen sich fast alle jüdi­schen Feier­tage auf eine leicht ironi­sche Formel bringen: „Sie haben versucht, uns umzu­bringen. Man hat es nicht geschafft – lasst uns ordent­lich !“ 

Fotos: Arthur Szyk: Illustration von Rosch ha-Schana, aus „The Holiday Series“, 1948