Lars Vogt

Diri­gieren macht Mut

von Teresa Pieschacón Raphael

2. November 2019

Der Pianist und Dirigent Lars Vogt über Social Media, das Älterwerden und die Rhetorik der Musik.

CRESCENDO: Herr Vogt, als wir 2008 spra­chen, hatten Sie auf Myspace 296 Freunde. Wie viele haben Sie denn heute?
(Foto oben: © Anna Reszniak): Nur ein paar wenige wirk­lich Vertraute.
Follower scheinen immer mehr zur Währung zu werden. Wie halten Sie es mit den Social Media?
Eher mittel bis weniger aktiv – wenn ich mich mit Kollegen vergleiche. Auf Face­book weise ich auf schöne Konzerte hin oder CDs.
2.026 Follower habe ich auf Twitter gezählt.
Ja, da bin ich aktiver, etwa wenn es um den Brexit geht. Ich habe in London gelebt, arbeite in Newcastle…
… als Music Director des Royal Nort­hern Sinfonia. Wie ist die Stim­mung?
Der Riss geht durch das ganze Land. Es ist ein Trau­er­spiel.
In Zeiten, in denen Präsi­denten Politik auf Twitter machen … wie nach­haltig sind Retweets im Musik­be­trieb?
Anders als manche Kollegen haue ich nicht ständig meine Meinung heraus. Natür­lich sind wir Künstler Botschafter, doch weniger im plakativ wört­li­chen Sinn. Das ist das Schöne an der Musik: dass sich die Botschaft subtil, vage, gewis­ser­maßen ohne Worte vermit­telt; dass sie unsagbar ist in jederlei Hinsicht. Und manchmal die Menschen wirk­lich vereinen kann.

„Die alte bildungs­bür­ger­liche Zuge­wandt­heit scheint ein biss­chen verloren gegangen zu sein.“

Einst gab es die „Deut­sche Klavier-Schule“ um Artur Schnabel, Edwin Fischer, Wilhelm Back­haus, und Wilhelm Kempff. Wo sind derzeit die deut­schen Pianisten, die eine solche Tradi­tion wieder­auf­leben lassen könnten?
Ich weiß es nicht. Die alte bildungs­bür­ger­liche Zuge­wandt­heit scheint ein biss­chen verloren gegangen zu sein. In jedem Fall gibt es Talente. Ich habe aller­dings beob­achtet, dass man etwa in – um nur ein Land zu nennen – beispiels­weise mit Stipen­dien, aber auch mit Auftritten mit wich­tigen Orches­tern unter­stützt wird. In habe ich nicht das Gefühl, um es vorsichtig zu sagen, dass man hier als einhei­mi­sches Talent auf Händen getragen wird.
Auch für die Agen­turen scheint es inter­es­santer zu sein, einen Künstler zu vermarkten, der von weit herkommt und eine vermeint­liche „Story“ hat, als einen jungen Menschen, der in der deut­schen stillen Provinz aufwächst.
Das finde ich auch sehr bedau­er­lich. Auch ich bekam, nachdem wir für ein Projekt tolle Musik zusam­men­ge­stellt hatten, zu hören: „Where is the story? You have to tell a story!“ Die Story ist doch die Musik selbst! Junge Künstler bekommen das wie eine zweite Haut heute mit, versu­chen oft Plaka­tives nach außen zu tragen. Die musi­ka­li­sche Kern­aus­sage tritt oft leider in den Hinter­grund.

„Das wird zur Falle, wenn man sich stets an der eigenen oder der Jugend anderer misst.“

Immer wich­tiger wurde auch die Optik.
Aber das wird zur Falle, wenn man sich stets an der eigenen oder der Jugend anderer misst. Wenn ich an denke: in der Erschei­nung eher ein graues Mäus­chen – aber was hat die für Musik gemacht! Wie spre­chen heute noch von ihr!
In einem Inter­view spre­chen Sie die Schwie­rig­keit des älter werdenden Künst­lers an.
Ich kann mich ja nicht beklagen. Ich konzer­tiere welt­weit, bin Chef­di­ri­gent bei einem der wich­tigsten Kammer­or­chester Europas, führe seit über 20 Jahren mein Festival „Span­nungen“, unter­richte als Professor an der Hoch­schule in . Doch als ich älter wurde, warnte man mich. Zwischen 40 und 60 werde die Vermark­tung schwie­riger. Da sei man nicht mehr ein junges Talent, aber auch nicht der „old revered Master‘“ Und eben nur „old news“. Dabei werden die meisten Musiker in diesem Alter erst richtig gut!
Kompli­ment für Ihre Aufrich­tig­keit in einer Welt, in der jeder so tut, als sei er ewig jung!
Auch ich musste dazu­lernen. Heute mit 49 stehe ich zum Beispiel offensiv dazu, dass ich fast nicht mehr auswendig spiele. Ich will mir den Stress nicht mehr antun, denn das lenkt vom wirk­li­chen Musi­zieren ab. Ich bin zum iPad-Spieler geworden.
Wie?
Ich habe den iPad im Flügel liegen als Gedächt­nis­stütze. Mit einem Blue­tooth-Pedal blät­tere ich mit dem linken Fuß um. Endlich kann ich mich nur auf die Musik freuen! Liszt hatte das Auswen­dig­spielen ja einge­führt – auch wegen des zirzen­si­schen Effekts. Den habe ich nicht mehr nötig.
Im Inter­view des Book­lets zu Ihrem Album mit vier Klavier­sonaten Mozarts sagen Sie, dass Sie sich jetzt mehr trauen, zu Ihren Gedanken zu stehen.
Früher hatte ich so eine Art Zensor in mir, der mir sagte, wie eine Bewe­gung zu sein hat. Jetzt habe ich oft Harnon­courts Bemer­kung im Kopf, der bei der Aufnahme der Mozart-Konzerte mit sagte: „Ein Leben habe ich darum gekämpft, dass Achtel nicht ganz rhyth­misch sein sollen!“ Genau das ist es, Musik als rheto­ri­sche Deutung, das hält die Musik lebendig! Viel­leicht habe ich jetzt mehr Mut, weil ich diri­giere.

Weitere Infor­ma­tionen zum Künstler: www​.lars​vogt​.de