Licht & Video

Erleuchtet!

von Klaus Kalchschmid

14. September 2021

Licht und Video mischen schon lange als eigenständige Kunstformen das Musiktheater auf – mal klug, mal effektverliebt.

Ganz aus Licht auf einer runden Scheibe kreierte Wieland Wagner bei den ersten Nach­kriegs­fest­spielen 1951 in seinen Parsifal und den Ring des Nibe­lungen – damals ein abso­lutes Novum. 1970 wurde bei der Zauber­flöte im Bühnen­bild von Josef Svoboda, im Münchner Natio­nal­theater erst­mals farbiges Laser­licht einge­setzt – promi­nent benutzt auch 1988 im Bayreu­ther Ring von , Bühne: Hans Scha­ver­noch. Heute prägen diffe­ren­zierte, der Musik folgende Licht-Wechsel jede Form von (Musik-)Theater, aber auch der Einsatz von Video und Film ist infla­tionär geworden, seit schon eine kleine Digi­tal­ka­mera oder ein Smart­phone scharfe bewegte Bilder produ­zieren.

Doku­men­tar­auf­nahmen eines Atom­pilzes

Bereits in den 1920er- und 30er-Jahren sahen Kompo­nisten Film für ihre Werke vor: In Darius Milhauds Chris­toph Colomb (1927) sollten im Hinter­grund proji­zierte Filme die Gedanken der Prot­ago­nisten spie­geln, forderte um 1935 für das Zwischen­spiel im zweiten Akt, die Spie­gel­achse seiner Lulu, einen Film für Verhaf­tung, Gefäng­nis­auf­ent­halt und Befreiung der Titel­figur und in der Partitur seiner Soldaten (1965) die Einspie­lung von Doku­men­tar­auf­nahmen, etwa eines Atom­pilzes.

Inszenierung von Mozarts Zauberflöte von William Kentridge
Zitiert in seiner Insze­nie­rung von Mozarts Zauber­flöte an der Mailänder Scala 2011 mit animierten Projek­tionen die Barock­theater-Soffitten: der Künstler und Regis­seur William Kentridge
(Foto: © Teatro alla Scala)

Wie heute Film und Video im Musik­theater verwendet werden, ist ästhe­tisch wie inhalt­lich sehr verschieden, oft über­bor­dend und nicht immer sinn­stif­tend. Der südafri­ka­ni­sche­Künstler und Regis­seur­Wil­liam Kentridge­et­wa­dreht seit den 1980er-Jahren sozi­al­kri­ti­sche Anima­ti­ons­filme. So verwen­dete er für seine Zauber­flöte 2011 in quasi im Negativ – also weiß auf schwarz – animierte Projek­tionen, die Barock­theater-Soffitten mit Säulen und gestutzte Rabatten oder Schin­kels berühmte Deko­ra­tionen zitieren, die Gedanken der Figuren sichtbar machen, etwa wenn Papa­geno sich ein Weib­chen herbeit­räumt und aus Vöglein Mädchen werden, oder die Feuer- und Wasser­probe opulent, poetisch, bewegt und bewe­gend illus­trieren.

William Kentridges Inszenierung von Alban Bergs Wozzeck
Groß­zü­gige Verwen­dung von Video­pro­jek­tionen: William Kentridges Insze­nie­rung von Alban Bergs Wozzeck bei den Salz­burger Fest­spielen 2017
(Foto: © Ruth Walz, )

In seiner Lulu ( 2015) ist eine bewegte Bilder­wand voller Projek­tionen domi­nant: Es wech­selt Schrift wie im Stumm­film mit groben schwarz gepin­selten Porträts – alles immer irgendwie in Bewe­gung und sich über­la­gernd, aber nie störend, weil die Aktion im Vorder­grund immer die Haupt­auf­merk­sam­keit auf sich zieht, ganz anders als im über­bor­dend mit Anima­tionen zuge­kleis­terten Wozzeck im Jahr 2017.

Massen­szenen aus dem Terra­rium auf Groß­lein­wand

ließ für Rossinis Mosè in Egitto bei den Bregenzer Fest­spielen im glei­chen Jahr die Massen­szenen in einem kleinen Terra­rium vom Thea­ter­kol­lektiv Hotel Modern arran­gieren und zeigte sie dann auf Groß­lein­wand. Das war ein selt­samer Verfrem­dungs­ef­fekt, der mit wech­selndem Erfolg eine mal faszi­nie­rende, mal nur banale Ebene bespielte. Auch in La clemenza di Tito in 1999 von Ultz wurden die live gefilmten Gesichter der Sänger fast durch­ge­hend auf eine Lein­wand ober­halb der Bühne proji­ziert, eine perma­nente Ablen­kung vom eigent­li­chen Geschehen.

Katie Michells Inszenierung von Luigi Nonos Al Gran sole carico d'amore
Katie Michells Insze­nie­rung von Luigi Nonos Al Gran sole carico d’amore bei den Salz­burger Fest­spielen 2009
(Foto: © Stephen Cummiskey / Salz­burger Fest­spiele)

Katie Michell lässt veri­table Film­sets bauen, so 2009 für Luigi Nonos Al Gran sole carico d’amore bei den Salz­burger Fest­spielen: Auch dies ist eine abend­fül­lende Irri­ta­tion, weil man in jeder Sekunde die Entschei­dung zwischen dem veri­ta­blen (Live-)Spielfilm und der eigent­li­chen Insze­nie­rung darunter treffen muss. zeigt dagegen, mit Hand­ka­mera gefilmt, immer wieder das, was sich in den Kulissen, meist für den Zuschauer verborgen oder nur teil­weise sichtbar durch Fenster, genau abspielt, während vorne die eigent­liche Hand­lung der Oper abläuft. Virtuos und eminent witzig war das vor allem im Vorabend von Wagners Ring-Tetra­logie, also im Rhein­gold bei den Bayreu­ther Fest­spielen ab 2013.

Bühne und Film als getrennte Welten

Für Video als zusätz­li­cher (oftmals Rätsel-)Ebene ist Kamil Polak für zuständig, so zuletzt in Tristan und Isolde bei den Münchner Opern­fest­spielen 2021. Dem Bühnen-Geschehen im zweiten Aufzug steht eine schwarz­weiße Über­wa­chungs­ka­mera entgegen, die das zunächst vergeb­liche Warte Isoldes zeigt und den zaghaften Versuch einer Annä­he­rung wie am Ende das lächelnde Erwa­chen der Prot­ago­nisten, nun in Farbe, den Bühnen-Tod beider konter­ka­riert. Bühne und Film sind dabei getrennte Welten.

Katie Mitchell
Chaya Czer­no­wins Pnima – ins Innere in der Insze­nie­rung von und mit dem Bühnen­bildner Chris­tian Schmidt bei der für neues Musik­theater München 2000
(Foto: © Regine Körner / Münchener Bien­nale)

Bühnen­bildner Chris­tian Schmidt hat mit Regis­seur Claus Guth seit 25 Jahren selten, aber dezi­diert Video und Film verwendet, so schon 1996 bei Mother of Black­winged Dreams über eine multiple Persön­lich­keit, wobei Super8-Filme die kind­lich-regres­sive Atmo­sphäre spie­gelten, oder für Chaya Czer­no­wins Pnima – ins Innere im Jahr 2000, eben­falls bei der Münchener Bien­nale für Neues Musik­theater urauf­ge­führt und von den KZ-Erin­ne­rungen eines alten Mannes handelnd. Verstö­rend gleich zu Beginn eine Fahrt durch München bis zum KZ Dachau. Später öffnen sich filmi­sche Erin­ne­rungs­räumen in einem nach­ge­bauten Raum aus dem Konzen­tra­ti­ons­lager.

Heart Chamber von Chaya Czernowin
Heart Chamber von Czer­nowin in der Insze­nie­rung von Claus Guth und mit dem Bühnen­bildner Chris­tian Schmidt an der Deut­schen Oper Berlin 2020
(Foto: © Michael Trippel / )

Fast 20 Jahre später gab es für die abstrakte Liebes­ge­schichte zwischen Sie und Er in Heart Chamber, einer weiteren Oper von Chaya Czer­nowin in Berlin, eben­falls essen­ziell Musik, Text und Szene beglei­tende Videos: Roca­film zeigten auf der Fassade eines dreh­baren Hauses Stra­ßen­szenen, die oft in Zeit­lupe mit der Szene, die sich auf der Bühne konkret abspielt, virtuos korre­spon­dierten oder gar mit ihnen verschmolzen.

Amélie Niermeyers Inszenierung von Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor
Amélie Nier­meyers Insze­nie­rung von Gaetano Doni­zettis Lucia di Lammer­moor an der Hamburger Staats­oper 2021 mit Film­ele­menten von Jan Specken­bach
(Foto: © Brink­hoff / Mögen­burg / Hamburger Staats­oper)

Bei der Hamburger Insze­nie­rung von Lucia di Lammer­moor in der Regie von Amélie Nier­meyer mit der Bühne von Chris­tian Schmidt war Jan Specken­bach für den Film verant­wort­lich – jener Film­re­gis­seur (Die Vermissten, Frei­heit), der im November 2020 Sebas­tian Hart­manns Zauber­berg mit sechs wild­be­wegten Kameras für den Stream aufge­mischt hatte. Vor Beginn der Oper sah man minu­ten­lang Tänze­rinnen, die zu realem O‑Ton Frauen hörbar machten, die in Demons­tra­tionen die Einfor­de­rung ihrer Rechte prokla­mierten. Später tauchten diese Frauen immer wieder stumm filmisch auf, wurden zu Opfern, die zu Boden gingen, sich aber immer wieder aufrich­teten, bis am Ende der Wahn­sinns-Szene Lucia zur Musik Doni­zettis das Gesten-Voka­bular aus dem Video über­nimmt. Der alte Stoff einer von den Männern benutzen und gede­mü­tigten Frau bekam so aktu­elle Brisanz.

Kirill Serebrennikows Inszenierung von Richard Wagners Parsifal
Drei Lein­wände über der Szene zeigen in Kirill Serebren­ni­kows Insze­nie­rung von Richard Wagners Parsifal an der 2021 dessen Irrfahrten
(Foto: © Michael Pöhn / Wiener Staats­oper)

Kirill Serebren­nikow ist selbst höchst origi­neller Theater- wie Film­re­gis­seur und unter­schied in der Stutt­garter Salome einen real singenden und einen jungen filmi­schen Joch­a­naan. Bei Hänsel und Gretel, eben­falls in 2017, gab es einen parallel zur Hand­lung ablau­fenden insze­nierten Film über Menschen im armen, afri­ka­ni­schen Ruanda. Im ersten und dritten Aufzugs seines Parsifal ( 2021), die in einem Gefängnis spielten, zeigten über der Bühne drei große Lein­wände neben­ein­ander vor allem das junge Parsifal-Double auf seinen Irrfahrten, aber auch halb­nackte Gefan­gene in der Ästhetik der schla­fenden Matrosen aus Sergei Eisen­steins Panzer­kreuzer Potemkin mit Tattoos, die das erzählte Geschehen reflek­tierten: unter anderem Gral, Speer und Kreuz. Zumin­dest in der Stream-Version ergab das einen faszi­nie­renden Mix.

Zwei Drittel Bühne und ein Drittel Film

Inhalt­lich essen­tiell war auch der Einsatz von (Live-)Film beim Tann­häuser der 2019 des Teams (Regie), Rainer Sell­maier (Bühne) und Manuel Braun (Video): Hier gab es eben­falls eine Auftei­lung in zwei Drittel Bühne und ein Drittel Film, aller­dings jeweils mit konkretem Rahmen: Hier die mittel­al­ter­lich roman­ti­sche Szenerie der Wart­burg in Gold- und Sepia-Braun-Tönen, darüber ein Schwarz-Weiß-Film, der zeigt, wie Venus mit ihren Kumpanen zuerst das Fest­spiel­haus „besetzt“ und dann den Sänger­krieg torpe­diert.

Axel Ranisch und sein gestreamtes Montagsstück der Bayerischen Staatsoper
und sein gestreamtes Montags­stück der Baye­ri­schen Staats­oper mit Ermanno Wolf-Ferraris Il segreto di Susanna
(Foto: © Wilfried Hösl / )

Axel Ranisch – glei­cher­maßen Tatort- wie Spiel­film- und Opern­re­gis­seur – kombi­niert eben­falls gerne (Spiel-)Filmbilder mit der „realen“ Bühnen­welt, zuletzt für das gestreamte Montags­stück der Baye­ri­schen Staats­oper mit Ermanno Wolf-Ferraris Il segreto di Susanna. Halb als Thera­pie­sit­zung mit dem sicht­baren Orchester live gesungen und gespielt, halb als vorpro­du­zierter (Stumm-)Film in einer schmu­cken Villa, der das Geschehen um die niko­tin­süch­tige Haupt­dar­stel­lerin und ihren Ehemann zeigt, der hinter dem blauen Dunst einen heim­li­chen Lieb­haber vermutet. Eine herr­liche Screw­ball-Comedy!

Fotos: Bayreuther Festspiele