Sonnenkönig Ludwig XIV.

Macht, Glanz und Intrige

von Teresa Pieschacón Raphael

15. März 2018

Wohl nie war die Geschichte eines Herrschers so eng mit der Musik verwoben wie die von Ludwig XIV. Manipuliert von Lully, wurde Musik zu einer grandiosen Inszenierung seiner königlichen Gewalt.

Da funkelte er in zartem Rosa und Silber im Glas­kasten bei Christie’s in Genf und strahlte wie die Welt, die er einst reprä­sen­tierte: der 19,07 Karat schwere Diamant „Grand Mazarin“. Für schlappe zwölf Millionen Euro ging er im November 2017 über den Tisch und stach den „Raj Pink“ aus, mit 37,3 Karat immerhin doppelt so viel wert. Der „Mazarin“ aber hat eine illustre Geschichte. Er zierte Kronen und Diademe und gehörte einst dem Kardinal Mazarin, dem seiner­zeit mäch­tigsten Mann in , mäch­tiger als der König selbst. Ludwig XIII. schien schwach und naiv – so wird er jeden­falls in Alex­andre Dumas« Die drei Muske­tiere beschrieben. Als er 1643 stirbt, ist sein Sohn erst vier Jahre alt. Kommis­sa­risch über­nimmt seine Mutter die Regent­schaft über ein Land, das seit 13 Jahren mit Krieg führt und geschwächt ist durch die „Fronde“, die auffla­ckernden Aufstände des Volkes und des Hoch­adels. Da bietet sich Kardinal Mazarin an, als Retter der Bour­bonen-Regent­schaft und als Tauf­pate und Ersatz­vater für Ludwig.

Kardinal Mazarin
Kardinal Mazarin, auf einem Gemälde von Pierre Mignard

Mazarins diplo­ma­ti­scher Kunst wird Frank­reich den West­fä­li­schen Frieden (1648) und die Versöh­nung mit Spanien im Pyre­nä­en­frieden (1659) verdanken. „Ein Mann an der Macht beweist seine Fähig­keit, die Staats­ge­schäfte zu führen, indem er die seinen florieren lässt“, sagt der „Schieds­richter Europas“ und handelt auch so. Böse Lied­chen, „Maza­ri­naden“, wird ihm das Volk dichten, weil er rück­sichts­lose Steu­er­po­litik betrieb und unfass­bares Vermögen anhäufte.

Mazarin ist auch ein Mann der Bildung. Lange bevor General Bona­parte Kunst­werke aus als Kriegs­beute nach Paris schickt, tut er es bereits. Seine Biblio­thek umfasst 40.000 Bücher. Auch die Oper inter­es­siert ihn, die italie­ni­sche natür­lich, und er will sie am fran­zö­si­schen Hof etablieren. 1645 startet er den ersten Versuch. In Anwe­sen­heit der Regentin erklingt La Finta Pazza von Fran­cesco Sacrati im Theater Petit-Bourbon.

Gemälde von Hyacinthe Rigaud
Ludwig XIV. im Krönungs­ornat, porträ­tiert von Hyac­inthe Rigaud

Am 7. März 1661 lässt er sich Haare und Bart kräu­seln und parfü­mieren und erwartet, in pracht­volle Staats­ge­wänder gehüllt, den Tod. In der Nacht vom 8. auf den 9. März ist es so weit. In Frank­reichs Kirchen wird für ihn wie für einen König gebetet. Ludwig, der wahre König, ist 23 Jahre jung und bereit. Die poli­ti­schen Winkel­züge hat er von Mazarin gelernt. Nur die Liebe zur italie­ni­schen Kunst teilt er nicht. Eine „Grande Nation“ braucht schließ­lich eine eigene Musik.

Über Nacht werden alle italie­ni­schen Musiker entlassen, auch der berühmte , der 1660 auf Bitte von Mazarin nach Paris gekommen war, um mit einer Oper die Hoch­zeit Ludwigs XIV. mit Maria Teresa von Spanien 1660 zu feiern. Der alternde Mazarin kann die Sabo­tage von Cavallis Musik nicht verhin­dern. Längst hat ein anderer die Macht über­nommen. Sein (italie­ni­scher) Name: Giovanni Battista Lulli. Als Lakai war der floren­ti­ni­sche Müllersohn nach Paris gekommen. Dort hatte er sich als Geiger und Tänzer die Gunst Ludwigs, der selbst ein ausge­zeich­neter Tänzer war, erworben. Gemeinsam treten sie 1653 im mytho­lo­gi­schen Ballet Royal de la Nuit auf – am Tag nach der Nieder­schla­gung (!) der Fronde-Aufstände. Ein symbo­li­scher Moment für das Land: Der 14-jährige Dauphin insze­niert sich als Sonne, um die alle Planeten kreisen. Sein mit edlen Steinen besetztes Kostüm als leuch­tender Apollon setzt ein unmiss­ver­ständ­li­ches Signal an seine Unter­tanen: Hier steht der Reprä­sen­tant der gött­li­chen Allge­walt, das Zentral­ge­stirn Frank­reichs, von dem alles Licht ausgeht. „L’état c’est moi!“ – „Der Staat bin ich!“, Worte, die er übri­gens nie gesagt hat.

war der Kompo­nist am Hof Ludwig XIV. in

Lully sonnt sich in diesem Licht. Bald wird der König nicht nur zu Lullys gravi­tä­tisch punk­tierten Rhythmen schreiten, sondern auch nach seiner Pfeife tanzen. Im Gegenzug liefert Lully tönende Lobprei­sungen auf seinen Herrn, die sich im Prolog seiner Opern äußern und im Ballet de cour (Hofbal­lett), in dem sich Ludwig XIV. in seinem abso­lu­tis­ti­schen Herr­scher­ver­ständnis insze­niert. Ort der King(sized) Shows wird Versailles. Aus dem alten Jagd­schlöss­chen seines Vaters draußen im Sumpf südwest­lich von Paris hat er das präch­tigste Schloss der Welt errichten lassen. Die Fronde, eine Serie von Aufständen und Bürger­kriegen, hatten Ludwig gelehrt, dass man niemandem trauen kann, schon gar nicht der Familie. Um die Mäch­tigen zu kontrol­lieren, lässt er sie alle in seinem Schloss wohnen, abge­schnitten vom Rest der Welt. Dort agieren sie nun, gefangen im Korsett eines starren Hofze­re­mo­ni­ells unter steter Beob­ach­tung ihres Herr­schers. Er wusste um ihre Eitel­keit, ihre Gier nach Geld und Ansehen, nach Luxus und Amüse­ment. Kostüm­auf­mär­sche, Theater, Musik, Ballette und sple­ndide Feste sollten sie ablenken, keine Orgien, sondern minu­tiös arran­gierte Feste, bei der der „Honnête homme“ nobles Verhalten an den Tag zu legen hatte. Der König selbst machte es vor: „Niemals ging er auch nur an der geringsten Magd vorüber, ohne den Hut zu lüften“, schrieb der scharf­sin­nige Chro­nist Herzog von Saint-Simon.

Und Lully lieferte den musi­ka­li­schen Stoff dazu, gran­dios pathe­ti­sche Opern, deren gravi­tä­tisch einlei­tende „Fran­zö­si­sche Ouver­türen“ dem Herr­scher Raum zur Insze­nie­rung geben. Tragédie lyrique heißt die fran­zö­si­sche Natio­nal­oper, die sich als Gegenpol zur italie­ni­schen Oper versteht. Sie orien­tiert sich am klas­si­schen fran­zö­si­schen fünf­ak­tigen Theater, hat ausgie­bige Ballett- und Chor­szenen und – da man Kastraten ablehnte – einen spezi­ellen Gesangs­stil, den der kompo­nie­rende Philo­soph Jean-Jacques Rous­seau viele Jahre später als „fort­ge­setztes Bellen, jedem Ohr, das nicht daran gewöhnt ist, uner­träg­lich“ beschimpft. 16 dieser Tragé­dies liefert Lully, einige mit Molière, die meisten mit dem Libret­tisten Phil­ippe Quinault erar­beitet, darunter Atys von 1676, an der Ludwig angeb­lich mitkom­po­nierte. Fürst­lich ausge­stattet sind die Orchester: 24 Violons du Roi, dazu zwölf Oboen und Block- und Travers­flöten. Und eine Conti­nuo­gruppe mit Lauten, Gitarren, Cembalo sowie Pauken und Trom­peten.

Eine Auffüh­rung von Jean-Baptiste Lullys Alceste in Versailles

Die Nähe zum König stei­gert Lullys Macht. 1661 steigt er zum Surin­ten­dant de la musique auf, 1672 sichert er sich die Rechte an der Académie Royale de Musique, die in einem einzig­ar­tigen, von Ludwig XIV. unter­zeich­neten Patent­brief doku­men­tiert sind: „Sehr ausdrück­lich verboten ist allen Personen, von welchem Stand und welcher Anstel­lung sie auch sind, … einzu­treten, ohne zu bezahlen. Ebenso irgendein voll­stän­diges Stück mit Musik aufzu­führen, sei es mit fran­zö­si­schen Versen oder in einer anderen Sprache, ohne Bewil­li­gung des besagten Sieur Lully, mit einer Buße von 10.000 Livres und der Konfis­zie­rung von Theater, Bühnen­ma­schi­nerie, Bühnen­bild, der Kostüme etc., wovon ein Drittel uns zu über­geben ist, ein Drittel dem Hospital General und ein Drittel besagtem Sieur Lully.“ Skru­pellos wird Lully diese vertei­digen, sich auch vermeint­li­cher Konkur­renten wie Molière entle­digen, der mit seinen bril­lanten, vom König geliebten Satiren über Jahre den geist­rei­chen Rahmen für Lullys Comédie-ballets gelie­fert hatte, Komö­dien mit Ballett- und Musik­ein­lagen, eine Art Musical des 16. Jahr­hun­derts und neben der Tragédie lyrique eine weitere typisch fran­zö­si­sche Musik­gat­tung. Molière kommt ihm zuvor. Ausge­rechnet in einer Vorstel­lung von Der einge­bil­dete Kranke merken Kollegen, dass dieser sich auf der Bühne in seinem Sessel nicht mehr regt. Er stirbt 1673 mit 51 Jahren. Den Leder­sessel kann man heute in der Comédie-Fran­çaise in Paris besich­tigen.

Jean-Baptiste Molière
Jean-Baptiste Molière stirbt, darge­stellt auf einem Gemälde von Pierre-Auguste Vafflard

Die Musik zum Malade imagi­n­aire hatte übri­gens – Ironie des Schick­sals – nicht Lully geschrieben, sondern , obwohl ihn der Surin­ten­dant vom Hofe fern­hielt. Doch Lullys Stern beginnt zu sinken. Die fröm­melnde Madame de Main­tenon, die Geliebte des Königs, stört sich an seinem pädo­philen Lebens­wandel. 1687 stirbt Lully einen Tod, der so spek­ta­kulär wie sein Aufstieg ist. Beim Diri­gieren rammt er sich den Zere­mo­nien­stab in den Fuß und stirbt an einer Blut­ver­gif­tung.

Andere über­nehmen seinen Platz: Der brave Delal­ande, der fein­sin­nige Orga­nist und der Gambist . Auch der König hat sich verän­dert, er krän­kelt, er macht sich Sorgen um sein Seelen­heil. Die Party scheint vorbei, noch nicht aber die Kriege, die auch zu Char­pen­tiers Stunde werden. 1692 zur Feier des fran­zö­si­schen Sieges von Steen­kerk wird sein Te Deum aufge­führt – durch den Gebrauch seines Prälu­diums als Euro­vi­si­ons­hymne (seit 1954) bis heute sein bekann­testes Werk.

Täglich besucht Ludwig die Messe und übt sich in baro­cker Glau­bens­ver­sen­kung mit Motetten und Psalmen aus der Feder Coupe­rins, des Lehrers seiner Kinder. Sonn­tags begegnet man sich in den Privat­ge­mä­chern des Königs zu den „Concerts royaux“ mit Couperin am Cembalo. In Versailles findet Couperin reich­lich Stoff für seine kleinen „Charak­ter­stu­dien“ für Cembalo, denen er rätsel­hafte Titel gibt. „Die Mehr­heit dieser schmei­chelnden Titel gehört den liebens­wür­digen Origi­nalen …, die ich darstellen wollte“, schreibt er mit feiner Ironie, „und weniger den Kopien, die ich von ihnen machte.“ „Le Grand“, wie man ihn nannte, ist ein malender Musiker wie 200 Jahre vorher Clément Janne­quin. Und 200 Jahre später Debussy.

Jean-Philippe Rameau
auf einem Gemälde von Camelot Aved

Vom fran­zö­si­schen musi­ka­li­schen „Rein­heits­gebot“ und Univer­sal­an­spruch hält Couperin nichts. Glau­bens­kriege inter­es­sieren ihn nicht. Anders Jean-Phil­ippe Rameau. Der Verfasser einer wegwei­senden Harmo­nie­lehre und genialer Kompo­nist von heroi­schen und komi­schen Ballett­mu­siken stellt sich im Buffo­nis­ten­streit – einer Ausein­an­der­set­zung um die Vorherr­schaft der fran­zö­si­schen oder der italie­ni­schen Oper – auf die fran­zö­si­sche Seite. Prag­ma­tisch löst den Konflikt. Eine italie­ni­sche und eine fran­zö­si­sche Version seines wird er anfer­tigen. „Die Fran­zosen sind und bleiben halt Eseln“, schrieb Mozart dazu aus Paris 1778, „sie können nichts, sie müssen Zuflucht zu Fremden nehmen.“

Fotos: Musée_Condé, Musée du Louvre