Maria Schrader führt Regie bei Unorthodox. Die Verfilmung des autobiografischen Romans von Deborah Feldman ist als Stream in vier Folgen bei dem amerikanischen Unternehmen Netflix zu sehen. Erzählt wird die Geschichte der jungen chassidischen Jüdin Esther aus New York, die der religiösen Enge entflieht, um in Berlin Freiheit zu finden, bis die Vergangenheit sie einholt.
Maria Schrader führt Regie bei Unorthodox. Die Verfilmung des autobiografischen Romans von Deborah Feldman ist als Stream in vier Folgen bei dem amerikanischen Unternehmen Netflix zu sehen. Erzählt wird die Geschichte der jungen chassidischen Jüdin Esther aus New York, die der religiösen Enge entflieht, um in Berlin Freiheit zu finden, bis die Vergangenheit sie einholt.
Mit ihrer Netflix-Serie Unorthodox, die seit 26. März 2020 läuft, inszeniert Maria Schrader die Geschichte einer jungen Frau, die eine ultraorthodox jüdische Religionsgemeinschaft hinter sich lässt und in einer Musikakademie neue Erfüllung findet. Auch Maria Schrader, die sich bislang vor allem als Schauspielerin einen großen Namen gemacht hat, hätte beinahe eine musikalische Karriere eingeschlagen. Eine ihrer unerfüllten Sehnsüchte dreht sich um ihr Klavier.
CRESCENDO: Frau Schrader, ein wichtiger Aspekt Ihrer Serie Unorthodox ist die Musik. Wie sind Sie bei der Konzeption dieser Szenen vorgegangen?
Maria Schrader: Am Anfang dachten wir an ein Streichquartett für die Studenten. Dann ist man natürlich mit dem Problem konfrontiert, dass kaum ein Schauspieler auch ein professioneller Musiker ist.
Musikalische und visuelle Wucht
Die Studenten des Berliner Konservatoriums sind wichtige Rollen in der Serie. Also kam ich auf die Idee, ein größeres Ensemble einzusetzen.

(Szenenfoto: © Netflix)
Die Schauspieler fügen sich zum einen in eine Gruppe von Profis, zum anderen haben 20 Personen auf der Bühne auch eine größere musikalische und visuelle Wucht. Wir hatten eine fantastische Musikberatung und die Qual der Wahl. Mir gefiel Dvořáks Streicherserenade in E‑Dur am besten. Das war am passendsten für die Szenen.

»Das Klavier ist eines der härtesten Instrumente. Das kann man mit Spitzensport vergleichen.«
CRESCENDO: Hätten Sie sich – wie die Protagonistin – eine musikalische Karriere vorstellen können?
Maria Schrader: Als Kind wollte ich Pianistin werden. Jahre meiner Kindheit und frühen Jugend habe ich viel geübt und auch im Duo mit meiner Schwester gespielt, die später Cellistin wurde.
Die Entscheidung
CRESCENDO: Warum wurde dann nichts daraus?
Maria Schrader: Ich war nicht gut genug.
CRESCENDO: Sind Sie sich da sicher?
Maria Schrader: Ja. Das ist wie beim Sport. Ich bin Mittelstrecke gelaufen, mit Wettkämpfen und Trainingslagern. Und ich wusste, ich kann noch so sehr trainieren, ich werde nicht unter die 2:24 kommen.

(Szenenfoto: © Netflix)
Bei der Musik gab es einige extrem talentierte Jugendliche in meinem Umfeld – da begreift man schnell, was los ist. Das Klavier ist natürlich auch eines der härtesten Instrumente. Das kann man schon mit Spitzensport vergleichen. Mit 14 kam ich zum ersten Mal mit Theater in Berührung. Das war dann die Entscheidung.
Mitten in einer Blumenwiese stand ein Konzertflügel
CRESCENDO: Und das Klavier?
Maria Schrader: Das habe ich nie wieder angefasst, bis ich auf die Schauspielschule kam. Dort habe ich angefangen, Liedgesang zu begleiten.

(Foto: © Deutsches Theater)
Später, unter anderem bei Elfriede Jelineks Winterreise am Deutschen Theater in Berlin, habe ich auf der Bühne gespielt. Mitten in einer großen Blumenwiese stand ein Konzertflügel – das war sehr schön, und ich habe mal wieder richtig geübt.
CRESCENDO: Steht bei Ihnen zu Hause ein Piano?
Maria Schrader: Das Klavier meiner Großmutter, auf dem ich auch gelernt habe.
CRESCENDO: Wie häufig spielen Sie darauf?
Maria Schrader: Es gibt so Phasen. Aber jetzt habe ich es schon über ein Jahr nicht mehr angefasst.

(Szenenfoto: © Netflix)
CRESCENDO: Wenn Sie sich wieder ans Klavier setzen: Was spielen Sie?
Maria Schrader: Es gibt eine Beethoven-Sonate, die ich gerne spiele und noch auswendig kann. Erik Satie für meinen Freund, ein paar Moments musicaux von Schubert. Außerdem Chopin, Bach und zu besonderen Anlässen Lieder ohne Worte von Mendelssohn mit meiner Schwester am Cello.

»Oft habe ich davon geträumt, mich einfach ans Klavier setzen und drauflosspielen zu können.«
CRESCENDO: Was würden Sie gerne noch auf dem Klavier spielen können?
Maria Schrader: Ich wünschte, ich hätte gelernt, wie man improvisiert. Dann wäre ich unter Umständen dem Klavier auch treuer geblieben. Aber ich hatte ganz klassischen Unterricht, in dem man sich ein Stück nach dem anderen erarbeitet. Oft habe ich davon geträumt, mich einfach ans Klavier setzen und drauflosspielen zu können.

(Szenenfoto: © Netflix)
Während meines Studiums habe ich mit einem anderen Schauspielstudenten zusammengewohnt, der außerdem ein extrem begabter Pianist war. Er konnte genau das, wovon ich immer geträumt habe. Er konnte mit Grieg anfangen und dann stundenlang darüber improvisieren.
Eine andere Form des Könnens

(Szenenfoto: © Netflix)
Wir haben gesungen, oft waren auch andere da, Peter hat begleitet. Billy Joel, alles Mögliche. Er konnte Tonarten transponieren, ohne darüber nachzudenken. Genau wie Jonas Nay, mein Kollege aus der Deutschland-Serie, ein Jazzpianist. Er hat eine Band mit Namen Pudeldame. Inzwischen ist er auch Filmkomponist. Wenn er sich ans Klavier setzt, ist das eine ganz andere Form des Könnens. Das liebe ich, und das fasziniert mich.

»Bei den Dreharbeiten zu Unorthodox herrschte ein rauschhaftes Tempo – und trotzdem hatte das Set eine liebevolle und aufmerksame Atmosphäre.«
CRESCENDO: Welche Faszination übt im Vergleich dazu der Regieberuf aus?
Maria Schrader: Ich treffe visuelle, inhaltliche, rhythmische Entscheidungen. Ich habe eine umfassende gestalterische Freiheit und Verantwortung, die ich als Schauspielerin natürlich nicht habe, im Film noch viel weniger als auf der Bühne. Es sind zwei unterschiedliche Berufe. Ich genieße es, beide auszuüben, es ist etwas vollkommen anderes und bereichert sich doch gegenseitig.

Sowohl Vor der Morgenröte als auch Unorthodox waren zwei internationale Projekte. Das Team vor und hinter der Kamera stammte aus unterschiedlichen Ländern mit verschiedenen kulturellen Hintergründen. Und dann sind wir auch noch gemeinsam gereist. Beide Male dachte ich, vielleicht wird es anstrengend mit so vielen Sprachen, vielleicht separieren sich einzelne Gruppen. Das war aber nicht so.

(Foto: © Stream Wars)
Bei Unorthodox herrschte zumindest für mich ein rauschhaftes Tempo. Und trotzdem hatte das Set eine liebevolle und aufmerksame Atmosphäre. Ich glaube, für uns alle war diese Arbeit in vielerlei Hinsicht eine große Besonderheit und Bereicherung. Es stand ein guter Stern über unserem Set.
Ein monothematischer Tunnel
CRESCENDO: Wie kann man sich dieses rauschhafte Tempo vorstellen?
Maria Schrader: Ich hatte Ende Januar 2019 am Hamburger Schauspielhaus Premiere mit Edward Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf? Drei Tage später saß ich im Flugzeug nach New York zu unserer ersten Recherche-Reise. Von da an war ich täglich mit diesem Projekt beschäftigt, bis es zu Weihnachten fertig war. Das ist nicht lang für fast vier Stunden Film.

(Szenenfoto: © Netflix)
Ansonsten gab es nichts außer zwei Wochen Urlaub und 30 Vorstellungen Virginia Woolf. Auch während der Dreharbeiten hatte ich vier, fünf Vorstellungen und wurde nachts nach Berlin zurückgefahren, um morgens wieder am Set zu stehen. Das war ein monothematischer Tunnel.

»Es gibt Momente, in denen kippt die Nordsee um, und plötzlich geht nichts mehr.«
CRESCENDO: Wie hält man das durch?
Maria Schrader: Wenn es Spaß macht, zumindest in den entscheidenden Momenten: am Set, vor Ort. Wenn mir das, was wir tun, gefällt. Das ist ja nicht selbstverständlich. Es braucht manchmal lange, bis eine Szene fertig ist oder bis man versteht, was noch fehlt. Und es ist viel Adrenalin im Spiel.

(Foto: © Stream Wars)
Ich bin als Schauspielerin an dieses Adrenalin gewöhnt und habe gelernt, wie man Nervosität in positive Energie umwandeln kann. Wobei es auch Momente gibt, in denen die Nordsee umkippt und plötzlich nichts mehr geht. Auch bei Unorthodox gab es zumindest einen, an den ich mich erinnere.
Abenteuerlust
CRESCENDO: Was haben Sie da gemacht?
Maria Schrader: Ich bin zum Kameramann Wolfgang Thaler gegangen und habe ihm ins Ohr geflüstert: ‚Ich kann gerade nicht mehr. Du musst die nächsten Einstellungen arrangieren.‘ Er war für ein paar Stunden mein Zugpferd und ist sowieso ein fantastischer Partner. Wahrscheinlich hat niemand sonst etwas bemerkt.

»Filmsets sind wie ein riesiger Dampfer, der am ersten Drehtag ablegt – und dann gibt es kein Zurück mehr.«
CRESCENDO: Aber Sie lassen sich trotzdem immer wieder neu auf solche Erfahrungen ein?
Maria Schrader: Es ist doch auch Abenteuerlust. Wenn ich an unser Set denke, das sind immer mindestens 60 Mitarbeiter, manchmal bis zu 300. Das kommt mir dann wie ein riesiger Dampfer vor, der am ersten Drehtag vom Hafen ablegt – und dann gibt’s kein Zurück mehr.

(Szenenfoto: © Netflix)
Man weiß es. Man weiß, dass es auf der Reise wahrscheinlich Wellengang geben wird, den man zu bewältigen hat. Und vielleicht wird man sich auch mal verirren…
Offen für alles Unvorhergesehene
CRESCENDO: Und wie würden Sie Ihre Funktion beschreiben?
Maria Schrader: Frau Kapitän. Der Produzentin Anna Winger gehört die Fracht, und Netflix ist der Reeder. Also, die Metaphorik hinkt. Ich muss halt vorn am Steuer bleiben. Ich muss immer vorne am Steuer bleiben.

»Die Mischung aus klarem Plan und Spontaneität ist wichtig bei der Regie.«
CRESCENDO: Was braucht ein guter Kapitän?
Maria Schrader: Es geht um die Balance, sich so gut wie möglich vorzubereiten und gleichzeitig gegenüber allem Unvorhergesehen offen zu sein. Während der Dreharbeiten gibt es immer Überraschungen. Die Mischung aus klarem Plan und der Fähigkeit, ihn auch spontan ändern zu können, das ist wichtig bei der Regie.

Deborah Feldman: „Unorthodox“ (btb)
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Die neuen Folgen der Serie „Unorthodox“ auf: www.netflix.com