Esote­risch und roman­tisch

von Katherina Knees

13. Oktober 2018

Der Pianist Martin Stadtfeld verrät, wie ihn Bach inspirierte und mit welchem Trick man schon als Kind Spaß an komplexen Fugen findet.

Über einem Teller Penne all’ar­ra­biata bei seinem Lieb­lings­ita­liener verrät Pianist Martin Stadt­feld, wie ihn Bach inspi­rierte und mit welchem Trick man schon als Kind Spaß an komplexen Fugen findet.

CRESCENDO: Man sagt: „Essen hält Leib und Seele zusammen.“ Brau­chen Sie außer Ihrer Lieb­lings­pasta täglich auch eine Portion Bach?

: Irgendwie schon. Meine Bezie­hung zu Bachs Musik war schon ganz früh beson­ders innig. Mein Klavier­lehrer Hubertus Weimer und ich haben im Unter­richt auf die Fugen immer ganz simple Texte gedichtet, die mir sie als Kind sofort vertraut und mensch­lich gemacht haben. Zum Beispiel für die Fuge in Cis-Dur: „Jetzt kann ich endlich in Cis-Dur komponier’n, hurra, hurra!“ Es fängt also einer an und freut sich darüber, dass man durch die wohl­tem­pe­rierte Stim­mung nun auch in Cis-Dur kompo­nieren kann, und dann steigt einer nach dem anderen ein und freut sich mit ihm. So hat mir mein Lehrer Bach beigebracht!

Was genau hat den kleinen Martin Stadt­feld an Bachs Klang­welt so in den Bann gezogen?

Als ich Hubertus Weimer zum ersten Mal das C‑Dur-Prälu­dium von Bach vorge­spielt habe, hat er gesagt „Komm, hör mal auf zu spielen, hör einfach mal zu.“ Dann hat er mir das Stück nicht mit gebro­chenen Akkorden vorge­spielt, sondern hat sie immer komplett ange­schlagen. Diese Span­nungen, die da zu hören waren, haben mich sofort total faszi­niert – sie sind für mich der Inbe­griff von Musik. Wenn man über seine Kind­heit nach­denkt, reali­siert man manchmal, dass man die Dinge heut­zu­tage ganz anders sieht als damals. Aber Musik ist für mich nach wie vor ein Span­nungs­feld von Harmo­nien. Einer meiner Lieb­lings­sätze stammt von ­Kier­ke­gaard: „Das Leben wird vorwä gelebt und rück­wärts verstanden.“

„Die Musik ist esote­risch und roman­tisch und faszi­niert mich sehr, ist aber total schwer zu vermit­teln“

Seit ein paar Jahren nehmen Sie vor allem die späten Kompo­si­tionen von Johann Sebas­tian Bach unter die Lupe. Was entde­cken Sie darin?

Durch meine Ausein­an­der­set­zung mit Bachs Spät­werk habe ich noch mal einen ganz neuen Blick auf seine Musik gewonnen, denn seine späten Stücke sind sehr speziell. Die Gold­berg-Varia­tionen sind sozu­sagen der Eintritt in sein Spät­werk. Das ist ein sehr popu­läres Stück und für jeden noch gut nach­voll­ziehbar. Die späteren Werke sind dann eher in der Kontem­pla­tion entstanden. Da war es ihm völlig egal, was man über ihn dachte. In dem Zustand der inneren Einsam­keit in den letzten Lebens­jahren kam Bach in einen Zustand, in dem der Wunsch nach Aner­ken­nung komplett von ihm abge­fallen ist.

In welchen Werken ist das für Sie beson­ders deut­lich zu spüren?

Das Musi­ka­li­sche Opfer ist zum Beispiel bis heute ein ziem­lich unbe­liebtes Werk. Ich habe es kürz­lich mal im Konzert gespielt, und es hat ganz irri­tierte Reak­tionen ausge­löst. Manche Leute haben gesagt: „Das ist doch kein Bach!“ – als hätte ich mit der Musik irgend­etwas ange­stellt. Sie ist sehr komplex, diese Klang­welt, mit den kompli­zier­testen Kanons. Die Musik ist esote­risch und roman­tisch und faszi­niert mich sehr, ist aber total schwer zu vermit­teln. So kam ich auf meine Ideen, für das neue Album eigene Kanons zu schreiben, die ich in Bachs Zyklus einge­flochten habe.

Wie war es, das Projekt, an dem Sie so lange intensiv gefeilt haben, einzu­spielen?

Die zwei Wochen vor Aufnah­me­be­ginn sind schreck­lich. Da schlafe ich total schlecht und träume nur noch davon und mache mir tausend Gedanken, eine furcht­bare Zeit. Aber wenn man dann mit dem bewährten Team zusammen ist und anfängt zu arbeiten, ist alles super. Es ist so wichtig, dass man sich gut kennt und dass man sich wohl­fühlt und loslässt. Früher habe ich immer gedacht, ich muss eine Aufnahme schaffen und dann kann ich danach mit mir zufrieden sein. Mitt­ler­weile habe ich verstanden, dass es darum geht, während­dessen glück­lich und mit sich im Einklang zu sein. Was dann danach mit der Aufnahme passiert und ob sie jemandem gefällt, ist völlig egal.

„Ich habe mich vorher viel mit histo­ri­schen Stim­mungen beschäf­tigt und daraus eine eigene Stim­mung entwi­ckelt“

Sie kompo­nieren nicht nur eigene „Impro­vi­sa­tionen“ und Kadenzen, sondern spielen auch in einer eigenen Stim­mung. Wie klingt die Stadt­feld-Stim­mung?

Ich habe mich vorher viel mit histo­ri­schen Stim­mungen beschäf­tigt und daraus eine eigene Stim­mung entwi­ckelt, die nur drei verän­derte Töne hat. Das macht aber sehr viel aus, weil man dadurch drei reinere Grund­har­mo­nien bekommt – und das hat immer einen doppelten Einfluss: Es gibt eine Harmonie, die durch die Verän­de­rung reiner wird, und eine, die dadurch span­nungs­ge­la­dener und schwe­bender wird. So bringt man viele neue Farben ins Spiel.

Machen Sie das immer selbst, oder lassen Sie stimmen?

Ich treffe die Stimmer immer vor dem Konzert und stimme das Instru­ment mit ihnen gemeinsam, damit sie wissen, warum sie machen sollen, worum ich sie bitte. Das ist oft ein sehr schöner Prozess. Als Pianist schmort man sowieso viel im eigenen Saft und hat wenig mit anderen zu tun. Deshalb empfinde ich es auch als große Berei­che­rung, unter­wegs immer wieder neue Instru­mente kennen­zu­lernen. Durch jedes Instru­ment lerne ich etwas Neues, manchmal nur durch ein paar Töne. Und plötz­lich denke ich: „Diese Stelle habe ich noch nie so wahr­ge­nommen.“

Fotos: SONY Classical/Henning Ross