Der Minnesang

Tandaradei, sang die Nach­ti­gall lieb­lich

von Klaus Kalchschmid

14. Dezember 2021

Der Minnesang entwickelte sich unter dem Einfluss der französischen und provenzalischen Troubadourlyrik, um in den Dichtungen Walther von der Vogelweides seinen Höhepunkt zu erreichen.

Der Sängerkrieg auf der Wartburg
Der Sänger­krieg auf der Wart­burg auf einer Miniatur im Codex Manesse, Univer­si­täts­bi­blio­thek

Ihren großen Auftritt haben berühmte Minne­sänger in Richard Wagners roman­ti­scher Oper Tann­häuser. Dort eifern im zweiten Aufzug, dem Sänger­krieg auf der Wart­burg, beim hitzigen Wett­streit um die Gunst Elisa­beths von (1207 – 1231): Tanhuser, der etwa von 1230 bis 1265 lebte, Wolfram von Eschen­bach (um 116080 – nach 1220), Walther von der Vogel­weide (um 1170 – 1230) und Reinmar von Zweter (um 1200 – 1248) – histo­risch also kaum möglich. Der als Minne­sänger wenig bedeu­tende Wolfram wird zur Haupt­figur neben Tann­häuser. Der ist dank der lange nach seinem Tod aufge­schrie­benen Legende um den skan­da­lösen Aufent­halt im Venus­berg heute welt­be­rühmt, Walther von der Vogel­weide dagegen spielt in der Oper nur eine Neben­rolle.

Wolfram von Eschen­bach auf einer Miniatur im Codex Manesse, Univer­si­täts­bi­blio­thek Heidel­berg

In der Blüte des Minne­sangs von 1150 bis 1300 dagegen ist er der Star, der alle über­strahlt. Sein „Ich saz ûf eime steine“ war das Vorbild für die Darstel­lung des Sängers auf einer berühmten mittel­al­ter­li­chen Miniatur. Er singt jedoch nicht nur die „hohe Minne“, sondern wertet das „wîp“, also das nicht adelige „Weib“ gegen­über der „frowe“, der adeligen Frau bzw. Herrin auf, wie es über­haupt in den viel­fäl­tigen Schat­tie­rungen des Minne­sang oft konkret um sexu­elle Erfül­lung ging und keines­wegs immer nur um die uner­reichbar „hohe Minne“. Ein Minne­sänger zog von Hof zu Hof und pries Schön­heit und Reize der Herrin, also ihre Minne, was keines­wegs schlicht mit „Liebe“ zu über­setzen ist, sondern eine gegen­sei­tige Verpflich­tung und Ehrerbie­tung umfasste, die auf das Verhältnis eines Ritters zu seinem Lehns­herrn zurück­geht und auch die Bezie­hung zu Gott einschließt. Das Ganze war also ein raffi­niertes Spiel, das an jedem Hof und bei jedem Sänger anders aussah. Beson­ders im Süden Frank­reichs gab es sogar Minne­sän­ge­rinnen wie die Trobai­ritz, das weib­liche Pendant zum Trou­ba­dour!

Owald von Wolkenstein
Oswald von Wolken­stein in der Inns­bru­cker Lieder­hand­schrift, Univer­si­täts­bi­blio­thek

Noch bekannter als Walther ist heute nur noch Oswald von Wolken­stein, denn er sorgte selbst mit einer Pracht­hand­schrift für die Über­lie­fe­rung seiner Texte wie auch der Musik dazu. Er wirkte frei­lich erst in der ersten Hälfte des 15. Jahr­hun­dert und hielt bereits Abstand zur höfi­schen Dicht- und Sanges­kunst. So parodierte er etwa die soge­nannten Tage-Lieder Wolf­rams im berühmten Anti-Tage­lied: Nicht der anbre­chende Tag, wenn der Liebende die Geliebte verlassen muss, wird da besungen, sondern der Mann findet sich bei Sonnen­un­ter­gang allein im Bett!

Die Lite­ra­tur­wis­sen­schaft hat sich intensiv mit den zahl­reich in verschie­denen Antho­lo­gien wie zum Beispiel dem berühmten Codex Manesse über­lie­ferten Texten ausein­an­der­ge­setzt, zieht die wenigen tradierten Melo­dien aber kaum in Betracht. Doch die Jenaer Lieder­hand­schrift aus dem frühen 14. Jahr­hun­dert oder das Müns­ter­sche Frag­ment enthalten aller­dings erst 130 Jahre später aufge­zeich­nete und damit viel­leicht schon „umsun­gene“ Melo­dien, die aber immer noch etwa Walther zuzu­ordnen sind. Fündig wurde man auch in der Meis­ter­sin­ger­hand­schrift von Valentin Voigt, die jedoch erst Ende des 16. Jahr­hun­derts entstand.

Neidhart von Reuental
Neid­hart auf einer Miniatur im Codex Manesse, Univer­si­täts­bi­blio­thek Heidel­berg

Immer wieder wurde der Versuch unter­nommen, einzelne „Töne“, also Melo­die­muster, zu rekon­stru­ieren. Denn nicht jedes Gedicht wurde separat vertont, wie wir das seit dem Barock kennen. Viel­mehr dienten einfache Melo­dien für verschie­dene Gedichte mit ähnli­cher Reim-Form, Rhyth­mi­sie­rung und Länge der Zeilen als Modell, das vari­iert wurde. Manche Melo­dien sind unter­schied­lich über­lie­fert, so ist Wolf­rams „vergol­deter Ton“ als „goldener Ton“ Walt­hers in der Inns­bru­cker Lieder­hand­schrift aus dem 14. Jahr­hun­dert aufge­zeichnet. Neid­hart (um 1185 – 1240) fehlt bei Wagner, aber er zählte neben Walther zu den belieb­testen Sängern. Denn auch er setzt der „Hohen Minne“ der Ritter manchmal eine Parodie entgegen, etwa wenn er Dörper, also Dörfler oder Bauern­bur­schen, kläg­lich an der Liebe zur „frowe“ schei­tern lässt.

Heutige Inter­preten müssen also durchaus kreativ sein, wenn sie Minne­sang wirk­lich „singen“ wollen. Auch die übliche instru­men­tale Beglei­tung durch Harfe, Dreh­leier, Fidel, Dudel­sack oder Laute wurde damals impro­vi­siert und muss es heute noch. Jeder Versuch – wie histo­risch frag­würdig er im Einzel­fall sein mag – ist also zu begrüßen, der das groß­artig Geschrie­bene wieder zu Gesun­genem macht. Der zwei­spra­chige Band Unmög­liche Liebe – Die Kunst des Minne­sangs in neuen Über­tra­gungen stellt das mittel­hoch­deut­sche Original wunder­baren Nach­dich­tungen von zeit­ge­nös­si­schen Lyri­kern entgegen. Eine musi­ka­li­sche Deutung, die kreativ mit den Quellen umgeht, ist ein nicht minder begrü­ßens­wertes Vorhaben, Minne­sang in des Wort es eigent­li­cher Bedeu­tung wieder hörbar zu machen.

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Ein Gespräch mit dem Liedsänger Christian Gerhaher finden Sie unter: CRESCENDO.DE

Ein Gespräch mit dem Liedsänger Thomas Hampson finden Sie unter: CRESCENDO.DE

Fotos: Walther von der Vogelweide im Codex Manesse, Universitätsbibliothek Heidelberg