KlassikWoche 18/2019

Mut, Kritik und Aufklä­rung – und ein biss­chen Angst

von Axel Brüggemann

29. April 2019

Heute mit viel Mut! Dem Mut eines Sängers, seinen Regis­seur Unfä­hig­keit vorzu­werfen, dem Mut von Opfern und Jour­na­listen neue sexu­elle Über­griffe in Hamburg und Düssel­dorf aufzu­de­cken. Aber auch mit ein biss­chen Mutlo­sig­keit im Klassik-Fern­­sehen und allem anderen, was diese Woche so passiert ist.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit viel Mut! Dem Mut eines Sängers, seinen Regis­seur Unfä­hig­keit vorzu­werfen, dem Mut von Opfern und Jour­na­listen neue sexu­elle Über­griffe in Hamburg und Düssel­dorf aufzu­de­cken. Aber auch mit ein biss­chen Mutlo­sig­keit im Klassik-Fern­­sehen und allem anderen, was diese Woche so passiert ist.

WAS IST

SÄNGER KRITI­SIEREN REGIS­SEURE

Einer der span­nendsten Artikel dieser Woche stand im Spec­tator. Eine Abrech­nung des kana­di­schen Bass-Bari­­tons Andrew Mahon mit der Insze­nie­rung der Johan­nes­pas­sion von  mit Simon Rattle. Mahon, der an der Auffüh­rung mitge­wirkt hat, erklärt, warum es durchaus möglich sei, die Regie am Ende öffent­lich zu kriti­sieren. Mahon wirft Sellars vor, die Texte weit­ge­hend igno­riert zu haben, unter anderem weil er Maria, der Mutter Jesu, die Arie Ich folge Dir gleich­falls singen lässt – eine Arie, die eigent­lich Petrus singt, um seine Gefolg­schaft zu reflek­tieren. Groß­artig, wenn Sänger auf der einen Seite Teil einer Insze­nie­rung werden und sie im Nach­hinein öffent­lich zur Debatte stellen. Ich erin­nere mich an unsere Live-Über­­­tra­­gung des Bayreu­ther Ringes für SKY, in der Albert Dohmen, der den Albe­rich gesungen hatte. In unserer Pausen-Show redete er die Regie von  in Grund und Boden und forderte den Regis­seur zu einer ebenso vehe­menten Vertei­di­gung seines Schaf­fens heraus. Es ist ein Irrglaube, wenn wir denken, dass alle Betei­ligten an einer Produk­tion immer der glei­chen Meinung sein müssen. Der Oper kann nichts besseres passieren als dass öffent­lich über ihre Deutung und Bedeu­tung gerungen wird – von ALLEN Betei­ligten. Mehr davon, bitte! Das ist erfri­schend und zwingt uns am Ende, selber Posi­tion zu beziehen.

BAYREUTH UND OPUS IM TV

Die Über­tra­gungen der Bayreu­ther Fest­spiele auf SKY wird es in diesem Sommer nicht mehr geben. SKY hat den linearen Sender SKY Arts aufge­geben. So wird der Tann­häuser in der Regie von  außer­halb Bayreuths im BR oder auf einem Part­ner­sender und im Kino zu erleben sein. Die Rechte für den Ring 2020 soll sich eben­falls der Baye­ri­sche Rund­funk gesi­chert haben – nur einer der vier Opern­abende soll auch auf  gesendet werden. Neue­rungen auch beim Fern­seh­format OPUS-Klassik. Nachdem der ECHO-Klassik abge­schafft worden war und das  letztes Jahr dennoch so ziem­lich die gleiche Veran­stal­tung unter anderem Namen, aber mit schlech­terer Quote, über­tragen hat, wird der Preis im Oktober um drei Kate­go­rien erwei­tert: „Inno­va­tives Konzert“, „Video­clip“ und „Komponist/​Komponistin des Jahres“. Die Zahl der Kate­go­rien wird von 22 auf 24 steigen, die Zahl der Preise aber von 53 auf 46 sinken. Es scheint, als hätten Plat­ten­la­bels und Fern­seh­sender noch immer nicht den Mut, das Konzept auf voll­kommen neue Beine zu stellen. Und es mutet schon merk­würdig an, dass Clemens Traut­mann, Chef der Deut­schen Gram­mo­phon, nun den Vorsitz über­nimmt, und es gleich­zeitig heißt: „Die Musik­kri­tiker Deutsch­lands tragen maßgeb­lich zur Auszeich­nung der Künstler für den bei.“ Die Wahr­heit ist: Sowohl der ECHO- als auch der OPUS-Klassik waren über­re­gio­nalen Jour­na­listen in den letzten Jahren weit­ge­hend egal. Mehr noch: In großen Zeitungen wurden die Klüngel-Verga­­be­­me­­thoden und das Sende­kon­zept regel­mäßig kriti­siert. Wenn der Opus, eine Veran­stal­tung der Indus­trie für die Indus­trie, sich nun aus dem Nichts die freie Kritik auf die Fahnen schreibt, macht sich der Preis bei wirk­lich unab­hän­gigen Musik­kri­ti­kern sicher­lich nicht beliebter. Kaum zu erwarten, dass die kriselnde Phono­in­dus­trie endlich ein Format in den Raum stellt, das inno­vativ ist und von der Span­nung und dem Streit über das, was Kunst ist und sein soll, lebt.

VORWÜRFE GEGEN HOCH­SCHULEN IN UND DÜSSEL­DORF

Gut, mutig und wichtig, dass der Spiegel in seiner aktu­ellen Print-Ausgabe die Recherche über die Zustände an der Münchner Musik­hoch­schule fort­setzt. Die Jour­na­listen Matthias Bartsch, Martin Knobbe und Jan-Philipp Möller haben mit zwei Opfern sexu­eller Gewalt an den Musik­hoch­schulen in Hamburg und Düssel­dorf gespro­chen und zeichnen ein Bild, in dem klar wird, dass sexu­elle Über­griffe an deut­schen Musik­hoch­schulen syste­misch sind. Kurz vor der Veröf­fent­li­chung habe ich mit Jan-Philipp Möller tele­fo­niert. Wir beide waren erstaunt darüber, wie schnell Vorwürfe von sexu­ellem Macht­miss­brauch, aber auch von tyran­ni­schem Diri­­genten-Verhalten, am Ende von den ange­grif­fenen Profes­soren und Musi­kern einfach ausge­sessen werden. Dennoch glaubt Möller, dass gerade in der Studen­ten­schaft ein neues Bewusst­sein einge­setzt hat und dass die #MeToo-Debatte in der Klassik viele Opfer ermu­tigt, über ihre eigenen Erfah­rungen zu spre­chen. Sowohl Möller als auch ich sind erstaunt, wie viele Opfer sich inzwi­schen bei uns Jour­na­listen melden – mit ihren ganz persön­li­chen Geschichten. Es bedarf der Beharr­lich­keit, die Vorwürfe jour­na­lis­tisch zu prüfen und zu veröf­fent­li­chen, gerade, wenn ein Teil der Klassik-Szene am liebsten wegschauen würde. Am Ende muss jede einzelne Geschichte erzählt werden.

GATTI MACHT WEITER UND STAATS­BAL­LETT SIEHT KEINE FEHLER

Es war eine merk­wür­dige Pres­se­mit­tei­lung, die das Concert­ge­bouw Orchestra Anfang der Woche heraus­ge­geben hat. Das Orchester habe die Strei­tig­keiten mit seinem wegen sexu­eller Über­griffe gefeu­erten Chef, Daniele Gatti, beendet, hieß es. Man dankte Gatti für die tollen Jahre und wünschte ihm viel Glück. Mann wolle nicht länger zurück, sondern in die Zukunft schauen. Schon vor einigen Wochen haben wir hier von Gattis neuen Enga­ge­ments berichtet: die Staats­ka­pelle  und der Baye­ri­sche Rund­funk arbeiten weiter mit ihm zusammen. Und auch Manuel Brug wundert sich in einem lesens­werten Text nun über die aktu­elle Wendung. Nicht gerade leicht macht es der Wiener Ballett­di­rektor  dem Inten­danten der Staats­oper Domi­nique Meyer, der im Falle sexu­eller Über­griffe und brutaler Erzie­hungs­me­thoden an der Ballett­aka­demie der Staats­oper scho­nungs­lose Aufklä­rung verspro­chen und gelie­fert hat. Legis konter­ka­riert all das nun mit der Aussage, dass der Unter­richt „absolut korrekt, die Lehre­rinnen und Lehrer pflicht­be­wusst und die Erfolgs­quote beein­dru­ckend“ seien. In seinen Äuße­rungen zeigt Legris unbe­wusst das Muster eines typi­schen Kreis­laufes: Er selber habe seine Ausbil­dungen unter „harten Bedin­gungen“ absol­viert – und es sei eben so, dass „strenge Diszi­plin“ auch weiterhin nötig sei. Zu retten ist das Ballett wahr­schein­lich nicht aus seinen eigenen Struk­turen heraus, sondern nur von außen. Das ist übri­gens auch eine Lehre des Spiegel-Arti­kels: Während die Insti­tu­tionen Beschwerden der Opfer oft herun­ter­ge­spielt haben, wurde die Politik inzwi­schen hell­hörig und hat gehan­delt. Ein gutes Zeichen.

WAS WAR

ZOFF ÜBER THEA­TER­PREIS FÜR

Die  bekommt einen der 11 Thea­ter­preise des Bundes, der mit 75.000 Euro dotiert ist. Ein Zeichen auch für den geschassten Opern­chef Florian Lutz (wir haben immer wieder berichtet). Am Schwarzen Brett des Hauses hängt inzwi­schen ein Gratu­la­ti­ons­schreiben von Minister Rainer Robra (CDU), in dem er Lutz persön­lich dankt. Auch Bürger­meister Bernd Wiegand, die Grüne Inés Brock und Hans-Dieter Wöllen­weber von der FDP hatten sich in der Vergan­gen­heit für Lutz ausge­spro­chen. Dessen Kritiker, Detlef Wend von der SPD, Ulrike Wünscher von der CDU und Rudenz Schramm von der Linken haben sich am Ende aber durch­ge­setzt.

FACE­BOOK VERBIETET KLASSIK-COVER

Ein Cover des norwe­gi­schen Labels Lawo für das  Barokk wurde auf Face­book gesperrt, berichtet Norman Lebrecht: Zu sehen war ein Bild des hollän­di­schen Meis­ters Jan Davidsz de Heem, das – nun ja – irgend­welche Früchte zeigt. Durch die Face­­book-Brille soll es sich um weib­liche Geschlechts­teile gehan­delt haben. Bilden Sie sich am besten Ihr eigenes Urteil: Hier. Erst vor Kurzem hatte Face­book ein Bild der Baye­ri­schen Staats­oper zensiert, das nackte Brüste zeigte.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Verena Laffer­entz, die letzte Enkelin Richard Wagners, ist im Alter von 98 Jahren gestorben. Die Tochter von Sieg­fried Wagner und dessen Frau Winifred, die Schwester der Fest­spiel­leiter Wolf­gang und Wieland Wagner, war mit dem Nazi Bodo Laffer­entz verhei­ratet und hat sich schon früh aus dem Wagner-Rummel zurück­ge­zogen. Erst spät in ihrem Leben war sie gern gese­hener Gast bei inter­na­tio­nalen Wagner-Verbänden. +++ Im Nach­lass des Autors Anthony Burgess wurde die Fort­set­zung von A Clock­work Orange gefunden, der Roman-Vorlage zu Stanley Kubriks Film über jugend­liche Gewalt und Beet­hoven – es handelt sich wohl weit­ge­hend um essay­is­ti­sche Abhand­lungen. Für das Beet­hoven-Jahr 2020 allemal span­nend. +++ Dazu passt, dass der Pianist Rudolf Buch­binder, neuer­dings Exklusiv-Künstler der Deut­schen Gram­mo­phon, sein Beet­hoven-Projekt für 2020 ange­kün­digt hat: 11 Gegen­­­warts-Kompo­­nisten werden neue Diabelli-Varia­­tionen für ihn vertonen, darunter Krzy­sztof Pender­eckiBrett DeanLera Auer­bach, und  . +++ Mit Gerhardt Müller-Gold­­boom diri­giert am 30. April zum ersten Mal ein Deut­scher das Gedenk­kon­zert des Jeru­sa­lemer Sympho­nie­or­ches­ters zum Holo­caust in der Gedenk­stätte Yad Vashem.

JUBEL FÜR GLANERT-OPER

Der Baye­ri­sche Rund­funk beju­belt die Urauf­füh­rung von Detelv Glanerts Fontane-Oper Oceane gestern Abend an der Deut­schen Oper in : „Der Applaus des Publi­kums war für eine Urauf­füh­rung fast schon frene­tisch, denn Glanert versteht sich auf die Verto­nung von mari­timen Themen: Das Wasser ist sozu­sagen sein Element, und hier spielt er die Stärke voll aus. Mäch­tige Chor-Sätze, ganz groß besetztes Orchester, sogar eine Wind­ma­schine hat viel zu tun.

WAS LOHNT

Das Beet­hoven Orchester  ist gerade in der kolum­bia­ni­schen Stadt Medellin zu Gast. Dort arbeiten Musiker und Diri­gent  (ja er ist ein Freund und kommt in letzter Zeit viel zu oft vor!) gemeinsam mit Kindern, die einst Kinder­sol­daten waren zusammen. Im Vorder­grund: Die Beschäf­ti­gung mit der Musik Beet­ho­vens. Erschro­cken, beglückt, irri­tiert, aufge­wühlt hat Kaftan mir ein Bild geschickt, das die Kinder gemalt haben. Zu sehen: Beet­hoven nach dem Aufstehen, mit einer „Blut­wurst“, die Noten spritzt … Archa­isch. Anders. Verstö­rend. Musik als Mittel des unmit­tel­baren Ausdrucks. 

Wenn Sie am 8.Mai noch nichts vorhaben und zufällig in  sind: Die CRESCENDO-Lounge findet dieses Mal beim Konzert „Volks­lied Reloaded“ statt.  und Quadro Nuevo hauchen der Kunst­form neues, multi­kul­tu­relles Leben ein. Gemeinsam mit dem Münchner Rund­funk­or­chester nehmen die fünf Virtuosen die alten Weisen als Start­rampe für krea­tive Höhen­flüge und waghal­sige Impro­vi­sa­tionen. Mit dem CRESCENDO-Ticket gibt es eine Back­s­tage-Führung, anschlie­ßend ist im Garten­saal Zeit für den Austausch. 

Ach so, ein Nach­trag noch: Nachdem ich im letzten News­letter geschrieben hatte, dass die Jungs von der Elbphil­har­monie nicht noch einmal den Fehler gemacht hätten, Kritiker wie Jonas Kauf­mann zu kriti­sieren, legten sie nun doch nach: „Wenn zwei mächtig gewal­tige Egos beim Sake in  aufein­an­der­stoßen und es tönt hohl, dann kann daran nicht auch noch die Elbphil­har­monie schuld sein“, polterte Elbphil­har­­monie-Spre­cher Tom R. Schulz nach der Kritik an der Akustik des Hauses, die  gegen­über Manuel Brug geäu­ßert hatte. Keine Ahnung, was die da an der Elbe für Sachen einwerfen. Uns erreichte indes die Nach­richt, dass von Seiten der Elbphil­har­monie nie Einfluss auf Kritiker wie Muti genommen wurde. 

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif.

Ihr 

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de 

Fotos: Wiki Commons