"Parsifal", Bayreuther Festspiele 2023

News | 25.07.2023

„Parsifal“ in Bayreuth: Eins zu Null für die Realität

von Redaktion Nachrichten

25. Juli 2023

Jay Scheibs Neuinszenierung des Parsifal bei den Bayreuther Festspielen erhält Ovationen und Buhs. Die AR-Brilleneinsätze sind wenig überzeugend. Das Sängerensemble zeigt starke Leistungen. Die Inszenierung bietet keine neue Dimension.

Zum Promi­auf­lauf Gewit­ter­sturm mit Monsun­güssen, im Vorfeld viele Diskus­sionen über die Fest­spiel­zu­kunft nach Corona und dann eine glän­zende Vorstel­lung: Jay Scheibs Neuin­sze­nie­rung des Parsifal zum Auftakt der Bayreu­ther Fest­spiele hono­rierte das Premie­ren­pu­blikum am Dienstag mit Ovationen und Buhs für das Regie­team. Nur teil­weise gerecht­fer­tigt, denn der Thea­ter­kunst-Professor vom Massa­chu­setts Insi­tute of Tech­no­logy liefert eine nicht spek­ta­ku­läre, aber hand­werk­lich solide Arbeit ab, die meis­tens kurz­weilig ist.

"Parsifal"

„Parsifal“

Schlag­zeilen machten vor der Première die (aller­dings nur) 330 Augmented-Reality-Brillen – unver­ständ­lich, wieso der Einsatz dieser Technik 2023 zu Diskus­sionen führt. Bei der Première werden Chancen und an diesem Abend vor allem Grenzen der Technik deut­lich. Nur in wenigen Augen­bli­cken wird die Realität im Sinn des Werks „erwei­tert“, meis­tens sind Tempo und Bild­sprache des Virtu­ellen nicht stimmig zu Tempo und Bild­sprache der Bühne. Bluts­tropfen durch den nicht realen Raum schweben zu lassen, wãhrend Amfortas seine Wunde beklagt, groß­ar­tige weiße Lili­en­st­ängel und über­di­men­sio­nale Insekten, die bei den Worten „Durch Mitleid wissend“ auf den Zuhörer zubrausen: Der Erkennt­nis­ge­winn ist marginal, der Unter­hal­tungs­ef­fekt auch – und die neue Dimen­sion als ironi­sche Ebene einzu­ziehen, dazu fehlt in der Produk­tion die Konse­quenz. So toppt die echte Bühne ganz klar das Virtu­elle. Eins zu Null für die Realität.

Pablo Heras-Casado nutzt bei seinem Pult-Debüt auf dem Grünen Hügel die akus­ti­schen Verhält­nisse noch nicht optimal. Das Fest­spiel­or­chester spielt gediegen, teil­weise wirkt der Klang aber flach, und viele Tempi laufen ohne Groove. Glit­zernde Klänge und die drah­tige Trans­pa­renz, die die besten Wagner­di­ri­genten liefern, bleibt er bei der Première schuldig. Ärger­li­cher­weise versinken auch Schlüs­sel­szenen musi­ka­lisch in gedehnter Seich­tig­keit.

Das umbe­setzte Sänger­ensemble funk­tio­niert auf hohem Niveau. Andreas Schager, einge­sprungen für Joseph Calleja, ist eine Ideal­be­set­zung, in der Titel­partie erfahren, von großer und fein­sin­niger Gestal­tungs­kraft. Derek Walton nimmt man den Amfortas musi­ka­lisch, aber nicht darstel­le­risch ab. Georg Zeppe­n­feld, Bayreu­ther Urge­stein, ist fast für Gurn­emanz abon­niert und eine souve­räne Größe. Elīna Garančas Debüt bei den Bayreu­ther Fest­spielen wurde inter­es­siert erwartet, die Kundry zeichnet sie diffe­ren­ziert und stimm­lich mit großer Präsenz. Klingsors Zauber­garten-Szene geriet mit Andreas Schager zu den inspi­rie­rendsten des Abends. Tobias Kehrer als Titurel und Jordan Shanahan als Klingsor über­zeugen. Fazit: Der neue Parsifal in Bayreuth lohnt den Besuch auf jeden Fall, aber eine völlig neue Dimen­sion trans­por­tiert die Insze­nie­rung trotz AR-Bril­len­ein­satz nicht.

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Fotos: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath