Iveta Apkalna

Orgelrevolution­

von Verena Fischer-Zernin

13. Oktober 2018

Iveta Apkalna war die erste Orgelstudentin in Lettland nach dem Zerfall der Sowjetunion. Heute bringt sie regelmäßig das Instrument in der Hamburger ­Elbphilharmonie zum Erbeben.

Iveta Apkalna war die erste Orgel­stu­dentin in Lett­land nach dem Zerfall der streng athe­is­ti­schen Sowjet­union. Heute bringt sie regel­mäßig das Instru­ment in der Hamburger ­Elbphil­har­monie zum Erbeben.

CRESCENDO: Perfekte Frisur, Etui­kleid, Designerhand­tasche … Wenn ich Sie ansehe, verstehe ich, dass sogar die Mode­zeit­schrift Vogue über Sie geschrieben hat. Über eine Orga­nistin! Für Puristen muss das an ein Sakrileg gegrenzt haben.

: Aber dem Instru­ment hat es genützt! Seit einigen Jahren erlebt die Orgel eine rich­tige Revo­lu­tion. Früher sagten die großen Festi­vals regel­mäßig, Orgel­kon­zerte sind nicht rentabel. Inzwi­schen nehmen sie sie ins Programm. Und ich hoffe, dass ich dazu beigetragen habe.

Wie kam das?

Ich habe immer an einen bestimmten Stil geglaubt und für ihn gekämpft. Meine Programme wurden oft zensiert. Poulencs Orgel­kon­zert und Saint-Saëns« Orgel­sin­fonie, das kennen die Leute. Ich liebe beide Werke sehr, aber es gibt so viel mehr fantas­ti­sche Orgel­musik.

Cross­over? Block­buster-Film­musik?

Das wäre nicht ich. Nur wenn ich mir treu bleibe, kann ich auch das Publikum errei­chen. Die Authen­ti­zität ist entschei­dend.

Die Authen­ti­zität liegt in der Programm­wahl?

Genau. Man muss nicht alles von der Renais­sance bis in die Gegen­wart spielen. Bei Signier­stunden rede ich mit den Leuten und frage sie, was ihnen gefallen hat und was nicht. Das bestärkt mich in meiner Erkenntnis: Es geht darum, das eigene Reper­toire zu finden. Ein Recital soll eine Geschichte erzählen. Danach suche ich bei jedem Konzert, auch als Hörerin, und natür­lich auch bei meinen CD-Einspie­lungen.

„Es geht darum, das eigene Reper­toire zu finden. Ein Recital soll eine Geschichte erzählen“

Im September erscheint Ihr Album „Light and Dark“, die erste Orgel-Solo­auf­nahme aus der Elbphil­har­monie. Sie haben dafür fast nur Werke zeit­ge­nös­si­scher oder wenig bekannter Kompo­nisten gewählt, ähnlich wie bei Ihrem Debüt als Titu­lar­or­ga­nistin des Hauses. Nun ist es ja eine Sache, so ein Programm live zu erleben, aber eine ganz andere, es zu Hause aufzu­legen.

Da ist mir nicht bange. Ich denke an dieje­nigen, die die Orgel hören wollen und noch nicht in der waren. Außerdem ist das Publikum viel klüger und weniger konser­vativ, als manche Veran­stalter meinen. Gerade ältere Leute sagen mir oft, dass ihnen das Zeit­ge­nös­si­sche am besten gefallen hat.

Ohne Sendungs­be­wusst­sein geht es wohl nicht. Wie kamen Sie über­haupt dazu, Orgel zu spielen?

Das kann man nicht planen. Es liegt mir im Blut. Meine Mutter ist Pianistin, mein Groß­vater und Urgroß­vater waren Musik­lehrer und Orga­nisten. Aber das wusste ich als Kind nicht. Man hat es mir nicht erzählt, damit ich es nicht ausplau­dere. Orgel hatte ja mit Kirche zu tun, und war ein sowje­ti­sches Land, Athe­ismus war vom Staat verordnet. Wer zum Gottes­dienst ging, machte sich verdächtig.

Dann konnten Sie vor der Wende nicht Orgel lernen?

Nein, aber gleich danach. Die Musik­schule in meiner Heimat­stadt Rezekne hat die erste Orgel­klasse in Lett­land einge­richtet. Ich war die erste Orgel­stu­dentin.

„Orgel hatte ja mit Kirche zu tun, und Lett­land war ein sowje­ti­sches Land, Athe­ismus war vom Staat verordnet“

Sie hätten doch auch einfach mit Klavier weiter­ma­chen können.

Mir hat beim Klavier das Körper­liche gefehlt. Als Kind wollte ich Tänzerin werden. Oder Eiskunst­läu­ferin. Das habe ich immer geliebt, ich habe manchmal die Schule geschwänzt, um zum Schlitt­schuh­laufen zu gehen. Ich machte immerzu Luft­sprünge und Drehungen!

Sie haben als 16-Jährige bei dem Gottes­dienst gespielt, den Papst Johannes Paul II. in Lett­land besuchte. Seither waren Sie immer wieder Pionierin: 2005 haben Sie als erste Orga­nistin den ECHO Klassik als „Instru­men­ta­listin des Jahres“ gewonnen. Und nun sind Sie Titu­lar­or­ga­nistin der Elbphil­har­monie. Das klingt fast wie Bundes­prä­si­dentin. Wie geht es Ihnen mit dem Amt?

Es ist immer noch ein Hoch­ge­fühl, als wären wir noch in der Eröff­nungs­phase. Diese Fest­lich­keit ergreift mich jedes Mal, wenn ich herkomme.

Wie läuft das prak­tisch, haben Sie einen Schlüssel für die Elbphil­har­monie?

Über­haupt nicht! Es ist nicht einfach, da das Haus sehr stark ausge­lastet ist. Meine Übezeiten bekomme ich zuge­teilt. Für mein Konzert im November kann ich am 22. August von 23 bis 3 Uhr morgens üben.

Nehmen Sie jemanden mit, der den Klang abhört?

Das mache ich immer allein. Das ist Erfah­rungs­sache, da muss man auch mal schei­tern. Es hat viel mit Klang­vor­stel­lung zu tun. Man hört sich selbst ja viel weniger als ein Strei­cher oder Bläser. In der Elbphil­har­monie ist die Orgel sehr hoch. Ich sitze ganz unten und weiß nicht genau, wie es in Etage 15 klingt.

„2,3 Sekunden Nach­hall­zeit, das ist perfekt. Die Musik verschwimmt nicht.“

Was halten Sie von der viel disku­tierten Akustik?

Ich finde es gut, dass der Saal wenig Nach­hall hat. 2,3 Sekunden Nach­hall­zeit, das ist perfekt. Die Musik verschwimmt nicht. Man muss halt sehr gut vorbe­reitet sein.

Für so einen riesigen Saal braucht es ein großes Klang­vo­lumen. Wird der Klang mit zuneh­mender Laut­stärke nicht leicht hart?

Selt­sa­mer­weise nicht. Dieses Instru­ment entwi­ckelt eine Wärme, die man im ganzen Körper spürt.

Ist Ihnen die Orgel der Elbphil­har­monie stilis­tisch variabel genug?

Sie kann einfach alles. Man fühlt sich wie ein Kind im Bonbon­laden! Manche Orga­nisten nehmen dann von allem, um den ganzen Reichtum in einer halben Stunde zu zeigen. Da wird dem Publikum irgend­wann schlecht. Alle Register ziehen, das mache ich nie!

Fotos: Peter Hundert