Sabine Devieilhe

Alles, nur keine Diva!

von Jens Laurson

21. November 2017

Die Sopranistin Sabine Devieilhe ist eine der bemerkenswertesten Sängerinnen, die in den letzten Jahren auf die großen Bühnen der Welt katapultiert wurden.

CRESCENDO: Sie haben als Cellistin mit der Musik ange­fangen, hat das Ihr singen beein­flusst?

: Das Cello­spiel hat mir mitge­geben, wie man ein bestimmtes Gewicht fühlen muss, um einen schönen Klang zu produ­zieren – selbst bei einer leichten Stimme wie meiner. Auf dem Cello braucht man schließ­lich auch für die leich­teste Melodie in den höchsten Regis­tern ein bestimmtes Minimum von Bogen­druck auf der Seite. Und genau dieses Gewicht ist so wichtig für die Unter­stüt­zung einer sehr leichten Stimme. Bis heute denke ich beim Singen an meinen rechten Arm, den Bogen, und dieses Gefühl von Stütze, die der Arm und der ganze Körper beim Cello­spiel brau­chen. Leider war ich nie so gut auf dem Cello, wie ich es hätte sein wollen. Der Bogen wurde nie ganz zur natür­li­chen Erwei­te­rung meines Arms, deshalb bin ich auch keine Cellistin mehr. Erst mit dem Singen konnte ich genau das musi­ka­lisch errei­chen, was ich mir vorstelle – viel Arbeit und eine gute Technik voraus­ge­setzt. Und ein genaues Sich-Zuhören.

Sie sind in der Alten Musik glei­cher­maßen zu Hause wie in der Oper des 20. Jahr­hun­derts. Macht der Blick­winkel aus dem Barock einen Unter­schied in der musi­ka­li­schen Heran­ge­hens­weise?

Ja. Ich glaube, wir können nicht Mozart entde­cken, ohne Bach zu kennen. Genauso können wir nicht Debussy verstehen, ohne Rameau erfasst zu haben. Aber histo­risch infor­mierte Auffüh­rungs­praxis hin oder her, das Wich­tigste ist es, den beab­sich­tigten musi­ka­li­schen Effekt zu verstehen. Wie sollen zum Beispiel die ersten, vom Fagott gespielten Noten von Stra­win­skys Le Sacre du Prin­temps klingen? Auf einem modernen Instru­ment geht das heute einfach. Es soll aber furchtbar oder zumin­dest bitter und seltsam klingen. Es wurde absicht­lich für die damals höchsten vom Fagott spiel­baren Töne geschrieben. Deshalb liebe ich es, mich in die Parti­turen richtig einzu­graben. Denn auch als Sängerin geht es nicht um dieses Klischee von der Diva, die einmal auf die Bühne rauscht, ihr Bestes gibt und mit flie­genden Fahnen wieder abschwirrt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin ein großer Fan von Divas, schönem Klang als Selbst­zweck, hoher Gesangs­kunst und Star­ruhm. Aber das bin nicht ich! Ich versuche alles, um zu verstehen, welchen Effekt der Kompo­nist gewollt hat – und diesen dann auf der Bühne umzu­setzen.

Auf Ihrem aktu­ellen Album „Mirages“ wenden Sie sich der fran­zö­si­schen Musik zu. Gibt es natio­nale Unter­schiede in der Musik und speziell im Gesang?

Für mich lag es nach zwei Alben mit Rameau und Mozart jetzt wieder nahe, fran­zö­si­sche Musik aufzu­nehmen. Nicht nur weil ich Fran­zösin bin, sondern weil ich glaube, dass ich eine sehr fran­zö­si­sche Stimme habe. Ich finde mich ein wenig in den alten fran­zö­si­schen Sängern wieder – beson­ders denen, die in der Kolo­ra­tur­tra­di­tion stehen. Mado Robin zum Beispiel oder Lily Pons. Ich habe diesen Stimmen seit meinen frühesten Anfängen als Sängerin gelauscht. Und nachdem ich dieses Reper­toire singen kann, war die Wahl klar.

„Wenn ich auf Fran­zö­sisch singen kann, ist es, als dürfte ich demons­trieren, wie man in der fran­zö­si­schen Tradi­tion die Stimme in den Körper“

Was genau macht denn eine typisch fran­zö­si­sche Sopran­stimme aus?

Ich glaube, das hat etwas mit der Leich­tig­keit der Stimme zu tun, aber auch damit, wie wir die Vokale formen. Gerade singe ich Bach in Wien mit haupt­säch­lich deut­schen Kollegen, da habe ich den direkten Vergleich. Ihnen fällt es natür­lich prin­zi­piell leicht, Deutsch auszu­spre­chen, aber sie setzen die Vokale im Mund, ihrem Instru­ment, ganz anders an. Ein fran­zö­si­scher Sänger würde das nie so machen. Deswegen finde ich es so wunderbar, überall in der Welt in unserer Sprache zu singen. Wenn ich auf Fran­zö­sisch singen kann, ist es, als dürfte ich demons­trieren, wie man in der fran­zö­si­schen Tradi­tion die Stimme in den Körper legt und an den Text schmiegt. Die Vokale müssen ganz klar sein und die Stimme über den ganzen Tonraum ihre Leich­tig­keit bewahren.

Zwangs­läufig denke ich da an Debussys Pelléas et Méli­sande, wo der Text die Melodie gera­dezu diktiert…

Richtig. Aber das fängt schon bei Rameau an, bei dem der Text die Farbe der Musik bestimmt. Über­haupt glaube ich, dass fran­zö­si­sche Kompo­nisten wie Debussy, aber eben auch , durch das Orchester etwas über die Farben der Vokale und des Textes aussagen können. Mögli­cher­weise bin ich deshalb so in fran­zö­si­sche Musik verliebt. Im Deut­schen kommt dem viel­leicht am nächsten: Wie Berlioz weiß er, wie man durch geschickte Orches­trie­rung die Bedeu­tung des Textes hervor­heben kann.

Ein Kompo­nist, der außer­halb Frank­reichs leider kaum bekannt ist und noch seltener gespielt wird, ist . Ihn haben Sie auch mit auf Ihr neues Album genommen…

Koechlin ist ein wunder­barer Kompo­nist. Er schreibt sehr atmo­sphä­ri­sche, sinn­liche Musik. Stim­mungs­musik, die nicht so sehr beschreibt, sondern nur ein Bild sugge­riert. Wie sich Messiaen zu Jackson Pollock verhält, wo Musik explo­diert und zu Farbe wird, verhält sich Koechlin viel­leicht zu Mark Rothko: große Flächen von ein, zwei Farben, in die man sich fallen lassen muss. Wenn Koechlin kompo­niert, steckt er bis zu den Ellbogen in Farbe.

Ist es schwierig, als frisch­ge­ba­ckene Mutter auf Tour zu sein?

Reisen mit einem kleinen Kind ist nicht wirk­lich einfach. Ich bin deshalb gar nicht mehr oft auf Tour. Seit der Geburt meines Sohnes letztes Jahr habe ich mich haupt­säch­lich auf Oper konzen­triert. Das sind dann immer etwa sechs, sieben Wochen an einem Ort. Da kann ich mir ein Apart­ment mieten und mit meinem Jungen zusammen sein. Ich gehe so in meiner neuge­fun­denen Mutter­rolle auf, dass ich gar nicht daran denken könnte, auf Konzert­tour­neen zu gehen, wo er dann zu Hause bei der Nanny bleiben müsste. Mit Oper hingegen lässt sich das gut arran­gieren, zumin­des­tens die nächsten drei Jahre – dann kommt die Schule.

Fotos: Marc Ribes