The Silk Road Ensemble performs at Weill Hall at Sonoma State University in Rohnert Park, California, August 19, 2016.

Crossover-Visionen oder Pseudofolklore?

Im Super­markt der Tradi­tionen

von Teresa Pieschacón Raphael

29. November 2018

Weltmusik: Multikulturelle Klangvisionen oder durchkommerzialisierte, zusammengepanschte Pseudofolklore?

„Ich hasse Welt­musik.“ So brachte es David Byrne in der Times 1999 auf dem Punkt. Enttäuscht war der Musiker, den man wegen seiner Ethno-Projekte und seines Labels Luaka Bop „Mister Welt­musik“ nannte, nicht von seinen Künst­lern, sondern vom Genre selbst, das ihm wie eine Mogel­pa­ckung erschien. Ein Cross­over der Tradi­tionen, ein musi­ka­li­scher Aller­welts­brei ohne Gesicht, der aller­dings einen Nerv traf: die Sehn­sucht nach Exotismus, Spiri­tua­lität und para­die­si­scher Unbe­rührt­heit. „Man glaubte, in der Welt­musik eine Welt zu entde­cken, die viel bunter, krea­tiver und kultur­ver­bun­dener ist als die unsrige west­liche, kapi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaft“, sagte Jay Rutledge vom Label Outhere Records. Und saß der ersten Selbst­täu­schung auf. Denn mit diesem „biss­chen Urlaub“ lassen sich beste Geschäfte machen. Kapi­ta­lismus pur.

Buena Vista Social Club
Von Ry Cooder und wieder­ent­deckt: Ibrahim Ferrer und Omara Portuondo Peláez vom Buena Vista Social Club

Alles begann in den 1980ern: Paul Simon produ­zierte in Südafrika mit lokalen Musi­kern sein Pop-Ethno-Fusion Album „Grace­land“, und Peter Gabriel nahm den sene­ga­le­si­schen Sänger Youssou N’Dour mit auf Tour. Exoti­sche Klänge kamen da zusammen, die, einge­bettet in moderner Ambient-Elek­tronik oder aufge­motzt mit Club-Beats, herun­ter­ge­dimmt wurden auf den west­li­chen Geschmack. Und mit Kitsch-Polit-Botschaften wie der der „völker­ver­bin­denden Kraft der Musik“ vermarktet wurden. Hier­zu­lande wollte man daran glauben, und es machte auch nichts aus, wenn man die gesun­gene Sprache nicht verstand. Anders als in , wo sich der kuba­ni­sche Buena Vista Social Club – übri­gens eine der besten Produk­tionen des Genres – nicht gut verkaufte. Eupho­ri­siert von dem Gefühl, in entfernte Kultur­kreise schweifen zu dürfen, über­hörte man die oft geringe künst­le­ri­sche Substanz. Jede Kritik an dieser Pseu­do­folk­lore wäre in ohnehin reflex­haft als „frem­den­feind­lich“ zurück­ge­wiesen worden, da man mit der eigenen Iden­tität haderte und sich noch nicht von der Bürde der xeno­phoben NS-Diktatur befreit hatte – inklu­sive schlechten Gewis­sens. Die Stam­mes­ge­sänge der Sioux oder kreo­li­sche Klänge haben mehr gesell­schaft­liche Akzep­tanz als die Bläser-Marsch­rhythmen einer Dort­munder Berg­manns­ka­pelle, die Opa so liebte. Über die Qualität der Musik sagt dies nichts aus.

Silk Road Ensemble
Das Silk Road Ensemble mit

2000 grün­dete Yo-Yo Ma das Silk Road Project mit Musi­kern aus Asien, Afrika und Europa. „Tradi­tionen aus aller Welt“ wolle er vereinen, „auf der Suche nach einer Sprache, wie sie der globalen Gesell­schaft unseres 21. Jahr­hun­derts entspricht“. Vage Sätze, wie sie viel­fach über Projekten dieser Art stehen. Wie bei den Reli­gionen geht es auch hier wie im Super­markt zu. Man bediene sich aus jedem Regal und mixe sich ein Menü aus dem „Musik­mu­seum der Erde“ (). „Was ihr da mit unserer Musik macht, das ist nicht rein, das ist nicht echt. Kultu­reller Tourismus ist das!“ warf man Yo-Yo Ma vor. Zu Recht.

Ja, die Musik­ge­schichte ist voller multi­kul­tu­reller Expe­ri­mente: Mozart mochte türki­sche Jani­tscha­ren­musik, Debussy Gamelan-Klänge, Szyma­nowski persi­sche Mystiker. kompo­nierte im italie­ni­schen, engli­schen und fran­zö­si­schen Stil. Doch es ging ihnen nicht um Befind­lich­keiten oder Frie­dens­bot­schaften, sondern um Klang­vi­sionen, einge­bunden in strenge kompo­si­to­ri­sche Struk­turen.

Inter­es­sant, wenn in Deutsch­land die Saz, die türki­sche Lang­hals­laute, zum „Instru­ment des Jahres“ wird und Kinder das Spiel der afri­ka­ni­schen Djembé-Trommel erlernen. In meiner kolum­bia­ni­schen Heimat rasselten wir aller­dings nicht mit den Maracas, sondern sangen die Zigeu­ner­lieder op. 103 von Brahms, die dieser wohl heute umbe­nennen müsste. Doch das soll hier nicht das Thema sein.

Und was soll’s? Schließ­lich profi­tierten alle von der Welt­musik. Die Labels mit ihren Künst­lern, die in ihrer Heimat – sei es in Mali, Maze­do­nien oder auf den Kapverden – niemals so viele CDs verkauft hätten. Während ihre Fans, die „wurzel­losen Kosmo­po­liten der Mittel­klasse in der überentwickelten Welt“, wie Joe Boyd von Hannibal Records es analy­sierte, ein Refu­gium in ihrer Musik suchten, fanden viele Welt­mu­siker ausge­rechnet in Deutsch­land ihre Heimat. Sie werden wissen, warum.

Fotos: Wim Wenders Stiftung, Max Whittaker