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"Eine Branche kracht zusammen"

Freiberufliche Künstler und ihre Agenten sind im Überlebenskampf.

"Die Lage ist absolut dramatisch für meine Branche", sagt Laurent Delage. Der gebürtige Pariser ist einer von rund 30 in der Klassikbranche tätigen Künstlervermittlern in Österreich. Für ihn und seine Assistentin ist die Arbeit weniger geworden, und sie hat sich gewandelt: Zu vermitteln gibt es kaum mehr etwas, dafür wird um Ausfallshonorare gestritten.

"Den ersten Lockdown haben wir überwunden, im September hat wieder ein guter Wind geweht", berichtet Delage, der etwa Les Musiciens du Louvre oder die Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis in Österreich vertritt. Es habe wieder Engagements und Auftritte gegeben. "Nun ist aber wieder alles unberechenbar. Es regiert das Chaos." Für seine Kollegen und die von ihnen vertretenen Künstlerinnen und Künstler gelte: "Wir kämpfen ums Überleben." Er rechne für 2020 mit einem Umsatzausfall von 50 Prozent. "Dabei bin ich nicht am schlimmsten betroffen, ich hatte das Glück, dass ich viele Künstlerverträge in Frankreich abgeschlossen hatte." Einige Kollegen hätten Einbußen von bis zu achtzig Prozent. Am härtesten treffe es Organisatoren von Orchestertourneen."

Die Rechtslage für Künstler sei in Frankreich günstiger als im Rest Europas, erläutert Delage. In Frankreich werde nicht zwischen Dienst- und Werkverträgen unterschieden, Künstler seien für ihr Engagement angestellt. "Frankreich ist das einzige Land, in dem im Frühjahr festgestellt wurde: Coronabedingte Absagen sind nicht ,höhere Gewalt', sondern ,außergewöhnliche Umstände'." Daher seien Arbeitgeber verpflichtet, mindestens 50 Prozent Ausfallshonorar zu zahlen.

In Österreich hingegen werde mit "höherer Gewalt" argumentiert, sodass aus der keine Verpflichtung für Zahlungen erwachse. Alle haben daraufhin angefangen zu streiten. Wenn überhaupt, würden weit weniger als 50 Prozent der üblichen Gage gezahlt. Dies habe sich auch nicht geändert, als auch Opernhäusern in Österreich für November ein Umsatzersatz für 80 Prozent in Aussicht gestellt worden sei, sagt Delage und berichtet von einem Fall, wo nur zehn Prozent Ausfallshonorar angeboten worden seien. "Diese Häuser bekommen öffentliche Unterstützung, geben das Geld aber nicht an die Künstler." Es herrsche große Ungerechtigkeit, "und es wächst die Wut der sogenannten indirekt Betroffenen - denn wir sind direkt betroffen", sagt Delage. Das gelte auch für Künstlervermittler. Deren Arbeit sei bei Abschluss eines Engagements (etwa ein bis zwei Jahre im Voraus) schon erbracht, trotzdem bekämen sie dafür nichts oder deutlich weniger als bisher.

Die Coronakrise würden nur die Berühmtesten überleben, wie Anna Netrebko, Jonas Kaufmann oder Cecilia Bartoli, warnt Delage. In Großbritannien und den USA sei alles zu, in Asien und Übersee seien Auftritte praktisch unmöglich. "Alles konzentriert sich auf wenige europäische Länder." In diesem Überlebenskampf gehe es psychisch allen schlecht. "Viele werden auf der Strecke bleiben. Man hat das Gefühl, dass die ganze Branche gerade zusammenkracht."

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