Philippe Jordan: Geschichte eines unwürdigen Opernskandals

Als Musikdirektor verdient Jordan ein Vermögen an der Wiener Staatsoper. Nachdem sein Vertrag nicht mehr verlängert wurde, holte Jordan zum Rundumschlag aus. Das Publikum hat sich längst entschieden. Eine Einordnung.

In den anonymen Postings der Online-Foren ist Philippe Jordan ein Held. In der Klassik-Welt hat er sich selbst vom Dirigenten zum Dirigentchen degradiert.

Was ist passiert?

Sonntag gab der Musikdirektor der Wiener Staatsoper dem Kurier ein Interview. Darin meinte er, die Oper sei „auf einem fatalen Irrweg“ und übte harte Kritik am „hinsiechenden deutschen Regie-Theater“. Er habe bei Amtsantritt den Traum gehabt, eine wirkliche Zusammenarbeit von Bühne und Orchestergraben realisieren zu können, sagte Jordan: „Ich bin nun in diesen zwei Jahren zum Schluss gekommen, dass das wahrscheinlich nicht realistisch war und auch gar nicht wirklich erwünscht ist.“ Deshalb habe er für sich die persönliche Entscheidung getroffen: „Was die Oper betrifft, möchte ich das über 2025 hinaus nicht mehr weiter machen.

Spätestens bei dieser Passage mussten Opern-Insider lauthals loslachen. Denn die Entscheidung war Jordan längst aus der Hand genommen worden.

Aber der Reihe nach.

Die Geschichte, die in der Opernwelt für Irritationen sorgt, ist nicht Jordans Kritik am Regie-Theater, die man stehen lassen und auch diskutieren sollte (auch, wenn diese Kritik eher wie eine Vernebelungs-Aktion aus dem Repertoire eines PR-Ferialpraktikanten wirkt).

Das, was aufregt, ist, dass der hochbezahlte Musik-Direktor der Wiener Staatsoper mit Attacken an die Öffentlichkeit gegangen ist. Ohne Not. Just am Ende eines Septembers, in dem die Oper so voll, wie schon lange nicht mehr war.

Eine Metapher gefällig? Wie einst die Wiener Aktionisten hat sich Philippe Jordan am Sonntag zur Staatsoper begeben und sich dort öffentlich erleichtert. Das kann man schon mal machen, wenn man dringend muss. Aber als führender Angestellter des Hauses?

Das sind die Fakten:

  • Nicht Jordan hat seinen Vertrag nicht mehr verlängert, sondern Jordan wurde sein Vertrag nicht mehr verlängert. Bogdan Roščić: „Philippe Jordan und ich haben über meine Pläne zur Führung des Hauses nach 2025 schon im Sommer ausführlich gesprochen. Inhaltliche Bedenken waren dabei kein Thema, er wollte seinen Vertrag gerne verlängern, was mir aber aus anderen Gründen nicht möglich war. Daher möchte ich seine Aussagen nicht weiter kommentieren, das wäre nicht im Interesse der Staatsoper und auch nicht im Interesse von Philippe Jordan.“ 

Warum behauptet Jordan in dem Kurier-Interview genau das Gegenteil?

  • Seit Wochen ist es DAS Tratsch-Thema in der Wiener Kultur-Blase: Philippe Jordan und sein Verhältnis zum Staatsopern-Orchester vulgo den Philharmonikern. Es gilt als zerrüttet. Dazu kommt: Mit Lorenzo Viotti hat Philippe Jordan einen ernstzunehmenden Konkurrenten bekommen: Sowohl beim Publikum als auch im Orchester. Viottis Auftritt bei der Mahler-Premiere, wie er noch vor seinem ersten Einsatz vom Publikum gefeiert wurde, spricht Bände und zeigt, wo das Publikum die Zukunft sieht. Ebenso das Lob, das Viotti von den Musikern gestreut wird: „Er sagt, was er will, und er sagt es so, dass wir es verstehen.“
  • Ein Diskurs über Regie-Theater und Regie ist wichtig und richtig und notwendig. Bloß: Jordan ist genau in jener Position in der Wiener Staatsoper, wo er seine Bedenken jeden Tag und bei jeder Produktion anbringen und vorantreiben hätte können. Oder wurde Jordan von irgendjemanden an einen Sessel in seinem Büro gefesselt und mit Notenblättern geknebelt?

Warum macht er das also öffentlich und diskutiert das nicht intern?

  • Demnächst sollte (wir bleiben bei der Möglichkeitsform) Jordan mit Regie-Kapazundern, wie Barry Kosky gemeinsame Premieren auf die Bühne bringen.

Wie geht das nach dieser Frontal-Attacke überhaupt noch? Müsste man sich nicht schleunigst trennen, um einen geordneten Arbeitsbetrieb weiter aufrecht zu erhalten? Das wäre zumindest der Zugang in jeder anderen Firma.

Die Reaktionen in der Musik-Welt waren dann auch wie folgt: Regisseure, mit denen wir in den vergangenen Stunden telefoniert haben, waren sprachlos. Mitarbeiter*innen der Staatsoper sahen es als „Angriff auf ihr Haus“, auch wenn Jordan im Interview immer versucht hatte, seine Kritik von der Staatsoper weg ins Allgemeine zu spielen. Die Kultur-Politik gibt sich entsetzt. Alles in allem also eine wunderbare Arbeitsatmosphäre.

Warum also hat Philippe Jordan Bumm gemacht? Weil er nach seinem Gespräch über die Nichtverlängerung im Sommer die Deutungshoheit über seinen Abgang behalten wollte? Weil er bereits ein Angebot von einem amerikanischen (Jordan lebt immer wieder wochenlang in den USA) Orchester hat und schneller aus seinem Vertrag herauswollte?

Alles egal. Schade, dass ein Künstler vom Range eines Philippe Jordan einen derart uneleganten und kleinen Abgang hinlegt. Hätte Bogdan Roščić einer Bestätigung für seine Entscheidung der Nichtverlängerung des Jordan-Vertrags gebraucht – sie wurde ihm nachträglich serviert. So geht man nicht mit der Wiener Staatsoper um. So geht man nicht mit einem Dienstgeber um. Aber bleiben wir gelassen. Zu unwichtig ist die Causa. Denn das Publikum hat sich längst entschieden. Für Dirigenten vom Format, dem Charakter und dem Können eines Lorenzo Viotti, eines Bertrand de Billy und so weiter und weiter und weiter…

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