KlassikWoche_RGB_2020-09

Nur Verlierer, überall

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

das war eine ziemlich aufregende Woche, wie Sie vielleicht mitbekommen haben. Die CRESCENDO-Recherchen zu Teodor Currentzis und musicAeterna haben für allerhand Nachfragen gesorgt – auch international. Wir schauen heute aber auch auf den Flopp der Hamburger Klimaschützer, haben einige Fragen an unsere Rundfunkorchester und berichten leider von weiteren Sparmaßnahmen in München.

Ein Kriegslied für Moskau

Es war ziemlich was los in dieser Woche. In der letzten Newsletter-Ausgabe hat Baden-Baden-Intendant Benedikt Stampa noch erklärt, dass die MusikerInnen von Teodor Currentzis Orchester musicAeterna „keinen Angriffskrieg führen“. Zuvor hatte ein Geiger bereits ein Video veröffentlicht, in dem er die Hotelheizung mit dem Satz „Ich zerstöre Deutschlands Wirtschaft“ aufgedreht hatte. Mein Kollege Alexander Strauch von der NMZ und ich haben ein wenig weiter recherchiert (hier unser CRESCENDO-Text): Zwei Tenöre von musicAeterna haben Anfang November auf ihrem VKon­takte-Kanal ein prorus­si­sches Kriegs­lied veröf­fent­licht. Der melo­dra­ma­ti­sche Song ist mit Mili­tär­trom­meln unter­legt und wird mit den Worten ange­kün­digt: „Für die Jungs, die jetzt an der Front für uns kämpfen.“ Im Lied heißt es: „Wieder brennt die Heimat, ich stehe auf, ich gehe. Bete für mich. Der Faschismus stürzt wieder auf uns zu. Zeit, das Mutter­land zu retten. Bete für mich. Ich werde meinen Vater und meine Mutter umarmen…“ Insgesamt fanden wir allein im Kern-Ensemble mehr als zehn MusikerInnen, die sich offen putinfreundlich positionieren: Einige haben zum Kriegs­aus­bruch eine russi­sche Flagge auf ihr Profil gestellt, andere unter­stützen Pro-Kriegs-Kommen­tare, manche sind mit dem Social-Media-Auftritt der brutalen Söld­ner­gruppe Wagner verbunden (die Gräu­el­taten und Kriegs­ver­bre­chen in der Ukraine begeht).
Unsere Recherche hat für allerhand Reaktionen gesorgt, die DPA hat das Thema weiter recherchiert, BR Klassik, Süddeutsche Zeitung, Abendzeitung und der Der Standard haben das Thema aufgenommen. Hier erkläre ich den Fall noch mal in Deutschlandfunk. Dort­munds Inten­dant Raphael von Hoensbroech hat mehrere Ensemblemitglieder suspendiert – Baden-Baden, Dortmund und die Salzburger Festspiele wollen musicAeterna vorerst nicht mehr einladen. In weiteren Posts der Kriegslied-Tenöre werden Alexander Strauch und ich als „pro-ukrainische, europäische Faschisten“ beschimpft. Teodor Currentzis schweigt zu all diesen Vorfällen. (Das Bild oben ist ein Screenshot, in dem Alexander Strauch verschiedene „Selfies“ aus dem Netz nebeneinander gestellt hat.)

Kommentar: Und wie geht es weiter?

Viele Kulturschaffende können sich noch immer nicht vorstellen, dass Kultur und Klassik ein Haupt-Propagandamittel in Putins Krieg sind. Dabei sind die Zeichen deutlich: In russischen Medien kursiert ein Video, in dem die Söldnergruppe Wagner einen blutigen Hammer in einem Geigenkoffer ans EU-Parlament schickt. Noch konkreter ist die aktuelle Duma-Debatte, in der eine „Kulturfront gegen Europa“ debattiert wurde. „Nur so können wir, die kulturellen Persönlichkeiten, dem aggressiven Ansturm der teuflischen Antikultur widerstehen“, erklärte Putin-Freund Valery Gergiev, und Regisseur Andrei Konchalovsky sagte: „Russland ist Erbe der großen, europäischen Kultur und sein einziger und wichtigster Verteidiger.“ Putin hat Milliarden durch seinen Vorzeige-Cellisten Sergei Roldugin in Panama verstecken lassen und finanziert seit 2020 Teodor Currentzis und sein Ensemble musicAeterna in St. Petersburg. Europas Intendanten haben lange unterschätzt, dass Orchester und Chor, geleitet von einem Vorstand aus Zentralbankchefin, VTB-Vorstand und St.-Petersburg-Gouverneur, längst ein Propaganda-Orchester ist und dass Currentzis Schweigen Methode hat. Es geht nicht um den Schutz seiner MusikerInnen, sondern er pflegt bewusst Putins Indifferenz in der Kultur. Das nächste Konzert von musicAeterna findet wieder in Moskau statt, bezahlt von VTB. In Europa scheint das Ensemble nun wohl passee.
Markus Hinterhäuser argumentiert, Teodor Currentzis würde für das Benehmen seines Orchesters in „Geiselhaft“ genommen. Doch das stimmt nicht. Spätestens nach den aktuellen Vorfällen, nach der Beschimpfung von demokratischem Journalismus als „faschistisch“, müsste auch Currentzis als Chef des Orchesters seine Stimme erheben. Doch er schweigt selbst auf Anfrage von Deutschlandfunk oder DPA. Dass musicAeterna nun durch das von Red Bull teilfinanzierte Utopia ersetzt wird, erinnert an den Wechsel von Raider zu Twix. Dass Hinterhäuser oder der SWR weiter an Currentzis festhalten, bedeutet: Bei jedem seiner Konzerte reist die Unsicherheit mit, werden neue Fragen gestellt, werden Nachforschungen nötig sein. Fragen wie: Warum berichtet der SWR als Nachrichtensender so wenig über die Causa Currentzis? Wer zahlt die zweite Hälfte des Utopia-Budgets? Wie abhängig ist Currentzis von Putins Geld (oder anderen Vorteilen) in Russland? Es ist an der Zeit, dass Teodor Currentzis sich positioniert und Transparenz überall dort einzieht, wo er auftritt. Ansonsten ist er in Zeiten des Krieges nicht tragbar. Wer die Hand für ihn ins Feuer legt, könnte sich daran verbrennen.

Der Aktivisten-Flopp von Hamburg

Ich habe persönlich grundlegend Sympathie mit den Klima-Aktivisten der „letzten Generation“, verstehe die Angst vor der Zukunft und, ja, ich finde es durchaus logisch, diesen Kampf auch in der Kultur zu führen. Es ist allerdings schon auch lustig, wenn das große und ernste Anliegen dann aus Dummheit derart schrumpft wie neulich in Hamburg: Zwei Aktivisten haben sich an das Dirigenten-Geländer geklebt. Ein Protest für kurze Zeit: Der Orchesterwart zog das Geländer aus dem Podest und stellte die beiden im Proberaum ab.
Das Bild der Protestler kursiert seither im Netz und ist Wasser auf die Mühlen ihrer Kritiker. Geigerin Julia Fischer reagierte souverän: „Ich kann es nachvollziehen. Aber ich weiß nicht, ob das die richtige Lösung ist.“ Hier die Aktion übrigens noch mal im Video.

Quo vadis, Rundfunkorchester?

Wir hatten die Debatte von Tom Buhrow an dieser Stelle schon einmal aufgenommen: Wie viele Rundfunkorchester wollen wir uns leisten? Nun stellt auch Die Zeit diese Frage (hinter der Bezahlschranke), und selbst Mr. Tagesthemen, Ulrich Wickert, mischt sich ein. In Bild am Sonntag sagt er, die Politik müsse „Tabula rasa“ machen und solle „Radio Bremen und den Saarländischen Rundfunk abschaffen“. Wickert kritisiert außerdem, „dass das Elbphilharmonie Orchester vom NDR bezahlt wird, obwohl die Elbphilharmonie der Stadt Hamburg gehört“.
Zu diskutieren ist sicherlich auch die Frage der journalistischen Glaubwürdigkeit, etwa im Falle von SWR-Chefdirigent Teodor Currentzis und der (sehr reduzierten) Berichterstattung über seine Russland-Nähe im SWR. Es muss jetzt darum gehen, die Debatte nicht den politischen Extremen zu überlassen. Öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio sind existenziell und wichtig für unsere Demokratie (und leisten gute und wichtige Arbeit!). Aber um die journalistische Seriosität, die größte Tugend der Sender, zu bewahren und zu verteidigen, müssen sie und ihre Verantwortlichen schonungslos transparent werden.

Personalien der Woche

Blödes Timing: Die Deutsche Grammophon versucht sich noch einmal an einer neuen Streaming-Plattform und will das Publikum ausgerechnet mit dem Ring aus Bayreuth unter Cornelius Meister locken. Dumm, dass auf arte noch (kostenlos) der aktuelle Ring aus Berlin mit Christian Thielemann läuft. Ob die Deutsche Grammophon nun ein Gegenentwurf zu Unitels vom ORF mitgetragener Plattform Fidelio wird? Und ob das Angebot von einfach aufgezeichneten Opern und Konzerten überhaupt eine Zukunft hat? Ist es nicht nötig, Klassik-Streaming vollkommen neu zu denken? Neues Medium, neue Formate? Viele offene Fragen. +++ Sparen in München: Das Kulturreferat wird wohl vier Prozent einsparen müssen. Zahlen müssen das hauptsächlich die großen Institutionen wie Kammerspiele und Philharmoniker (zudem soll nicht wieder der ganze, aber doch der halbe Sechs-Millionen-Zuschuss ans Nationaltheater gestrichen werden), denn die Freie Szene soll wieder geschont werden - und eine Million Euro zusätzlich erhalten.
Wie geht es weiter an der Staatsoper Berlin: Steuert sie auf eine Krisenzeit zu. Intendant Matthias Schulz weiß nicht, ob Christian Thielemann überhaupt Interesse am Haus hat, sagt er in der Berliner Zeitung. +++ Der frühere Kölner Opernintendant Michael Hampe ist tot. Er starb am 18. November im Alter von 87 Jahren in der Schweiz. Der gebürtige Heidelberger war bis 1995 zwei Jahrzehnte Intendant der Oper Köln, ebenso Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Er hat als Opernregisseur auf zahlreichen Bühnen in aller Welt inszeniert sowie bei Festivals etwa in Salzburg.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Nachdem wir vor einiger Zeit Kurt Rydls Wutausbruch gegen die Wiener Staatsoper und deren Intendant Bogdan Roščić bestaunt haben, dachte ich, man müsse die Debatte vielleicht klug weiterführen. Hat sich die Rolle von Opernsängerinnen und Opernsängern gewandelt? René Pape ist an der MET in New York, an der Staatsoper Berlin, in Wien und Mailand zu Hause und erzählt in meinem Podcast „Alles klar, Klassik?“ (hier für alle Formate (apple Podcast, Spotify, amazon etc.) kostenlos zum Anhören – und zum Abonnieren), dass ihm die „alte Familie“ fehle, die Ruhe für Vertrauen in der Klassik. Sein Vorbild: die Rolling Stones.
Alles Quatsch, sagt der Casting-Direktor des Theaters an der Wien, Peter Heilker: Im Vordergrund steht noch immer die Qualität, und man sei an vielen Häusern bemüht, lange, gemeinsame Wege mit Künstlerinnen und Künstlern zu gehen. Außerdem verrät er, wie sich eine ideale Stimme anhört. Die Künstler-Agentin Helga Machreich vertritt Christiane Karg, Marlis Petersen, Patricia Petibon, Werner Güra oder Florian Bosch. Sie sagt: Wichtig ist, dass hinter einer Stimme auch eine Persönlichkeit steht. Dass Künstler wissen, was sie sagen wollen. Hören Sie gern mal rein, und debattieren Sie mit!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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